Ausgabe 11/2007
Kollege oder Konkurrent
ver.di fordert von sich selbst den Einsatz für die Rechte der Einwanderer ohne Papiere
Weltweit leben 175 Millionen Menschen in der Migration. 86 Millionen unter ihnen haben ihre Heimat verlassen, um woanders Arbeit zu finden. 8,6 bis 13 Millionen halten sich in ihrem Einwanderungsland ohne Aufenthaltspapiere auf. 2,4 Millionen dieser so genannten Papierlosen sind Opfer von Menschenhandel. Und 270000 von ihnen leben in Europa. Soweit die Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation der UNO. Bedrückende Zahlen. Doch damit machen die illegal Beschäftigten nur ein Prozent aller Beschäftigten überhaupt aus.
Vielleicht ist das der Grund, warum es in Europa und speziell in Deutschland bisher keine Diskussion über Arbeitsmigrant/innen gibt. Das jedenfalls war ein Ergebnis des ver.di-Kongresses "Illegale Arbeit - illegales Leben" Ende Oktober. "Im Bereich der Erwerbstätigkeit ist kein Handlungsbedarf erkennbar", spielt der Prüfbericht 2007 des Bundesinnenministeriums das Problem herunter. Laut einer Untersuchung von Norbert Cyrus von der Universität Oldenburg haben sich aber auch die Gewerkschaften bisher nicht durch Einsatz für die Anliegen papierloser Arbeitnehmer/innen hervorgetan. Sie zu beraten, lehnen die Gewerkschaften meist ab, mit der Begründung, das sei rechtlich nicht möglich.
Doch jetzt bewegen sich die Gewerkschafter, weil sie sehen, dass immer mehr sichere Arbeitsplätze durch unsichere ersetzt werden. Und dass hinter jedem Papierlosen ein Schicksal steckt. 32 Milliarden US-Dollar werden jährlich allein durch den Handel mit Illegalen erwirtschaftet. Sie künftig als Kollegen und nicht als Konkurrenten zu sehen, ist ein Ziel, das sich ver.di gesteckt hat.
Der Fall Anna
In Hamburg hat ver.di den ersten Schritt bereits getan. Zusammen mit Kirchenverbänden nahm die Gewerkschaft sich des Au-Pair-Mädchens Anna an, das in einer reichen Hamburger Familie ausgebeutet und missbraucht wurde. Anna ist ver.di-Mitglied und wird daher Rechtsbeistand bekommen.
2005 hat schon einmal eine Hausangestellte in Frankreich erfolgreich geklagt. Der Europäische Gerichtshof verurteilte den Arbeitgeber zu einer Geldstrafe und Schmerzensgeld für die Klägerin wegen "Ausbeutung von Haushaltshilfen". So weit will auch ver.di-Hamburg gehen, wenn nötig. Andererseits gab der Fall Anna den Anstoß zu einer Studie, die zunächst in der Hansestadt das Leben der Papierlosen erfassen soll. Denn egal ob sie illegal in der Landwirtschaft, Gastronomie, Pflege oder in Haushalten arbeiten, ihnen allen droht der Lohn vorenthalten oder die Identitätspapiere entzogen zu werden, sie sind Willkür und Gewalt ausgesetzt. Mit der Studie will ver.di die Rechte dieser Menschen stärken. Eine Legalisierungskampagne ist das nächste Ziel.PETRA WELZEL