Lesen


Franz Josef Degenhardt: Die Lieder

"Lieber Doktor Degenhardt, Drecksau mit dem Ulbrichtbart, Zonenknecht, Sowjetspion, warte nur, Dich krieg'n wir schon" - so haben anonyme Briefschreiber ihn beschimpft, den promovierten Rechtsanwalt und Cousin eines leibhaftigen Erzbischofs: Der politische Liedermacher und Romancier Franz Josef Degenhardt war als bekennender Kommunist eine der wichtigsten Stimmen der 68er Bewegung - im Klassenkampf unverwechselbar und unentbehrlich mit seiner ätzend-witzigen Gesellschaftskritik. Zum 75. Geburtstag seines Vaters hat Kai Degenhardt die Texte und Noten aller 274 Lieder des Weggefährten von Hanns Dieter Hüsch, Wolfgang Neuss und Dieter Süverkrüp zu einem prächtigen Songbook vereint - von der ersten Platte aus dem Jahr 1963 bis zur jüngsten CD Dämmerung (2006), von den Schmuddelkindern und Väterchen Franz zum traurigen Sprechgesang: "Dagegen wir wenige, kaum noch bemerkt. Nicht mal mehr verfolgt, geschweige denn gefürchtet, der Lächerlichkeit preisgegeben als ewige Loser." Wer in den Siebzigern und Achtzigern dabei war, wird schwelgen in Nostalgie. Den Heutigen kann das Buch als ehrliche poetisch-politische Chronik eines halben deutschen Jahrhunderts dienen.HEM

EULENSPIEGEL-VERLAG, 400 S. 29,90 €


Prekäre Perspektiven

Die Buchpremiere des Readers zum Thema Prekarisierung fand zünftig als Betriebsstörung bei Dussmann - der neoliberalen Kultur-Speerspitze - statt. Mit Lesungen und Flugblättern gaben sich Aktivisten zu erkennen - bis die Polizei eintraf. Seit drei Jahren hatte sich eine Arbeitsgruppe der Berliner Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst dem Thema gewidmet, und in Aktionen, Vorträgen und Diskussionen nach Widerstandsformen gesucht. Beteiligt waren originelle Gruppen wie die "Absageagentur", die in ironischer Umkehrung an Unternehmen politisch begründete Absagen auf Ausschreibungen schickt. Eine andere Aktionsform sind so genannte "Ein-Euro-Spaziergänge", bei denen an solchen Arbeitsplätzen nach dem Rechten gesehen wird und die Jobber über ihre Erfahrungen befragt werden. Viele Beiträge befassen sich mit den Schwierigkeiten des Prekariats, sich zu organisieren. Ein brillianter sprachkritischer Aufsatz ist von der (inzwischen verstorbenen) Denkerin Gerburg Treusch-Dieter, die in Das Totalitäre der Arbeit die absurden Sprachregelungen auseinander nimmt, mit denen der Kampf gegen die Arbeitslosen ins Werk gesetzt wird. Klix

Hrsg. VON DER NGBK, BERLIN, 2006, 8 €


Heiko Rosner: Der Tag, an dem der Banker baden ging

Kostenstellen mit Ohren, Ausgespachtelte und Disposchleicher haben derzeit nichts zu lachen, in dieser anarchistischen Räuberpistole aber schon. Kostenstellen mit Ohren sind Redakteure einer Frankfurter Zeitung, die sich über die neuen Besitzer des Verlages (Heuschrecken) unterhalten. Sie erzählen, was im Einzelfall so passiert (Knotenschlingen), wenn sie Ausgespachtelte geworden sind. Das schöne Wort stammt von Dr. Johann Marks, dem Alpha-Tier des deutschen Finanzmanagements (einem urigen Schweizer Original mit V-Zeichen nachempfunden). Marks hat im Turboverfahren schon so viele Ausgespachtelte produziert, dass es Herrn Meier endlich reicht. Herr Meier setzt ein Signal, den Banker in ein Aquarium, und während das Wasser steigt, im Takt mit den Kursen der Bank, erklärt der Banker unverdrossen die Welt aus seiner Sicht. Das ist lehrreich und interessant, denn Herr Meier entlockt dem Marks ohne x Geheimnisse in seinen Worten, die der mit dem x schon vor langem kannte - wenn das Finanzkapital die Wirtschaft dominiert, Kapital Band 3. Nebenher fliegt ein Bahnhof mit dem politischen Personal in die Luft, Harald Schmidt wird Chef der Blind-Zeitung, und Disposchleicher wie du und ich haben lange nicht mehr so gelacht.ZÄH

ROMAN, NAUTILUS 2007, 156 S., 13,90 €

fotos: promo; verleih