Mit einem Umsatzwert von über 170 Milliarden Euro im Jahr trägt die Logistik rund sieben Prozent zum deutschen Bruttoinlandsprodukt bei. Auch mittelfristig wird mit stabilen Zuwachsraten bis zu sieben Prozent gerechnet. Prognosen bis 2035 gehen von einem weiter steigenden Güterverkehrsaufkommen aus. Schon jetzt werden jährlich für jeden Bundesbürger etwa 45 Tonnen Fracht bewegt. Die Zahl der Logistik-Beschäftigten wird bundes-weit mit rund 2,5 Millionen angegeben. Damit arbeiten etwa acht Prozent aller Erwerbstätigen in der Branche, die sich nach Handel und Automobilindustrie zum drittgrößten Wirtschaftsfaktor gemausert hat

Blumengroßmarkt in Holland FOTO: BAUMGARTEN / VARIO-IMAGES

Wenn vor etwa 20 Jahren Frauen im Februar Geburtstag feierten, bekamen sie Hyazinthen oder Azaleen geschenkt. Andere Blumen gab es um diese Jahreszeit nicht. Heute überreichen selbst Teenies zum Valentinstag Rosen - langstielige, mit so großen samtroten Köpfen, dass ihr Anbau in Gewächshäusern Unsummen für Heizung und Licht verschlingen würde. Deshalb kommen sie direkt vom Äquator, aus Kenia, Kolumbien oder Ecuador. Das Leben einer Rose ist kurz, umso länger die Kette derer, die sie vermarkten. Noch vor dem Morgengrauen schneiden Arbeiterinnen die Stiele und tauchen sie in eine Nährlösung. Die Frühschicht übernimmt das Sortieren, Waschen der Blätter und Verpacken. Am Laufband wird den Schachteln ein Strichcode aufgeklebt und los geht es zu den Flughäfen von Bogota, Quito oder Nairobi. Das kühle Transport-Koma, in das die Rosen versetzt wurden, hält einige Tage, aber nicht länger, wenn die Schönen auch in der Vase noch wirken sollen. Deshalb beginnt ihr Verkauf über Internet bereits, wenn sie die Plantagen verlassen, und dauert an, wenn sie im Blumenjet die Ozeane überqueren.

80 Prozent der in Europa verkauften Rosen landen im Kühlhaus des Amsterdamer Flughafens. Die größte europäische Blumenbörse liegt dicht dabei. Sechs bis acht Millionen Rosen werden an jedem Morgen bei der Blumenversteigerung Aalsmeer verkauft. An den Laderampen wartet die europäische Lastwagenflotte auf ihre Touren. Eine führt regelmäßig nach Straelen am Niederrhein. Der dortige Blumenhandel liefert bis nach Armenien. Vier Tonnen Rosen landen hier allabendlich an, werden angeschnitten, gebündelt, verpackt und neuerlich in Nährlösung getunkt, bevor sie auf die Großmärkte in München, Frankfurt/Main, Hamburg oder Berlin gebracht werden, wo sich in der Frühe Floristen, Markthändler und Gartencenter versorgen.

Siebenfacher Preis

Der Preis der Rosen aus südlichen Erdteilen steigt von der Grenze des Importlandes bis zum Verkauf im hiesigen Blumenladen um das Siebenfache. Die Logistik schlägt sich in den Kosten nieder. Das gilt nicht nur bei Rosen. Früher trug man Kostüme aus Gelsenkirchen, Wattenscheid oder Plauen. Nun legen die Zutaten einer Jeans locker 55000 Kilometer zurück, bevor sie stone-washed in der Einkaufstüte landet. Internationale Arbeitsteilung sucht die Produktionsstätten dort, wo sie am billigsten sind. Die Welt ist global geworden.

Logistik bedient die Märkte und begleitet die gesamte Wertschöpfungskette. Eine klare Trennung von Beschaffung, Produktion, Absatz und Entsorgung, wie sie bis in die 70er Jahre typisch war, gehört der Vergangenheit an. Unternehmen werden zu funktionierenden Produktions- und Absatzketten verbunden. Dass diese zu weltweiten Netzen verknüpft werden, erleben wir gerade. Deutschland will dabei kräftig mitmischen. Logistik gilt, wie es Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) ausdrückt, als "Boom-Sektor mit klarem Wachstumstrend". Und tatsächlich, so Peer Witten, Vorstandschef der Bundesvereinigung Logistik, sehen sich viele Unternehmen bereits "auf einer Welle des Erfolgs" schwimmen. Informations- und Kommunikationstechnik wirken als eigentliche Innovationstreiber in der Logistik. IT-Lösungen versprechen selbst dort Effekt, wo durch Automatisierung kaum noch etwas zu beschleunigen ist.

Wenn, wie geplant, ab 2010 das europäische Satelliten-Navigationssystem Galileo betriebsbereit ist, Technologien wie die Radiofrequenzidentifikation (RFID) noch weiter ausgereift und die nötigen Funkchips billiger geworden sind, kann bald nicht nur die Tour eines Lkw genau nachvollzogen werden. Kunden können vorab abfragen, welche Teile mit welchen Produktionsdaten für sie in Container 6328 auf der "Santa Maria" zum Rostocker Hafen unterwegs sind. Wenn die Informationen beträchtlich vor der Ware eintreffen, können Empfänger "mehr agieren als reagieren", verheißen Wissenschaftler hoffnungsvoll.

Die Fracht soll ihr Ziel erkennen

Gebraucht wird das auch bei Produktion "on-Demand", auf Abruf. Ein Brückensegment oder ein Hochpräzisionsteil für eine Industrieanlage werden beim Produzenten zum Stichtag bestellt, direkt abgeholt und punktgenau angeliefert. Moderne Technologien mit so genannter dynamischer Datenhaltung erlauben es, Waren "intelligenter" zu machen. Hochwertige Produkte etwa erhalten einen elektronischen Fahrtenschreiber, der das Teil von einer bestimmten Produktionsstufe an bis zum Einbau begleitet. Container, die ihre Packmuster-Daten mitführen, werden bereits getestet. Bei der Deutschen Post arbeitet man daran, dass Pakete oder Briefe künftig nicht mehr zentral gesteuert, sondern selbständig ihren Weg durch Logistik-Netzwerke finden. Die Fracht von Morgen soll ihr Ziel kennen und direkt mit den Verteilanlagen kommunizieren. Die Schachteln mit den Äquatorrosen könnten sich dann auf dem Flughafen Schiphol selbst den Kühltransporter suchen, der sie zum Kölner Großmarkt bringt.

Solche Innovationen erfordern Investitionen und Know-how. Das gilt auch für kombinierte Dienstleistungen, wie sie sich zunehmend auf dem Markt entwickeln. So baut die Posttochter DHL Exel Supply Chain erstmals einen "Logistik Campus". Auf fast 250000 Quadratmetern sollen in Unna/Westfalen bald für ganz verschiedene Hersteller von Hygiene- und Pflegeprodukten Dienstleistungen übernommen werden, die bislang deren eigene Lagerwirtschaft erbrachte. Logistikunternehmen "wachsen" so in die Fertigungsabläufe von Produzenten hinein.

Die Global Player - die Deutsche Post mit ihrer Logistiktochter DHL, die Deutsche Bahn/Schenker, Kühne + Nagel, TNT, UPS und andere - bestimmen das Bild der Branche. Doch bisher erwirtschaften selbst die 100 größten Logistiker zusammen gerade mal die Hälfte des nationalen Branchenumsatzes. Von "starker Marktsegmentierung" und großem "Fusionspotenzial" sprechen die Experten. Tatsächlich sind Aufkäufe und Übernahmen nicht nur in Deutschland, sondern weltweit an der Tagesordnung. Dazwischen versuchen sich - häufig als Subunternehmer und oft zu Dumpingpreisen - mittelständische Spediteure und selbst fahrende Unternehmer zu behaupten. Ihr Überlebenskampf gelingt möglicherweise, weil die Großen mit Blick aufs "Kerngeschäft" keine eigenen Transportleistungen mehr erbringen.

Ein weites Feld

Analysten wie Dr. Dieter Plehwe vom Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung warnen, in der Logistik "echtes mit scheinbarem Wachstum zu verwechseln". Viele Arbeitsplätze seien in den letzten Jahren lediglich durch Outsourcing und Umverteilungen entstanden. Auch die Qualität vieler Stellen steht nicht nur in der Kritik der Gewerkschaft. Teilzeitarbeit, der Einsatz von Leiharbeitnehmern, Niedriglöhne und illegale Beschäftigung haben zumindest schon zur Gründung eines Aktionsbündnisses gegen Schwarzarbeit im Speditions-, Transport- und Logistikgewerbe geführt. ver.di hat die Einführung einer Sozialen Vignette als Gütesiegel für Unternehmen vorgeschlagen.

Das sind Ansätze, doch der Gestaltungsbedarf ist riesig. Es geht um Angleichung der Wettbewerbsbedingungen in der EU, eine Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur, sinnvolle Investitionen in den Ausbau und die Vernetzung der Verkehrswege, um Rationalisierungsschutz oder Arbeitszeit- und Tarifregelungen. Wie viele Arbeitsplätze vor allem in Lagern, bei Sortier- oder Verteiltätigkeiten in absehbarer Zeit wegfallen werden, wagt bislang niemand zu schätzen. Ob der Einsatz moderner Technologien zu "gläsernen Mitarbeitern" führt, die einer permanenten Leistungs- und Verhaltenskontrolle ausgesetzt sind, hängt auch davon ab, was Datenschützer und Interessenvertretungen durchsetzen. Da vieles gar nicht mehr national entschieden werden kann, kommt Vereinigungen wie den Transportarbeiterföderationen ITF und ETF und Europäischen Betriebsräten wachsende Bedeutung zu.

Die ver.di-Logistikkonferenz im Februar in Hamburg erarbeitet gewerkschaftliche Standpunkte zu den Problemen. Das ist dringlich, weil ihre Vorstellungen in den "Masterplan Güterverkehr und Logistik" einfließen sollen, mit dem Regierung und Partner einer Mobilitätsoffensive die "Logistik made in Germany" ausbauen wollen. Ende 2007 entscheidet sich, ob ein "schmalspuriges Wirtschaftsförderprogramm" herauskommt, wie Kritiker fürchten, oder ob die Boom-Branche als das gesehen wird, was sie sein sollte: Ein gesamtgesellschaftliches Gestaltungsfeld, an dem Beschäftigte und ihre Interessenvertretungen sinnvoll beteiligt werden.