Ausgabe 05/2007
Frühwarner in gesellschaftlichem Interesse
Von Gabriele Bärtels |Wir haben in Deutschland keinen positiven Begriff für Insider mit Zivilcourage, die heraustreten und sagen, was sie von üblen Machenschaften in ihren Unternehmen wissen. Doch ein Netzwerk der so genannten Whistleblower wächst nun auch hierzulande
Stellen Sie sich vor, Sie sind langjähriger, engagierter Mitarbeiter eines Unternehmens und wissen zum Beispiel, dass in Ihrer Abteilung am Mindesthaltbarkeitsdatum für Tiefkühlfleisch manipuliert wurde. Oder Sie werden in einer Verwaltung angewiesen, gefälschte Belege zu verbuchen. Oder Sie haben Kenntnis, dass brisante Akten über Umweltschäden vernichtet werden sollen. Da aber alle anderen so tun, als wäre alles in Ordnung, reden Sie sich anfangs vielleicht ein, dass Sie sich geirrt haben, oder schließen die Augen wie die Kollegen. Die Abteilung ist Ihnen mit der Zeit ein bisschen Heimat geworden. Sie wollen das Betriebsklima nicht vergiften, und ja auch keine Petze sein, kein Nestbeschmutzer. Aber Sie sind dennoch überzeugt, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, und der volkswirtschaftliche Schaden oder gar ein mögliches Gesundheitsrisiko von einem Außenstehenden kaum entdeckt werden würde. Sie fühlen sich allein mit Ihren Beobachtungen, vielleicht sogar schuldig, aber gleichzeitig aufgerufen zu handeln.
Was machen Sie, wenn Sie erfolglos versucht haben, die Sache auf dem direkten Dienstweg zu klären?
Wir haben in Deutschland keinen positiven Begriff für Insider mit Zivilcourage, die heraustreten und sagen, was sie von üblen Machenschaften oder groben Fehlern wissen, weil ihr Gewissen sie dazu drängt. Eher sind unsere Hemmschwellen größer als anderswo, sich gegen Kollegen oder Vorgesetzte zu stellen, denn in unseren Köpfen sitzen - nur allzu berechtigt - Stasispitzel- und Nazidenunzianten-Bilder. Aber zwischen einem Denunzianten, der aus persönlichem Rachedurst oder Karriere-Interessen kleine Verfehlungen öffentlich macht, und einem, der im Interesse der Allgemeinheit Hinweise auf einen eklatanten Missstand in seiner Organisation gibt, besteht ein Panamakanal-breiter Unterschied.
In Amerika sind sie da schon weiter. Hier gibt es den Begriff des Whistleblowers, also des Pfeifenbläsers, der auffällige Verstöße in seiner Organisation erkennt und darauf aufmerksam macht. Schon zu Zeiten der Bürgerkriege wurden erste Gesetze zu seinem Schutz erlassen, denn den braucht er.
Hinweise von Mitarbeitern stoßen oft auf taube Ohren
Als um die Jahrtausendwende der ENRON-Konzern, einer der zehn größten Konzerne der USA, wegen fortgesetzter Bilanzfälschung zusammenbrach, 20000 Mitarbeiter ihre Arbeit und noch mehr Menschen ihr Geld verloren, hatte die dort beschäftigte Sherron Watkins ihre Vorgesetzten lange vorher auf schwere Verfehlungen in der Buchführung aufmerksam gemacht, war aber damit auf taube Ohren gestoßen. Nach dem Sarbans Oaxley Act müssen deshalb seit 2002 sämtliche in den USA börsennotierten Unternehmen interne Strukturen schaffen, die solchen Mitarbeiterhinweisen systematisch nachgehen. Das Time-Magazin zeichnete 2002 drei Whistleblower als person of the year aus.
Ausläufer davon schwappten nach Deutschland, denn auch deutsche Unternehmen wie Siemens sind in den USA tätig und haben interne Kontrollinstanzen eingerichtet. Doch von einer Welle der Erkenntnis, dass solche Anlaufstellen von großem volkswirtschaftlichen Nutzen wären und von offensiv ermunternden Verhalten für Hinweisgeber innerhalb hiesiger Unternehmen oder Verwaltungen kann bisher keine Rede sein, wie aus VW- und Siemensskandalen in jüngster Zeit erinnerlich ist.
Kummerbriefkästen genügen nicht
Rechtsanwalt Björn Rohde-Liebenau war lange im Vorstand von transparency international und berät bundesweit und international zum Thema Whistleblowing. Er meint, dass es mit Kummerbriefkästen nicht getan ist. "Die Praxis zeigt, dass ganz, ganz wenige Hinweise auf gravierende Missstände überhaupt beim Unternehmensvorstand ankommen." Es fehle an einer Kommunikationskultur, die zulasse, dass über Fehler und schwierige Themen gesprochen werden darf. "Kassandra" und "Des Kaisers Neue Kleider" fallen ihm als Stichworte ein. "Solche Leute werden als außerhalb der Gruppe stehend behandelt." Auch dann, wenn sie durch ihr mutiges Hervortreten eine Frühwarnstelle sind und großen Schaden von der Gesellschaft oder dem einzelnen Unternehmen abwenden können.
Im Herbst 2006 hat sich das deutsche Whistleblower-Netzwerk e.V. gegründet, ein Verein, der beraten und aufklären will. Der Vorsitzende Guido Strack, der als EU-Beamter in Luxemburg das Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) auf Unregelmäßigkeiten in seiner Dienststelle aufmerksam machte, weiß sehr gut, welche persönlichen Folgen Whistleblowing für einen Skandalaufdecker haben kann. In seinem kollegialen Umfeld tragen sie ihn nicht auf Händen, er erhält schlechte Beurteilungen, seine Karriereaussichten schwinden, vielleicht verliert er gar seinen Job, denn er kann sich ja auch strafbar machen, wenn er Betriebsgeheimnisse ausplaudert. Das Whistleblower-Netzwerk fordert gesetzliche Regelungen, wie es sie im angelsächsischen Raum bereits gibt: Das Recht auf eine faire und unabhängige Untersuchung, das Recht, staatliche Stellen einzuschalten und in letzter Konsequenz auch an die Öffentlichkeit zu gehen, sowie einen wirksamen Schutz gegen Repressalien oder wahlweise Schadenersatz für Nachteile, die dem Whistleblower aus seiner Couragiertheit erwachsen.
Der Verein kann als erste Anlaufstelle für Betroffene nur generelle Tipps geben. "Wir wollen signalisieren: Du bist nicht allein, Du bist kein Spinner. Wir können helfen, seine Motivation zu klären und uns auf die Suche nach Bündnispartnern begeben." Auch Strack betont, dass es nicht um Denunziantentum geht: "Ziel eines Whistleblowers ist es, eine unabhängige Überprüfung zu erhalten, die vielleicht sogar zu seinen Ungunsten ausfallen kann. Er handelt uneigennützig."
Die Berliner Bezirksverwaltung Spandau hatte 2002 einen Skandal im Sozialamt. Es war aufgedeckt worden, dass Sozialleistungen im großen Stil verschoben wurden. Der Bezirk nahm dies zum Anlass, eine Vorreiterrolle einzunehmen, und richtete die bundesweit erste externe Ombudsstelle für Korruptionsfälle ein, an die sich sowohl Beamte als auch Auftragsbewerber und Bürger unter Wahrung ihrer Anonymität wenden können. Rechtsanwalt Dr. Jürgen F. Kemper ist seit fünf Jahren für den Bezirk und inzwischen auch für die Wohnungsbaugesellschaft Gesobau-AG als Ombudsmann tätig. "Das war völlig neu für die öffentliche Verwaltung, es gab keinerlei praktische Erfahrungen." Schon allein durch die Arbeitsgruppen, die sich zusammensetzten, wurde das Modell auch intern publik und damit gleichzeitig positiv beworben.
Neutraler Beistand ist Teil der Lösung
Das System hat sich bewährt. Nachdem sie sich vergewissert haben, dass der Anwalt der Schweigepflicht unterliegt, solange sie es wünschen, kommen 95 Prozent der Anrufer oder Briefschreiber zu einem persönlichen Gespräch in die Kanzlei von Jürgen Kemper. Dass sie einer neutralen Person gegenüber stehen, beruhigt sie. "Dann filtere ich, was an ihrem Verdacht dran ist." So ergeben sich im Schnitt jährlich zehn Fälle, denen ernsthaft nachgegangen wird. "Das sind 300 bis 500 Prozent mehr wertvolle Hinweise, als die interne Korruptionsstelle des Bezirksamtes zuvor aufwies." Dass das so funktioniert, muss allerdings politisch beziehungsweise unternehmerisch gewollt sein, betont Kemper. Zu Mobbing oder anderen negativen Konsequenzen sei es bei diesen Whistleblowern in keinem einzigen Fall gekommen.
Das kann bei dickeren Fischen aber auch ganz anders sein, und dann sind die rechtlichen und persönlichen Folgen nicht zu überblicken. Bis die Gesetzeslage sich ändert und wahrscheinlich auch weiterhin, ist jedenfalls jedem Whistleblower anzuraten, sich sorgfältig zu informieren und neutralen Beistand zu suchen.
Whistleblower - amerikanisch für Pfeifenbläser, bildhaft für: Skandalaufdecker, Hinweisgeber
Informationen auf folgenden Websites: www.whistleblower-net.de, Vorstand Guido Strack, Taunusstraße 29a, 51195 Köln, 0221/1692193
www.risk-communication.de RCC Risk Communication Concepts, RA Björn Rohde-Liebenau, Mediator, Kanalstraße 10 B, 22085 Hamburg, 040/33739475, 0151/18450966
Ombudsmann gegen Korruption: RA Jürgen F. Kemper, Jägerstraße 59, 10117 Berlin, 030/2094-2753 www.ombudsmann-spandau.de, www.ombudsmann-gesobau.de
Literatur: Björn Rohde-Liebenau: Whistleblowing - Beitrag der Mitarbeiter zur Risikokommunikation, Edition der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf 2005, ISBN 3-86593-036-0, 82 Seiten, 10 €
Weitere Literatur mit einem Mausklick bei wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Whistleblower