Ausgabe 04/2007
Schlanker Staat gescheitert
Hermann Zoller ist ver.di-Mitglied und SPD-Gemeinderat in Schwaikheimfoto: röttgers
Deutschland ist ein Technik- und Wirtschaftsstandort der Spitzenklasse; der Titel Exportweltmeister wurde schon mehrmals errungen. Das ist die glänzende Seite der Republik - auf der anderen hat sie viele Rostflecken. Durch die Politik der Steuergeschenke an die Wirtschaft und die "Verschlankung" des Staates mit dem Ziel der Privatisierung von staatseigenen Unternehmen bis zu den persönlichen Lebensrisiken wurde kein Problem gelöst, es wurden nur neue Probleme geschaffen.
Ganz bewusst und mit Absicht wird der Staat in seiner Fähigkeit eingeengt, Politik für die Bürgerinnen und Bürger
zu gestalten. Zweistellige Milliardenbeträge werden der Wirtschaft jedes Jahr an Steuern geschenkt. 29 Milliarden Euro kommen ohne überzeugende Begründung in den nächsten fünf Jahren als Sahnehäubchen dazu. Und Arbeitgeberpräsident Hundt drängt auf weitere "Erleichterungen", die ihm Wirtschaftsminister Glos auch prompt verspricht.
Für das Volk wird das große Sparen zur Staatsreligion erhoben. Die Kommunen, die zu den wichtigsten Konjunkturmotoren gehören, können kaum noch investieren. Die Arbeitslosigkeit steigt angeblich, Einkommen der Arbeitnehmer fallen auf den Stand von vor eineinhalb Jahrzehnten zurück, Renten- und Krankenversicherung bekommen durch niedrigere Beitragseinnahmen Probleme. Mit zweifelhaften Prognosen über die demographische Entwicklung wird bei den Menschen Zukunftsangst geschürt.
Systematisch werden "die öffentlichen Hände" als unfähig beschimpft, werden die sozialen Sicherungssysteme schlechtgeredet. Dahinter stecken Interessen. Der Staat soll auf "Kernaufgaben" reduziert werden: Der "schlanke Staat" soll der Wirtschaft die Spielräume sichern, die sie gerne hätte - entsprechend der alten Ideologie, der Markt regele alles zum Guten. Geschädigt wird damit die Volks-Wirtschaft, nicht zuletzt die politische Infrastruktur: die Demokratie. Die Menschen haben immer weniger Vertrauen in die Parteien und den Staat. Eine gefährliche Entwicklung, die nicht ernst genug genommen werden kann.
Der derzeitige, so hoch gelobte, allerdings schwache Aufschwung ist kein Beleg für die Heilwirkung dieser Politik. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit ist in erster Linie Schönheitspflege. Die Lobpreisungen sollen ablenken von den Folgen: Während sich die Reichen mit Staates Hilfe die Taschen füllen, verkommt Deutschlands Infrastruktur. Die Ergebnisse dieser "Schlankheitskur" sind beängstigend: In Schulen sind nicht nur die Fenster undicht und die Beleuchtung uralt, es mangelt auch an Lehrern. Die technische Ausstattung der Unterrichtsräume ist veraltet. Über die wachsende Gewalt an Schulen wird diskutiert, aber die Mittel für die Sozialarbeit werden gekürzt. Erst der befürchtete Mangel an Arbeitskräften scheucht die Politik auf. Wer zur Uni will, soll zahlen. Die Gebühren für Volkshochschulkurse und Unterricht in der Musikschule steigen. Die Eintrittspreise für Museen und Theater erleichtern nicht deren Besuch. Selbst Bundeswehrkasernen sind von Schimmel befallen. Die Polizei wird eingedampft; ihre Aufgaben übernehmen private Sicherheitsdienste, die Minilöhne zahlen.
Um finanzielle Spielräume zu gewinnen, verkaufen Städte ihren Wohnungs-bestand. Verkauft werden Wasserwerke, Krankenhäuser und Elektrizitätswerke. Die Müllentsorgung wird Privaten übergeben. Auch die Bundesebene privatisiert. Die Telekom wird zerschlagen und die Bahn soll an die Börse. Die Bundesdruckerei wird verscherbelt.
Diese Mängelliste ist unvollständig, zeigt aber, in welchem Maße den Bürgerinnen und Bürgern grundlegende Rechte genommen werden. Seit Jahren bewirkt die Finanz- und Wirtschaftspolitik Enteignung und Entmündigung, ein Stück Demontage der Demokratie. Weil sich nur die Reichen einen armen Staat leisten können, brauchen die meisten Bürgerinnen und Bürger aber einen starken Staat, der für sozialen Ausgleich sorgt, der eine nachhaltige Daseinsvorsorge, eine gemeinwohlorientierte und keine gewinnmaximierende betreibt.
Das Projekt "schlanker Staat" ist gescheitert. Für die meisten Menschen hat sich ihre Lage verschlechtert. Deshalb muss mit der Umgestaltung des Staates zu einer Agentur zur Realisierung von Unternehmerinteressen Schluss gemacht werden. Dazu gehört, den öffentlichen Händen das Geld zu geben, das notwendig ist, um unseren Staat als den sozialen Staat zu gestalten, den das Grundgesetz fordert. Geld ist genug im Land, es ist nur in den falschen Händen.
Während sich die Reichen mit Staates Hilfe die Taschen füllen, verkommt Deutschlands Infrastruktur