Ausgabe 10/2007
Die Hessen wollen nicht betteln
In Gießen: Norbert Schreiner von ver.di Mittelhessen
Erster eigenständiger Warnstreik gegen Kochs Angriff auf Tarifautonomie
"Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen. In seiner allmächtigen Güte wird er es schon richten." - So könnte sich Roland Koch das gewerkschaftliche Nachtgebet seiner Beschäftigten vorstellen. Daraus wird aber nichts. Am 26. September fand ein hessenweiter Aktionstag statt, an dem sich selbstverständlich ver.di, aber auch die ebenfalls betroffenen Gewerkschaften GEW und GdP sowie der hessische DGB beteiligten. Eine zentrale Kundgebung fand in Wiesbaden statt. Dort sprachen unter anderem der DGB-Vorsitzende Sommer und der GdP-Vorsitzende Konrad Freiberg. Diese bundespolitische Präsenz unterstrich, für wie gravierend auch außerhalb Hessens die Angriffe der CDU-Alleinregierung auf die Tarifautonomie und damit auf die gewerkschaftlichen Lebensgrundlagen gehalten werden. Und der hessische Landesleiter Jürgen Bothner traf mit seiner Rede den Nerv der Warnstreikenden und der Demonstranten, wenn er Koch attackierte und ihn aufforderte, er solle sich endlich seiner Verantwortung bewusst werden und an den Verhandlungstisch zurückkehren.
3500 bis 4000 Bürger/innen hatten sich am Koch-Brunnen - genannt nach den dampfenden Heilquellen - gegenüber der Staatskanzlei versammelt. Da lief es dem Landesvater heiß über den Rücken.
Wir erinnern: Zum ersten Mal in der Geschichte des Bundeslandes und strikt gegen Buchstaben und Geist der hessischen Verfassung negiert Koch die Tarifautonomie. Zu seiner Bilanz zählt nicht nur, dass bis Ende des Jahres 2007 rund 4000 Stellen im öffentlichen Dienst vernichtet sein werden. Er will die Einkommensentwicklung der tariflichen Beschäftigten per Gesetz bestimmen, statt sie mit den Gewerkschaften auszuhandeln, wie das in freien Ländern üblich ist. Diese Entwicklung begann schon vor Jahren, als Hessen aus der Tarifgemeinschaft der Länder austrat und seither das für 14 Bundesländer geltende neue Tarifrecht für den öffentlichen Dienst nicht angewandt wird. Die gesetzliche Einkommensverfügung soll nun die Tarifpolitik ersetzen. Ende August brachte die CDU-Fraktion einen entsprechenden Gesetzentwurf ein.
Klammheimlich Mehrarbeit
Man muss dabei noch bedenken, dass die Tarifbeschäftigten in der Landesverwaltung - also alle, die nicht Beamte sind - seit 2004 nicht mehr Geld bekommen haben. Das ist also schon ein Weilchen. Als besondere Provokation kommt hinzu, dass diejenigen Beschäftigten, die ihre Arbeitszeit auf bis zu 42 Stunden in der Woche erhöhen, eine einmalige Prämie erhalten. Auf diese Weise soll klammheimlich, an freien Verhandlungen vorbei, die Arbeitszeit heraufgesetzt werden. Unter dem Strich bleibt als Ergebnis: Die Hessischen Landesbeschäftigten werden abgehängt, während man in anderen Bundesländern und in den Kommunen weiter geht.
Schluss mit dieser Praxis! Das machten sie in allen Landesteilen über die Landeshauptstadt hinaus durch Warnstreiks deutlich: 350 am Darmstädter Luisenplatz, 200 auf dem Kirchplatz in Gießen, 200 mit der Mahnwache am Hessendenkmal in Frankfurt, 120 in Fulda am Behördenzentrum, 500 in Kassel am Hessischen Behördenzentrum, 200 an der Uni-Klinik in Frankfurt und noch einmal 120 am Ziegentor in Gelnhausen. Christian Rothländer, der dies für ver.di Hessen koordinierte, zeigte sich zufrieden mit dem ersten eigenständigen hessischen Warnstreik in der Geschichte der Landesverwaltung "Dieses Signal ist auf der anderen Seite angekommen."
Renate Bastian