Max und Moritz in der U-Bahn

Eva Weissweiler: Wilhelm Busch - Der lachende Pessimist | "Wer Sorgen hat, hat auch Likör", "Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr" oder "Drei Tage war der Frosch so krank, jetzt raucht er wieder, Gott sei Dank": Das sind nur drei Verszeilen Wilhelm Buschs, die wie hunderte andere in unseren täglichen Sprachgebrauch eingegangen sind. Bis heute wachsen Kinder mit den Geschichten um Max und Moritz auf, der unbestrittene Urvater des Comic wurde mit seinem Genre reich und weltberühmt - und blieb als Mensch weitgehend unbekannt. Eva Weissweiler, die Biografin von Clara Schumann, Tussy Marx und der Familie Freud, ist der eigenbrötlerischen, verschlossenen Persönlichkeit des Malers, Karikaturisten und Dichters anlässlich seines 175. Geburtstag am 15. April 2007 und seines 100. Todestag am 9. Januar 2008 auf faszinierende Weise auf die Spur gekommen. Sie betrachtet das Leben des lebenslangen Junggesellen, exzessiven Rauchers und Trinkers aus dem gottverlassenen niedersächsischen Dörfchen Wiedensahl vor dem Hintergrund der politischen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts und deutet klug und überzeugend die Geschichte von Max und Moritz als Buschs kritische, sogar anklagende Beschreibung eines sozialen Skandals: Von ihren verarmten, ausgewanderten Eltern zurückgelassene Kinderhorden zogen hungernd und stehlend, von der Obrigkeit verfolgt, über die Dörfer. Auch Die fromme Helene ist für die Kölner Autorin kein frauenfeindliches Pamphlet des grimmigen Zynikers, dessen Beziehungen zu Frauen weitgehend im Dunkeln bleiben, sondern seine Kritik an der zeitgenössischen Frauenrolle. Buschs scharfer, entlarvender Blick auf "typisch Deutsches" wie in der Geschichte von Tobias Knopp wird bis heute universell verstanden. Ebenso wie sein Antisemitismus in Fips, der Affe abstößt oder sein Franzosenhass in Monsieur Jacques befremdet und doch nur die Prägung durch seine Zeit beweist. Auf den sensibilisierten Blick der Weissweiler-Leser wirken Buschs genüsslicher Sadismus und die zeichnerische Akribie für grausamste Tötungsarten vor allem bei Tieren verstörend. Sie sind Ausdruck seiner tiefen Überzeugung von der Bösartigkeit des sündigen Menschen. Weissweiler beleuchtet die zutiefst widersprüchlichen Facetten des einsamen Genies auch anhand seiner Gemälde, seiner teilweise wunderbaren Gedichte und seines umfangreichen Briefwechsels mit vielen bedeutenden Künstlern seiner Zeit.

ULLA LESSMANN

Kiepenheuer & Witsch, 381 S., 19,90 €


Inci Y.: Erzähl mir nix von Unterschicht | Kann jemand ohne nennenswerte Schulbildung ein Buch schreiben? Womöglich eines, das einen in seinen Bann schlägt und auch dann noch beschäftigt, wenn das Buch längst wieder zugeklappt ist? Erzähl mir nix von Unterschicht beweist, dass beides möglich ist. Erzählt wird eine Geschichte, die einen beim Lesen ungläubig den Kopf schütteln lässt. Und diese oft genug blankes Entsetzen auslösende Geschichte ist keineswegs erfunden. Denn unter dem Pseudonym "Inci Y." gibt eine junge und miserabel ausgebildete Türkin einen Bericht, der nur eine Beifügung verdient: "Krass!" In Deutschland geboren, kommt die ein Jahr alte Inci auf Veranlassung ihrer Eltern in die Obhut ihrer in Izmir lebenden Großmutter. Zehn Jahre später holen die Eltern das Mädchen nach Deutschland, um es nur vier Jahre danach in die Ehe mit einem in Anatolien lebenden Mann zu zwingen. Inci Y. bekommt zwei Kinder, lässt sich scheiden und kehrt voller Hoffnung nach Deutschland zurück. Doch Moralvorstellungen, deutsche Behörden und viele nur auf ihren eigenen Vorteil bedachte Individuen bescheren der um ihr und das Überleben ihrer Kinder kämpfenden Inci Y. einen einzigen Horrortrip.

AS

PIPER 2007, 272 SEITEN, 16,90 €


Kirsten Liese: Elisabeth Schwarzkopf |"Die einzige wirkliche Gesangskünstlerin des vorigen Jahrhunderts" hat Dietrich Fischer-Dieskau sie genannt. Elisabeth Schwarzkopf wäre am 9. Dezember 2007 92 Jahre alt geworden. Sie studierte und debütierte in Berlin - 1938 in Wagners Parsifal. Als Marschallin in Richard Strauss' Rosen- kavalier wurde die Sopranistin weltberühmt. In ihrem Buch, der ersten Bildmonografie über die Künstlerin, erzählt die Autorin sehr persönlich von ihren Begegnungen mit der Sängerin. Sie traf die Schwarzkopf im Jahr 2005 an einem Wochenende zu langen, vertrauensvollen Gesprächen bei deren allerletzter Meisterklasse. Vor ihrem Tod übergab Elisabeth Schwarzkopf Kirsten Liese ihre private Fotosammlung. Daraus entstand der vorliegende deutsch-englische Bildband. Die meisten der anrührenden Schwarz-Weiß-Bilder aus der Opernwelt der 50er Jahre machte die Wiener Fotografin Lillian Fayer, eine Vertraute der Sängerin.

CVZ

MOLDEN VERLAG 2007, 180 SEITEN, 24,90 €


Roswitha Schieb: Die beste Zeit Am Bahnhof Zoo in den 80er Jahren. Eine junge Frau sucht Grenzerfahrungen buchstäblicher und emotionaler Art. "Ich wusste selbst nicht, warum ich in diesen Zug gesprungen war." Der Ich-Erzählerin ist für ihre Reisen jedes Mittel recht: Bahn, Auto, Erinnerung, selbst in ihren Träumen muss sie sich mit widerspenstigen Transportmitteln herumschlagen. Dagegen kann ihr Bildungshunger von der Schwärmerei für den Reiseleiter erstickt werden und selbst Sizilien zur Kulisse werden. "Wir wussten es noch nicht, es war die beste Zeit gewesen." Dieses Gefühl verbindet sich mit einem Ausflug in den noch nicht vereinheitlichten Osten der Nachwendezeit. Roswitha Schieb, bisher vor allem Reiseschriftstellerin, legt hier eine Erzählung vor, die von den Umwegen der Liebe handelt, zwischen Berlin, Moskau, Port Bou und Stechlinsee. Und einige Reisegefährten enthüllen erst spät ihre wahre Identität.

KLIXLITERATURMETZGEREI, 208 S., 14,90 €