HENRIK MÜLLER ist Redakteur bei ver.di und Raucherfoto: RK

Nichtraucherschutz muss sein. Das stellt kein vernünftiger Mensch in Frage. Aber was in den letzten Monaten unter diesem Stichwort über die politische Bühne gegangen ist, mutet an wie die Anfänge einer Erziehungsdiktatur: Leute, die die Macht dazu haben, wollen mittels Verboten und Diktaten aus anderen Leuten bessere Menschen machen. Wer schützt also die 20 Millionen Raucherinnen und Raucher in Deutschland? Beispielsweise vor der Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses im Bundestag, Martina Bunge (Linkspartei): Sie fordert im Brustton der Überzeugung die gesellschaftliche "Ächtung des

Schadstoffs Rauch". So, wie die Debatte läuft, treibt sie eben einen weiteren Keil zwischen gesellschaftliche Gruppen, als gebe es derer nicht genug.

Von Bußgeldern bis zu 1000 Euro ist die Rede. Zigaretten an einem verbotenen Ort zu rauchen, ist also dreimal so schlimm, wie mit 120 Sachen durch eine geschlossene Ortschaft zu rasen. Das kostet nämlich nur 300 Euro. Da stimmen doch die Relationen nicht. Was ist zum Beispiel mit den Pestiziden in Obst und Gemüse, die unsere Gesundheit gefährden, was mit Hormonen und Antibiotika im Schweinefleisch? Warum werden andere gesundheitsschädigende Stoffe nicht ver-

boten, denen Menschen bei der Arbeit in Industrie und Dienstleistung ausgesetzt sind? Das alles bleibt erlaubt, weil es starke Lobbys gibt, die Verbote und Regulierungen verhindern.

Überall setzt die Politik auf Freiwilligkeit, auf Selbstverpflichtungserklärungen, auf die bessere Einsicht. Nur die Raucherinnen und Raucher will man mit harten Verboten an die Kandare legen. Der springende Punkt dabei: In der Debatte der letzten Monate hat sich kaum jemand um die Tatsache geschert, dass es sich bei der millionenfachen Abhängigkeit von Nikotin um eine schwere Sucht handelt, um diejenige mit der höchsten Rückfallquote. Da ist es doch nicht mit der Aufforderung getan, der Raucher, die Raucherin möge sich jetzt einfach mal zusammenreißen. Sucht und damit auch das Rauchen ist, so der Sucht- und Drogenexperte Günter Amendt im ZDF, "etwas Krankhaftes und nichts, das man abstellen kann, nur weil jemand sagt: Das darfst Du nicht." Apropos ZDF: Dort hat ver.di jüngst unter den Gewerkschaftsmitgliedern eine Umfrage gestartet, ob Rauchen im Sender verboten werden oder ob es freiwillige Lösungen geben soll. Erstes Zwischenergebnis Anfang März: 170 Kolleginnen und Kollegen sind für ein striktes Verbot, 120 wollen gnädiger mit den Nikotinabhängigen sein.

Wer zur Gesundheitsvorsorge oder auch nur um seines allgemeinen Wohlbefindens willen nicht von Tabakrauch belästigt werden möchte, hat darauf ein Recht und muss dieses Recht auch realisieren können. Aber in dieser Hinsicht haben die Raucherinnen und Raucher in den zurückliegenden 25 Jahren ihr Verhalten bereits grundlegend geändert. Damals wurde in politischen Versammlungen, in Bildungsveranstaltungen, im Nahverkehr, in den Fernzügen, im Flugzeug, selbst in Krankenhauszimmern gequarzt, dass die Schwarte krachte! Diese Zeiten sind doch längst vorbei. Wo darf man denn heute noch rauchen? In der industriellen Produktion schon lange nicht mehr, in Büros mit Publikumsverkehr nicht, in Großraumbüros nicht, im Nah- und Regionalverkehr nicht, in Fernzügen vielleicht noch in wenigen Abteilen.

Raucher verzichten oft nicht einmal, weil es verboten wäre, sondern weil es sich inzwischen einfach nicht mehr gehört. Und wo sie sich nicht benehmen können, da ist, wie in vielen Lebensbereichen, vielleicht mal ein wenig Zivilcourage angesagt. Auch bei Konflikten, die am Arbeitsplatz entstehen können, sind kollegiale Lösungen meistens der bessere Weg. Außerdem gibt es erste technische Lösungen für den Nichtraucherschutz, die ein zivilisiertes Miteinander von Rauchern und Nichtrauchern ermöglichen (Beispiele unter www.smokeandtalk.com und www.rauchfreie-luft.de). Und mehr Empathie, mehr Einfühlungsvermögen sind auf beiden Seiten vonnöten.

Jährlich mehr als 3000 Todesfälle durch Passivrauchen wiegen schwer, schreien nach Veränderung. Dennoch verbietet es sich, dafür den einzelnen Raucher, die einzelne Raucherin verantwortlich zu machen und nicht beispielsweise die Tabakindustrie, die alles tut, um die Sucht, die Nikotinabhängigkeit durch alle möglichen Zusatzstoffe noch zu verstärken. Schließlich hält der Staat seit Jahrzehnten freudig die Hand auf und signalisiert mit dem Kassieren immer höherer Tabaksteuern bis heute augenzwinkernd, dass das Genussgift Nikotin gesellschaftlich akzeptiert ist. Da können sie uns nicht plötzlich aufs stille Örtchen oder bei Wind und Wetter vor die Tür jagen.

Der Staat signalisiert mit dem Kassieren immer höherer Tabaksteuern augenzwinkernd, dass das Genussgift Nikotin gesellschaftlich akzeptiert ist