Die Gesundheitsreform wurde gerade in den vergangenen Wochen zum Spielball der Lobbyisten. Die Bedingungen dafür waren ideal. Zwei gegensätzliche Konzepte der Regierungsparteien - Bürgerversicherung kontra Kopfpauschalen: Da war es für die Interessenvertreter nur allzu leicht, zu punkten

Der Kater ist groß. Nach dem dritten und vorerst letzten "Durchbruch" in Sachen Gesundheitsreform, melden sich die Politiker der Opposition bitter zu Wort. Diese Reform sei "ein Meisterstück der Lobbyisten", kritisiert Grünen-Chefin Claudia Roth. Die Linke flankiert, die Große Koalition habe sich vor den Karren der Lobbyisten spannen lassen und die Interessen der Patienten verraten. In der Tat hat diese Reform interessante Volten hinter sich. Mit Ausnahme der Patienten und gesetzlich Versicherten wurden fast alle Interessengruppen in letzter Minute mit Vergünstigungen bedacht.

Lobbyismus, der Versuch von Interessenverbänden, Einfluss auf die Politik zu nehmen, gehört zur Demokratie. Sonst dürften auch die Verbraucherverbände nicht mehr Patientenrechte oder ver.di die paritätische Finanzierung des Gesundheitswesens einklagen. Auch den Ärzteverbänden ist zugestanden, dass sie sich mit Protest für ihre Interessen einsetzen - schließlich leben sie von der Gesundheitswirtschaft. Ob man ihre Ansichten teilt, ist eine andere Frage.

Etwa 430 Lobbygruppen haben sich nach Angaben des Bundeswirtschaftsministers Peer Steinbrück um das Gesundheitsministerium gruppiert. Meldungen, wie die Entsendung eines Krankenkassen-Experten als Referenten an das Gesundheitsministerium und eines Mitarbeiters des Verbandes der forschenden Arzneimittelhersteller an das Wirtschaftsministerium, markieren nur die Spitze des Eisberges. "Rund hundert derartige Fälle sind bekannt", sagt Ulrich Müller, Geschäftsführer von Lobbycontrol. Politiker und Journalisten werden zu "Informationsgesprächen" in Restaurants geladen, bei privaten Instituten "wissenschaftliche" Studien in Auftrag gegeben und schlimmstenfalls "Gratifikationen" verteilt - letzteres sorgt jedenfalls in der Ärzteschaft immer wieder für Skandale, Stichwort "Pharmavertreter".

Um den Jahreswechsel führten die Ministerpräsidenten der Länder Bayern, Hessen und Baden-Württemberg eine ominöse Kieler Studie gegen den bereits ausgehandelten Kompromiss der Großen Koalition ins Feld. Prognostizierte die Studie doch milliardenschwere Belastungen für die unionsgeführten Bundesländer durch die Gesundheitsreform. Lanciert hatte die Studie die neoliberale "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM), eine von den Arbeitgeberverbänden jährlich mit 8,8 Millionen Euro finanzierte Lobbyeinrichtung. Wer hinter der Studie steckte, wurde in den meisten Medien aber nicht erwähnt, so dass der Eindruck entstehen konnte, bei dem Papier des Kieler Instituts für Mikrodaten-Analyse handele es sich um eine unabhängige Expertise.

Sabine Nehls von der Arbeitsstelle Medien und Politik der Universität Hamburg analysiert seit Jahren die Arbeit der INSM. Sie attestiert ihr in einem Beitrag in der Frankfurter Rundschau eine elegante Mischung aus verdeckten und offenen Aktionen. "Die INSM nutzt sehr geschickt die Mechanismen aus, die die Medien ihr bieten." Wichtiges Vehikel bei der medialen Platzierung des neoliberalen Weltbildes: die so genannten "Botschafter" und "Berater" der INSM. Zum Beispiel der Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen oder die Thüringer Landtagspräsidentin Dagmar Schipanski. Diese treten öffentlich als Experten in eigener Sache auf, dass sie zugleich die Inhalte der INSM verbreiten, wird nicht erwähnt. "Es wäre natürlich sinnvoll, wenn deutlich würde, dass diese Leute auch für die INSM sprechen", sagt der Politikwissenschaftler und Lobbyismus-Experte Rudolf Speth.

Mit harten Bandagen hat auch die private Krankenversicherungswirtschaft (PKV) in den letzten Monaten gekämpft. Im Herbst landeten tausende Protestbriefe angeblich empörter Privatversicherter bei Bundestagsabgeordneten. Jedoch, die Briefe waren fingiert. Eine PR-Aktion, mit der sich die Privatversicherer nicht gerade mit Seriosität bekleckerten. Vielleicht hat die PKV auch deshalb einen Gang zurückgeschaltet. Einen Tag vor der entscheidenden Sitzung, bekam Unionsverhandlungsführer Wolfgang Zöller Besuch von Volker Leienbach, Cheffunktionär des Verbands der privaten Krankenversicherung. Das klassische Lobbying lohnte sich: Der geplante Basistarif der Privaten Krankenversicherung soll nun erst 2009 eingeführt werden und nur befristet für bereits Privatversicherte zugänglich sein.

"Es ist schon auffällig, welche Zugänge die private Krankenversicherungswirtschaft zu den Unionsparteien hat", sagt Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte beim Bundesverband der Verbraucherzentralen und damit Lobbyist der Patienten. Bereits im Vorfeld wurden die Vertreter der PKV von der Politik eingebunden. Und im Herbst lud Kanzleramtsminister Thomas de Maizière die Funktionäre der Ärzteschaft, Krankenhäuser, Pharmaindustrie, Krankenkassen und anderer Leistungserbringer wie der Medizintechnik zum Gespräch. "Von solchen Foren können wir nur träumen", sagt Etgeton.

Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat erfolgreich Lobby-Arbeit betrieben. Nachdem ihre Vertreter vor allem die Gesundheits-Unterhändler der SPD "bearbeitet" hatten, wie es bei Spiegel online heißt, griff sie zum Mittel der Drohung. Sie kündigte an, gegen die geplanten Kürzungen bei den Kliniken bis vors Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Das wirkte. Union und SPD wollen nun den vorgesehenen Sanierungsbeitrag der Krankenhäuser von 500 Millionen Euro auf etwa die Hälfte senken. Die geplante Einsparung von 100 Millionen Euro bei den Rettungsdiensten soll komplett gestrichen werden.

Dr. Wolfgang Wodarg, SPD

Bei der Gesundheitsreform spielt sich der Lobbyismus stärker in den Ministerien als im Parlament ab. Wichtig beim Umgang mit Lobbyisten ist, dass man alle Seiten hört. Und ich bin für Transparenz. In der letzten Legislaturperiode hat Hubertus Schmoldt von der IGBCE seinem Freund, dem Kanzler, mit Erfolg das Angebot des Verbands der Forschenden Arzneimittelindustrie unterbreitet, 400 Millionen Euro an die Krankenkassen zu zahlen, wenn dafür auf ein Gesetz verzichtet würde, das patentgeschützte Medikamente billiger gemacht hätte. Jetzt setzt sich die Pharmalobby dafür ein, dass die staatliche Zulassungsbehörde für Arzneimittel zu einer wirtschaftlich arbeitenden Institution wird. Die Folge wäre klar: Die Abhängigkeit der Prüfer von den Unternhemen, die die Untersuchungen bezahlen, würde wachsen.

Daniel Bahr, FDP

Früher haben vor allem Verbände die Interessen der Pharmaindustrie oder der Krankenkassen vertreten - heute schicken viele Unternehmen ihre eigenen Vertreter. Das macht es für uns noch schwerer, uns einen Überblick zu verschaffen. Denn jeder vertritt die Interessen seines Betriebes, während die Verbände zum Beispiel die Folgen eines Gesetzes für große und kleine Mitgliedsunternehmen aufgezeigt haben. Unangenehm fand ich die Aktion des landwirtschaftlichen Versicherungsvereins in meinem Wahlkreis kurz nach der letzten Bundestagswahl. Die Beschäftigten schickten etwa 2500 Briefe an meine Privatadresse und forderten, dass ich mich für den Erhalt der privaten Krankenkasse und damit ihrer Arbeitsplätze einsetzen sollte. Mein Postbote und meine Freundin waren sehr genervt. Als grenzwertig habe ich auch die Aktion einer Patientengruppe erlebt. Sie hatte mir ein Paket mit durch Sonden zu verabreichender Nahrung geschickt, meine Mitarbeiter beschimpft und mit Anrufen terrorisiert. Es ging damals um die Frage, ob es künftig Zuzahlungen für künstliche Ernährung geben sollte.

Biggi Benders, Bündnis 90/Grüne: Wenn sich Politikerinnen und Politiker zu Handlangern von Lobbyisten machen, dann ist das nicht den Lobbyisten anzukreiden. Es stinkt, wenn sich zum Beispiel der Verhandlungsführer der Union unmittelbar vor einer Sitzung zur Gesundheitsreform mit dem Geschäftsführer des Verbandes der Privaten Krankenversicherungen trifft - und es dann massive Änderungen in dieser Richtung gibt. Wir Politiker müssen da die Grenzen setzen. Vor kurzem wollte ein Facharztverband zusammen mit Patienten und Pressevertretern zu mir kommen; es ging darum, dass Experten eine bestimmte Therapiemethode als nutzlos eingestuft hatten. Da habe ich gesagt: Entweder der Facharzt und der Patient kommen allein oder das Gespräch findet nicht statt. So war es auch sinnvoll. Ein Kollege einer anderen Fraktion hatte sich darauf eingelassen und wurde als Unterstützer der Therapie dargestellt, weil er die Leute im Beisein von Journalisten getroffen hatte. Die befragten Politiker gehören dem Gesundheitsausschuss an. Die CDU sah sich auch nach mehreren Anrufen nicht in der Lage, in ver.di PUBLIK Position zu beziehen.

Frank Spieth, Die Linke

Ich bin jetzt seit eineinhalb Jahren im Bundestag und schon erstaunt, wie viele Vertreter von Ärzten, Pharmafirmen, Apothekern, allen möglichen Dienstleistern, Betreibern von Krankenhäusern usw. bei mir aufschlagen. Im Grunde geht es den Lobbyisten immer darum, Partikularinteressen durchzusetzen, damit die eigene Gruppe mehr Knete bekommt. Der Blick fürs Ganze fehlt da völlig. Und wenn man den Topf nicht immer größer machen will, dann muss man anderen was wegnehmen, wenn einer mehr kriegt. So was diskutiere ich mit den Besuchern. Meistens sagen sie dann, sie hätten in den letzten Jahren besonders gelitten. Sogar verschiedene Facharztgruppen treten gegeneinander auf.

"Auf weitere gute Zusammenarbeit und auf weiteren Kampf gegen zu viel Lobbyismus."

Die Bundeskanzlerin bei einem Sektempfang nach der Verabschiedung der Gesundheitsreform im Bundestag