51 Jahre Zweisamkeit

Die Liebe in den Zeiten der Cholera | Florentino Ariza trägt seinen Kopf immer etwas eingezogen zwischen den Schultern, als versuche er, irgendwelchen Schlägen auszuweichen. Schon als 18-Jähriger, als er am Ende des 19. Jahrhunderts Telegramme von einem kolumbianischen Küstenort in die Welt morst und vor Ort angekommene überbringt, rennt er gebückt durch den Tag. Die eine der beiden männlichen Hauptfiguren in Gabriel García Márquez' Roman Die Liebe in Zeiten der Cholera ist ein linkischer Mann, alles andere als attraktiv. Letzteres ist er auch in der nun 23 Jahre nach Erscheinen des Romans anlaufenden Verfilmung von Mike Newell nicht. Aber wie in den über 500 Buchseiten gelingt es Florentino Ariza auch im Film als ewig Liebender einerseits und Frauenheld andererseits zu überzeugen. Wenn er liebt, egal ob mit dem Herzen oder nur dem Gemächt, ist er aufrichtig, alles in ihm richtet sich auf, nicht zuletzt sein Kopf. Allein um zu sehen, wie sich Javier Bardem die Rolle des Florentino Ariza auf den Leib schreibt, den Bückling und den Liebenden zu einer liebenswerten Person vereint, lohnt sich der Weg ins Kino. Zumal Bardem zurzeit auch als Auftragskiller in dem Thriller No Country for Old Men zu sehen ist und dort den klassischen knallharten Mann steht. Die Liebe in Zeiten der Cholera ist dagegen eine Herzensangelegenheit, die nur am Rande Platz lässt für den Mann als Draufgänger. Roman wie Film erzählen die Geschichte einer unerschütterlichen Liebe, eines dauerhaften Gefühls, das über 50 Jahre ungebrochen hält, bis es tatsächlich gelebt werden kann. Nach Hundert Jahre Einsamkeit schrieb Gabriel García Márquez hier ein Kultbuch über die Liebe; über eine 51-jährige, ungewöhnliche Zweisamkeit entlang von Kriegen, Pest und Cholera im postkolonialen Kolumbien. Mike Newell, dem Regisseur, ist es gelungen, die Poesie und den Bilderreichtum der Vorlage in eindringliche laufende Bilder zu übersetzen. Etliche Nebenschauplätze des Romans hat sich der Film gespart. Er konzentriert sich ganz auf die Lebensstränge von Florentino Ariza und Fermina Daza, die Frau, die er sein Leben lang liebt, die er aber erst nach einem halben Jahrhundert wirklich erobern kann. Er ist noch immer ziemlich unansehnlich und sie dann auch nicht mehr die Schönheit, die sie einst war. So kann man eben auch von wahrer Liebe erzählen: Es gibt sie, aber sie ist schwer zu leben.

Petra Welzel

R: MIKE NEWELL, D: JAVIER BARDEM, GIOVANNA MEZZOGIORNO, BENJAMIN BRATT, USA 2007, 138 MIN., KINOSTART: 21.2.08


I'm not there | Ein erfrischend gewagtes Konzept für eine filmische Musiker-Biografie weit abseits des Üblichen. Nicht nur einer, sondern gleich sechs Schauspieler verkörpern Bob Dylan, illuminieren prägnante Stationen seiner Karriere und Aspekte seiner hermetischen Persönlichkeit. Und obendrein wird jede dieser bunt durcheinander gewürfelten Dylan-Episoden in einem jeweils eigenen visuellen Stil porträtiert. Das orientiert sich mal verspielt an Federico Fellini, an Sam Peckinpah oder auch an Jean-Luc Godard: Regisseur Todd Haynes (Velvet Goldmine, Dem Himmel so fern) streicht das Leben Bob Dylans nicht auf die Standardformel vom Aufstieg, Fall und Comeback eines Musikers zusammen. Sein stimulierender Film gleicht vielmehr einem schillernden Rubik-Würfel und lässt sich als kaleidoskopartige Annäherung eines Kinokünstlers an eine komplexe und konsequent rätselhaft bleibende Musikerikone beschreiben. Ein eigenwilliges Experiment, das aber durch und durch aufgeht.

ROBL

USA 2007; R: TODD HAYNES; D: CHRISTIAN BALE, CATE BLANCHETT, HEATH LEDGER, RICHARD GERE; L: 136 MIN.; KinoSTART AM 28.02.08


Trip To Asia | Junge Menschen für klassische Musik begeistern - das will Simon Rattle als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. Und das will auch Thomas Grube, der mit seinem Trip To Asia so etwas wie eine Fortsetzung von Rhythm is it! anstrebt. Diesmal begleitet Grube das Orchester auf einer dreiwöchigen Tournee nach Peking, Seoul, Shanghai, Hongkong, Tokio und Taipeh. Zentrales Thema ist das Zusammenwirken von Tradition und Moderne. Neben zwei Meilensteinen des klassisch-romantischen Repertoires von Richard Strauss und Beethoven stellt Rattle eine Hommage an Techno-Klänge der Londoner Clubszene. Solche kontrastierenden Klangwelten korrespondieren mit dem bizarren Nebeneinander von Jahrtausende alten Schreinen und imposanten Wolkenkratzern. Im Gegensatz zu Rhythm is it! überfrachtet Grube diese Doku zwar mit Protagonisten, Bildern und Klängen. Ergebnis ist gleichwohl das liebenswerte Porträt eines Mikrokosmos, dessen unterschiedliche Persönlichkeiten gemeinsam nach dem perfekten Einklang suchen.

KL

D 2008. R. THOMAS GRUBE, D: SIMON RATTLE, ALBRECHT MAYER, U.A., 108 MIN.