Ausgabe 12/2007
Entführung in Colombo
Von Annette Jensen |Entführung in Colombo
Fünf Gewerkschafter sitzen nach einer Demonstration ohne Anklage im Gefängnis
Sri Lanka: In der Textilfirma Marie de Classique
Entführungen und Morde sind in Sri Lanka wieder an der Tagesordnung. Der 2002 geschlossene Waffenstillstand zwischen der Regierung und den "tamilischen Tigern" (LTTE) ist längst gebrochen. "Jeder, der in Verdacht gerät, etwas mit den Aufständischen zu tun zu haben, kann verhaftet werden," berichtet Anton Marcus, Sekretär der Gewerkschaft der Freihandelszonenarbeiter. So wurden in einer Nacht im Februar ein Funktionär der Eisenbahnergewerkschaft und ein der Organisation nahestehender Journalist verschleppt. "Wir waren sehr beunruhigt; damals wurden mehrere Entführte später tot aufgefunden," sagt Marcus.
Gewerkschafter organisierten am Tag nach der Entführung eine Demonstration vor dem Hauptbahnhof in Colombo. Kurze Zeit später tauchten mehrere von ihnen auf Fahndungsplakaten auf. Der Vorwurf: Verbindung zu Terroristen. "Bis heute sitzen fünf Gewerkschafter wegen der Vorfälle im Gefängnis", so Marcus. Einen Richter haben sie noch nicht zu Gesicht bekommen.
Angst und Ungewissheit
Doch Marcus ist überzeugt: "Die Regierung weiß, dass wir keine Verbindung zur LTTE haben." Er vermutet andere Gründe, warum die Staatsführung Angst und Unsicherheit unter den Arbeitnehmervertretern verbreiten will. Durch den Bürgerkrieg sind die Lebenshaltungskosten in Sri Lanka exorbitant gestiegen. Die Unruhe in der Bevölkerung wächst, weil die Löhne zum Leben nicht mehr reichen. Die Regierung will verhindern, dass die Menschen für ihre Interessen kämpfen. In dieser Situation benutzt sie den Vorwurf, die Gewerkschaften würden mit der LTTE zusammenarbeiten, um sie öffentlich in Verruf zu bringen.
Die 14000 Arbeiterinnen, die Mitglied in der Freihandelszonengewerkschaft sind und überwiegend in der Textilwirtschaft arbeiten, verdienen einen Grundlohn von 6000 Rupien im Monat - weniger als 38 Euro. Davon müssen sie nicht nur Miete, Essen und den Bus-Transport zu den Fabriken bezahlen, sondern auch eventuell notwendige Arztbesuche. Viele unterstützen außerdem ihre Familien auf dem Land. Deshalb übernehmen sie viele Überstunden, haben nie Urlaub und gehen oft auch dann in die Fabrik, wenn sie krank sind. Nur so bekommen sie den Bonus von etwa sechs Euro monatlich für permanente Anwesenheit.
Wohlwollen der Konzerne
Die meisten Firmen in den Freihandelszonen gehören Eigentümern aus Hongkong, Singapur und Korea; doch es gibt auch europäische und US-amerikanische Unternehmen. Die großen Konzerne sind zwar nicht unmittelbar an der Anti-Gewerkschafts-Kampagne der Regierung beteiligt. "Aber sie beobachten sie mit Wohlwollen", davon ist Marcus überzeugt. Schließlich versuchen er und seine Kollegen nicht nur, die Arbeitsbedingungen in den Betrieben zu verbessern. Sie wollen auch die Konsumenten informieren, dass ihre Kleider von Menschen hergestellt wurden, die einen Hungerlohn verdienen. An solchen Kampagnen ist kein internationales Unternehmen interessiert. Marcus berichtet, dass viele Betriebe, in denen eine Gewerkschaft Fuß gefasst hat, erst einmal geschlossen werden. "Die Belegschaft zerstreut sich notgedrungen in alle Winde; manche Arbeiterinnen gehen zurück in ihre Dörfer, andere versuchen, woanders einen neuen Job zu finden. Einige Gewerkschaften sind aus solchen Gründen in den vergangenen Jahren zusammengebrochen." Manche Unternehmen wie Star Garments aus den USA versuchen aber auch, den gleichen Effekt auf andere Weise zu erreichen: Hier bot das Management den Gewerkschaftsmitgliedern Geld für den Austritt aus der Gewerkschaft an.
Die Textilindustrie ist Sri Lankas wichtigster Exportsektor. Nachdem die Massenproduktion von T-Shirts und anderen Billigprodukten nach China verlagert worden ist, konzentriert sich die Branche des Inselstaats heute auf höherwertige Mode. So sind zwar die Exportmengen gesunken, doch zugleich stiegen die Einnahmen der Unternehmen. Näherinnen sind jetzt gesuchte Arbeitskräfte in Sri Lanka. 25000 Jobs können zur Zeit nicht besetzt werden.
Wenn Arbeitskräfte knapp sind und die Firmen steigende Gewinne verzeichnen, ist das eine gute Ausgangslage für Gewerkschaften. Doch die Angst um Leib und Leben hält die meisten Arbeiterinnen in Sri Lankas Freihandelszonen davon ab, sich zu organisieren.