Arbeit im Strafvollzug gilt als Resozialisierung. Doch mit den Häftlingen wird durchaus auch Wertschöpfung erreicht - Waren im Wert von 1,5 Millionen Euro verkauft zum Beispiel das Männergefängnis Berlin-Tegel jedes Jahr an Privatleute oder -firmen. Ein Rundgang

Eingang zur Malerei

Andreas H. und Basic D. halten zerbeulte Schweißmasken vor ihre Gesichter; zischend sprüht ein Funkenschweif zu Boden. "Wir bauen die neue Sicherheitsschleuse", erklärt der 49-Jährige Andreas H., während seine Augen die soeben gezogene Naht entlang gleiten. H. hat Mühe, gegen das klirrende Gehämmer in der Halle anzureden und holt einen Plan von der Wand. Oben an die wuchtige Stahltür soll ein massives Gitter angebaut werden. "Und hier müssen wir Löcher für die Alarmanlage bohren. Die geht los, wenn einer die Tür gewaltsam öffnen will." Auf der Suche nach der Elektronik wieselt H. zwischen ein paar jüngeren Kollegen hindurch, die vor einer mit Pin-up-Girls dekorierten Wand herumstehen und plaudern.

Dass das Werkstück ihn und seinesgleichen davon abhalten soll, aus Deutschlands größtem Gefängnis zu türmen, stößt dem kleinen Mann mit Brille nicht auf. "Arbeit ist Arbeit. Und ohne Arbeit würde ich verrückt." Früh genug - jeden Nachmittag exakt um 15 Uhr 08 - wird dem ehemaligen Eisenbahnschlosser sowieso schmerzlich bewusst, wo er sich befindet. "Draußen würde man jetzt zu seiner Familie gehen. Hier drinnen wartet nur die Zelle."

Norbert M. (52) arbeitet an Spielzeughähnen

Über 1700 Männer sitzen zur Zeit im Männergefängnis Berlin-Tegel - seit Jahren ist es überbelegt. Laut Strafvollzugsgesetz sind alle Häftlinge verpflichtet zu arbeiten. Auf dem 14 Fußballfelder großen Gelände gibt eine Schule und mehr als ein Dutzend Werkstätten - von der Gärtnerei über eine Bäckerei bis hin zum KfZ-Betrieb. Viele Häftlinge sind auch mit Putzen, Unkraut jäten oder Essen austeilen beschäftigt. Wer noch einige Jahre vor sich hat, kann einen Beruf erlernen und sich zum Industriepolsterer, Offsetdrucker oder Holzmechaniker qualifizieren. Auch für ein Fernstudium lässt sich die Zeit hinter Gittern nutzen. Allerdings haben längst nicht alle Gefangenen die Chance, auch tatsächlich zu arbeiten: Genau wie draußen gibt es viel zu wenig Jobs. So sitzt etwa ein Drittel der Männer mehr oder weniger den ganzen Tag beschäftigungslos in einer Acht-Quadratmeter-Zelle, oft nur mit der Toilette hinterm Vorhang.

In der Blech- und Stahlwerkstatt sind 22 Gefangene untergekommen. Automatisiert ist hier fast nichts und viele Werkzeuge gibt es nur auf Nachfrage. Grinsend deutet Schlossermeister Joachim Huntzicker auf das Sortiment Handsägen, das in seinem vollgestopften, von einem riesigen Aquarium beherrschten Büro an der Wand hängt: "unser Heiligtum." Regelmäßig versuchen er und seine beiden Kollegen, Aufträge an Land zu ziehen, damit seine Männer genug zu tun haben. Erst vorgestern waren sie bei einem "Tag der Seniorenheime" sehr erfolgreich: Zahlreiche Heimleiter haben große Metalltiere zum Anfassen bestellt. Huntzicker hatte sie überzeugt, dass vor allem Demenzkranke gerne so etwas in Händen halten.

In der Tischlerei - Bereich Spielzeug und Kleinmöbelproduktion. Ein polnischer Gefangener bemalt Kleinteile.

25 Jahre ist es her, seit der gebürtige Berliner einen besserbezahlten Job bei Siemens für die Beamtenstelle in Tegel sausen ließ. "Ist einfach kreativer hier. Und wenn einer was lernen will, dann bau ich den auf", begründet er seine Entscheidung. Zwar seien die Gefangenen nicht die einfachsten Zeitgenossen. Doch richtig nerven würden nur unengagierte Vollzugskollegen, flüstert der Mann mit dem verwaschenen "Justiz"-Aufnäher auf dem Hemdsärmel.

Waren im Wert von 1,5 Millionen Euro verkauft das Männergefängnis Tegel jedes Jahr an Privatleute oder -firmen. Dreimal wöchentlich hat der Shop geöffnet, der vor der großen Mauer mit dem Stacheldrahtzaun untergebracht ist. Hier gibt es vieles - vom Karteikasten bis zum Wanderschuh, der auf Wunsch nach den Farbvorstellungen des Kunden angefertigt wird. Vor allem an Basartagen ist der Andrang groß. Meike und Gerd O. kommen dann regelmäßig hierher. "Die Qualität der Produkte ist super", lobt der Familienvater aus dem Prenzlauer Berg. Zudem koste zum Beispiel der Gartengrill nur etwa halb so viel wie ein vergleichbares Exemplar in einem normalen Laden, ergänzt seine Frau. Michael R., der gerade für 400 Euro eine Tiffany-Lampe erstanden hat, erklärt seinen Kauf dagegen weniger unter dem Schnäppchenaspekt. "Es geht auch um die Anerkennung der guten Arbeit. Noch besser wäre es, wenn die Gefangenen direkter am Gewinn beteiligt würden."

Manche Berliner Handwerksbetriebe sehen die Konkurrenz aus dem Knast allerdings gar nicht gern. Erst vor kurzem hat sich die Druckereiinnung über eine Werbeanzeige aus Tegel beschwert. "Wir konnten aber belegen, dass wir durchaus nicht die billigsten sind", berichtet Klaus-Dieter Blank, der für das gesamte Arbeitswesen in der Justizvollzugsanstalt verantwortlich ist. Auch Manfred Löbel von der Berliner Handwerkskammer hält solchen Missmut für eine Ausnahme: "Es ist doch zu begrüßen, dass die Gefangenen etwas Sinnvolles zu tun haben." Axel Lindenlaub, bei ver.di für Justiz zuständig, vertritt die gleiche Position: "Die Arbeit ist für die Resozialisierung der Gefangenen extrem wichtig." Und weil sehr viel Handarbeit in den Produkten steckt, gibt es in den meisten Fällen keine entsprechenden privatwirtschaftlichen Angebote.

Basic D. (38, unten) und Stefan M. (24)

7,94 Euro am Tag verdienen Strafgefangene für einfache Tätigkeiten, qualifiziertere Arbeit bringt bis zu 13,23 Euro. Ein Teil des Lohns wird als Überbrückungsgeld für die ersten Wochen nach der Entlassung angespart. Von dem Rest können sich die Gefangenen Tabak, Joghurt, Apfelsinen oder Rasierwasser durch einen Händler liefern lassen oder sich ein neues Hemd aus einem Katalog bestellen.

Knapp eine Dreiviertelstunde muss Frank W.* in der Glaswerkstatt arbeiten, damit er seine Essensration um einen Becher Quark bereichern kann. "Wenn das Haltbarkeitsdatum dann mal wieder abgelaufen ist, ärgert man sich natürlich", sagt der 28-Jährige und fügt gleich hinzu: "Naja, wir sind ja nicht im Hotel und hier ist der Arbeitsdruck auch nicht so groß wie draußen."

Auf dem Bauhof: In der JVA gefertigte Gitter

Während zwei Kollegen gerade auf Montage sind - mal wieder sind nachts in einem Zellentrakt zwei Scheiben zu Bruch gegangen - puzzelt W. an einigen Tiffany-Blumenbildern herum. Nebenan steht ein älterer Mann in einer Qualmwolke und fügt viele Glassplitter zu einer Lampe zusammen. "Der ist ein workaholic," sagt W., ohne dass der Kollege reagiert. Spannungen gäbe es in der kleinen Glaserei-Werkstatt aber fast nie, beteuert W. - auch weil die Gefangenen mitreden dürfen, wenn ein Neuer dazukommt. "Im Kontakt mit anderen Menschen - denn es sind ja in erster Linie Menschen und nicht nur Gefangene - sozialisiert man sich ein stückweit", formuliert W., der in seiner Freizeit Bücher über Evolution und Politik liest und gerne einen intellektuell etwas anspruchsvolleren Job hätte.

Besserer Lohn

1998 hatte das Bundesverfassungsgericht ein Urteil gesprochen: Häftlinge müssen für ihre Arbeit besser bezahlt werden; die Niedrigentlohnung widerspreche dem Strafvollzugsgesetz. Doch weil die öffentlichen Kassen leer und der Betrieb von Gefängnissen mit ihrem Drei-Schichtbetrieb teuer ist, hat sich auch in den vergangenen Jahren kaum etwas am Lohn der Häftlinge geändert. Dafür können Häftlinge mehr "frei" bekommen - entweder in Form von Zellenurlaub oder durch eine vorgezogene Entlassung. Wer zwei Monate durchgehend gearbeitet hat, kann einen Tag früher raus.

Doch immerhin lernt er hier etwas Neues. "Und der Chef geht sehr vorsichtig mit seiner Macht um", lobt der Blonde mit dem Igelschnitt, der vor zwei Jahren in Tegel "eingefahren" ist und sich in den ersten Monaten geweigert hatte zu arbeiten. Inzwischen ist er froh, dass er jeden Morgen um sieben unten am Eingang des Zellengebäudes steht, bis irgendwann das Kommando kommt: "Arbeiter ausrücken." Dann geht die Tür auf und auch die vielen Gittertore auf dem Gelände stehen offen. An jeder Ecke beobachtet ein Beamter, dass niemand auf Abwege gerät oder etwas mitschleppt; nur die Schüler dürfen ihre Bücher in einem grünen Leinensack transportieren.

Zwei Minuten dauert W.s Weg zur Arbeit - vorbei an den großen Backsteinbauten mit den langen Reihen vergitterter Fenster, in denen Turnschuhe zum Lüften stehen und vorbei an ein paar Blumenbeeten mit akkurat gepflanzten Studentenblumen. Drei Jahre noch wird er morgens, mittags und abends hier entlanggehen - dann will er ein neues Leben beginnen. Irgendwo. Am besten im Ausland.

So weit denkt Muzaffer K. im Moment noch nicht. Er ist erst einmal froh, dass er seit vier Wochen überhaupt aus der Zelle kommt. "Ich hatte mich mehrfach beworben. Ein Jahr lang hab ich keinen Job gekriegt", berichtet der dunkelhaarige Mann mit dem grünen Sweatshirt. Jetzt sitzt er in einer rümpeligen Ecke des Sortier- und Montagebetriebs vor einem Holzkasten und schraubt kleine Metallplättchen auf die Führungsschienen von Waschmaschinen; die werden demnächst unter einem bekannten Namen vermarktet.

In der Schlosserei: Meister Joachim Huntzicker in seinem Büro

Aus dem oberen Stockwerk schallt lautes Lachen: Ein paar junge Männer blödeln, während ein Kollege einen Karton mit langen Männerunterhosen auf den Tisch kippt. "Vor einer halben Stunde war hier noch richtig Stunk", versucht Vorarbeiter Andreas M. sogleich den Eindruck zu zerstreuen, im Gefängnis gehe es lustig zu. Dann erklärt er den Männern, dass sie die alten Preisschilder abschneiden und mit einer Klemmzange neue Etiketten für den Wühltischverkauf anheften sollen. In der Reihe dahinter herrscht Schweigen; mehrere Paare Hände stecken bedächtig Postkarten mit goldenen Weihnachtsengeln und Vierkleeblättern in Zellophanhüllen.

"Vor der Wende hatten wir viel mehr solcher Aufträge, aber die werden jetzt meistens nach Osteuropa vergeben", bedauert Blank. Immerhin kehren einige Industriekunden inzwischen zurück: Der ewige Hin- und Hertransport der Montageteile führe häufig zu Verzögerungen. Wie viel Geld die Justizvollzugsanstalt für die Hilfsarbeiten kassiert, will Blank nicht sagen. Auch die Kunden müssen geheim bleiben; erst vor kurzem ging der JVA Tegel ein größerer Auftrag verloren, weil der Name des Unternehmens in einer Zeitung gestanden hatte.

Doch die meisten Produkte aus der Tegeler Anstalt werden sowieso nicht verkauft, sondern landen in der Berliner Verwaltung. "Mein Schreibtisch, mein Schrank, der Bürostuhl, das Stehpult - alles bei uns produziert." Blanks sonst so sachliche Stimme klingt jetzt fast ein bisschen stolz. Darüber hinaus binden die Häftlinge Bücher für die Berliner Justiz, bauen Puppenwiegen und Regale für Kitas und backen Brot für alle 5500 Gefangenen in den zehn Berliner Vollzugsanstalten. Summa summarum entlastet das den klammen Landeshaushalt um schätzungsweise sechs bis sieben Millionen Euro im Jahr.

Basic D. (38) bei Schweißarbeiten zur Herstellung einer Tür für die Sicherheitsschleuse

In der Holzwerkstatt schiebt Thomas P. ein paar Bretter durch eine Säge: eine Kita hat eine große Pinnwand bestellt. "Es ist schön, was für Kinder herzustellen. Und sicher ist die Arbeit wichtig - auch für die Zeit danach", sagt Thomas P., der einen Drachen auf seinen schmalen Arm tätowiert hat. "Aber die meisten schaffen es doch nicht und kommen immer wieder. " Auch sich selbst traut der 39-Jährige nicht mehr über den Weg, seit er wieder gedealt und einen anderen Menschen verletzt hat. Elf Jahre war er draußen - elf gute Jahre, wie er betont. "Aber dann habe ich es wieder nicht mehr auf die Reihe gekriegt." Das Leben im Knast sei zwar eintönig und hart - aber auf diejenigen, die einmal drinnen waren, wirke es in den entscheidenden Momenten trotzdem nicht abschreckend. "Ich habe nichts daraus gelernt." Ratlos streicht sich Thomas P. über seinen ruppig rasierten Hals.

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In der Glaserei: Mathias F. (49) bei Glas-Schleifarbeiten

Matthias F. dagegen ist optimistisch: "Ich bleib straffrei, das weiß ich." Wie ein biblischer Einsiedler sieht der 49-Jährige aus: lange, graue Haare im Gesicht und auf dem Kopf. Aus seinem Mund strömt intensiver Nikotingeruch, während er so hastig redet, dass er manchmal über seine eigenen Worte stolpert.

Als er vor 17 Jahren ins Gefängnis kam, da gab es die DDR noch. Matthias F. hatte vorher als Schlosser und Rinderzüchter in einer LPG gearbeitet. "Damals war ich ein anderer Mensch, unbeherrscht," berichtet er und murmelt, früher sei ihm eben eher die Sicherung durchgegangen. Jetzt will er es schaffen - unbedingt. Jede Woche darf er schon für ein paar Stunden raus. Dann besucht er ein alkoholfreies Begegnungszentrum. Sogar eine Hauswartsstelle hat er in Aussicht. "Aber ich würde auch sonst alles machen - einen Ein-Euro-Job, ganz egal", beteuert er.

Matthias F. will seine Entlassung gut vorbereiten. Er möchte in ein anderes Gefängnis verlegt werden, wo er als Freigänger draußen arbeiten darf - aber nur, wenn er sicher ist, dass es dort mit dem Job dann auch sofort losgeht. "So lange bin ich hier in der Werkstatt besser aufgehoben." Ohne Arbeit - das ist gefährlich, weiß er. Gerade erst ist ein Kumpel wieder straffällig geworden, der vor ein paar Monaten entlassen wurde. "Ich hab viel gelernt in den 17 Jahren," resümiert der Grauhaarige. "Und jetzt tu ich alles - alles, damit ich nicht abstürze."

Verkauf von handwerklichen Produkten der anstaltseigenen Arbeitsbetriebe: Kunde prüft die Qualität von Schuhen, Kunden sehen sich Erzeugnisse der Glaserei an

Besserer Lohn

1998 hatte das Bundesverfassungsgericht ein Urteil gesprochen: Häftlinge müssen für ihre Arbeit besser bezahlt werden; die Niedrigentlohnung widerspreche dem Strafvollzugsgesetz. Doch weil die öffentlichen Kassen leer und der Betrieb von Gefängnissen mit ihrem Drei-Schichtbetrieb teuer ist, hat sich auch in den vergangenen Jahren kaum etwas am Lohn der Häftlinge geändert. Dafür können Häftlinge mehr "frei" bekommen - entweder in Form von Zellenurlaub oder durch eine vorgezogene Entlassung. Wer zwei Monate durchgehend gearbeitet hat, kann einen Tag früher raus.

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