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Die Beschäftigten im Handel sahen rot – und das nicht wegen der roten Schirme. Für schöne Worte im blauen Himmel können sie sich nichts kaufenFoto: Zinken/picture alliance

Nach langen Verhandlungen und vielen Streiks im ganzen Land gab es Ende September einen Durchbruch in den Tarifrunden des Handels. Im Landesbezirk Hessen wurde ein erster Abschluss für die Beschäftigten des Einzel- und Versandhandels erkämpft, der seitdem vielfach in vergleichbarer Form übernommen wurde, auch für die Kolleg*innen im Groß- und Außenhandel.

Nach zwei Nachtsitzungen und insgesamt fast sechsmonatigen Tarifverhandlungen sei der Gordische Knoten in Runde sechs für die Beschäftigten im Einzel- und Versandhandel durchschlagen worden, sagte Bernhard Schiederig, ver.di-Verhandlungsführer und Landesbezirksleiter für den Handel Hessen, nachdem der Tarifvertrag unter Dach und Fach war. Mit einem Entgeltplus von 3 Prozent rückwirkend zum 1. August sowie 1,7 Prozent ab 1. April 2022 und je 30 Euro monatlich mehr in beiden Jahren der Laufzeit für die Auszubildenden sei ein Abschluss erzielt worden, "der die angespannte soziale Lage der Beschäftigten in der Corona-Pandemie berücksichtigt". Die Arbeitgeber hatten immer wieder versucht, einen Keil zwischen die Beschäftigten zu treiben, indem sie nur denen Lohnerhöhungen zubilligen wollten, deren Betriebe gut durch die Pandemie gekommen waren. Dieses Ansinnen konnte ver.di in allen Landesbezirken abwehren.

Erfolg der Streikenden

In Nordrhein-Westfalen (NRW), wo ver.di am 8. Oktober einen Tarifvertrag mit ähnlichen Eckdaten wie in Hessen für die rund 502.000 sozialversicherungspflichtig und 197.000 geringfügig Beschäftigten des Einzel- und Versandhandels im Land abschließen konnte, zeigten sich Mitglieder der Tarifkommission anschließend erleichtert, wenn auch nicht rundum glücklich: "Mehr war nicht herauszuholen." "Leider konnten wir den Mindeststundenlohn von 12,50 Euro nicht durchsetzen." Und: "Wichtig war es, dass wir uns nicht haben spalten lassen – Lebensmittelhandel gegen Textilhandel, wie es die Unternehmen gerne gehabt hätten." So äußerten sich Einzelne der Mitglieder.

"Wir müssen Tarifabschlüssen endlich wieder Wirkung in die Breite verschaffen!"
Orhan Akman, Leiter der ver.di-Bundesfachgruppe Einzel- und Versandhandel

Silke Zimmer, ver.di-Verhandlungsführerin und Landesbezirksleiterin NRW Handel, unterstrich, wie wichtig die nicht nachlassende Streikbewegung war: "Es ist der Erfolg der Aktiven und Streikenden aus den Betrieben, dass wir diesen langandauernden Tarifkonflikt im Einzelhandel nun endlich beenden konnten. Sie haben sich diesen Abschluss mit Mut und Ausdauer erkämpft und sind unbeeindruckt von Vorweganhebungen und anderen Spaltungsversuchen der Arbeitgeber geblieben", erklärte sie. Auch der drei Tage später im Groß- und Außenhandel erreichte Abschluss in NRW sei hier wie in anderen Landesbezirken dem unermüdlichen Einsatz der Beschäftigten zu verdanken.

Weitere Abschlüsse

Gestreikt hatten Kolleg*innen beider Fachgruppen bis in den Oktober hinein immer wieder – etwa bei H&M in Erlangen, vor einer Niederlassung des Pharmagroßhändlers Phoenix in Leipzig oder bei einer zentralen Kundgebung auf dem Berliner Breitscheidplatz, zu der 500 Beschäftigte von Ikea, Rewe, Kaufland, Galeria Karstadt Kaufhof, Edeka, Thalia, H&M und Primark zusammenkamen. Dank dieses anhaltenden Drucks konnten inzwischen in alle Bundesländern Tarifverträge abgeschlossen werden; zu guter Letzt auch in Mecklenburg-Vorpommern am 27. Oktober. Lediglich im Groß- und Außenhandel stehen hier und da noch letzte Gespräche aus.

Nicht gelungen ist es, die Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) der Tarifverträge durchzusetzen, die ver.di seit langem fordert. Dazu müssten, nach aktueller Gesetzeslage, Gewerkschaft und Unternehmensverbände sie gemeinsam beantragen. Das verweigern die Arbeitgeber jedoch. Orhan Akman, Leiter der ver.di-Bundesfachgruppe Einzel- und Versandhandel forderte sie auf, ihre Blockadehaltung zu beenden. "Wir müssen Tarifabschlüssen endlich wieder Wirkung in die Breite verschaffen!" Tarifflucht und ein Wettbewerb, der über Billiglöhne und damit auf Kosten der Beschäftigten ausgetragen werde, sei kein Zukunftsmodell für die Branche. Außerdem heize er den Vernichtungswettbewerb sowie die Krisen im Handel an.