Der Postmindestlohn wird kommen. Doch ver.di will mehr: den gesetzlichen Mindestlohn von zunächst 7 Euro 50 für alle Branchen

Von ver.di engagiertes Wachpersonal erhält 7,50 Euro die Stunde, die meisten Unternehmen zahlen weniger, wenn sie Wachschutz anheuern

Er war noch nicht einmal offiziell besiegelt, da sickerte schon durch, wie er umgangen werden soll: der tarifliche Mindestlohn für Briefzusteller. Ganz nach dem mittlerweile offenbar vorherrschenden Unternehmer-Motto: Tarife sind dazu da, unterlaufen zu werden. So ist aus den privaten Zustelldiensten zu hören, man werde die Aufträge künftig an Subunternehmen vergeben, die nicht unter den Geltungsbereich des Mindestlohn-Tarifvertrags für Briefzusteller fallen. Etwa weil sie überwiegend Zeitungen, vor allem Anzeigenblätter, zustellen. Und wer soll schon kontrollieren, so das Kalkül privater Postdienstleister wie der Pin AG, welcher Zusteller an welchem Tag mehr Briefe als Zeitungen zustellt.

Während so mit Energie daran gebastelt wird, die Niedrigstlöhne zu erhalten, wurden neue Zahlen über den dramatischen Anstieg der Zahl derjenigen bekannt, die durch die Niedriglöhne in die Hilfsbedürftigkeit gedrängt werden: 1,3 Millionen Menschen in Deutschland sind erwerbstätig, müssen aber zusätzlich zu ihrem Lohn Hilfen nach Hartz IV beantragen, weil der Lohn zum Leben nicht reicht. Darunter knapp 450000 sozialversicherungspflichtig in Vollzeit Beschäftigte. Diese Zahlen hat das Institut für Arbeitsmarktforschung, das der Bundesagentur für Arbeit angegliedert ist, im November vorgelegt. Und diejenigen, die den Bittgang zum Amt aus Scham oder Stolz bislang scheuen, tauchen in diesen Erhebungen naturgemäß gar nicht auf, sondern bleiben in der Dunkelziffer verborgen.

Ruinöse Dumpinglöhne

ver.di und der DGB werden daher ihre Kampagne für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von zunächst 7,50 Euro weiter verstärken. "Wir werden diese Forderung in alle bevorstehenden Wahlkämpfe einbringen", kündigte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske an. Parallel dazu wird die Gewerkschaft die Einführung von Mindestlöhnen in den besonders vom Lohndumping betroffenen Branchen forcieren. So etwa für die Beschäftigten im Bewachungs- und Sicherheitsgewerbe und in Callcentern.

Und auch für Pflegekräfte soll es möglichst bald schon einen Mindestlohn geben. Für Anfang Januar sei ein Gespräch in dieser Sache mit den Arbeitgebern im Pflegebereich geplant, berichtet Ellen Paschke, im ver.di-Bundesvorstand unter anderem für die Pflegeberufe zuständig. Ausgerechnet im Pflegebereich, so Paschke, herrsche ein ruinöser Wettbewerb mittels Dumpinglöhnen. In Mecklenburg-Vorpommern etwa zahlen private Anbieter ihren ambulant tätigen Pflegekräften gerade einmal vier Euro die Stunde, in den alten Bundesländern gibt es Niedriglöhne zwischen 5,50 und 6,50 Euro.

Die politischen Entscheidungsträger der Regierungskoalition liefern sich derweil einen fortgesetzt aufgeregten Schlagabtausch zum Thema Mindestlohn: Was in fast allen übrigen EU-Staaten seit Jahren möglich ist und keineswegs zum Untergang des Arbeitsmarktes geführt hat, lehnen CDU und CSU weiter kategorisch ab - ein gesetzlicher Mindestlohn sei mit ihnen nicht zu machen. Verhandelt werden könne aber über weitere tarifliche Mindestlöhne im Wege der Aufnahme einzelner Branchen in das Entsendegesetz. Der Koalitionspartner SPD dagegen will mit der Forderung nach dem gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro in die Wahlkämpfe ziehen.

Gigantische Gehälter

Unterdessen geriet neben dem Niedrigstlohn das andere Extrem in die Debatte: die gigantischen Einkommen deutscher Manager. Die müssten zumindest offen gelegt, womöglich sogar begrenzt werden, fordert die SPD. Und damit es in dieser Sache vorangeht, will sie zunächst einmal einen Arbeitskreis gründen.

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