Ausgabe 03/2008
Kinder brauchen viele Hände
Von Birgit Tragsdorf |Rita Offhaus ist mit Leib und Seele bei der Arbeit
ver.di will für Thüringens Kinderbetreuung Verbesserungen für die Kinder und Erzieherinnen
Von Birgit Tragsdorf
Seit zwei Jahren regelt in Thüringen ein neues Kindertagesstättengesetz, wie die Jüngsten betreut, Erzieherinnen arbeiten, die Kindertagesstätten ausgestattet werden.
Das Gesetz sollte Verbesserungen bringen. Genau das tat es aber nicht, so die Einschätzung von ver.di-Fachleuten und von Beschäftigten in den Einrichtungen. Die Zeit, die die Erzieherinnen für die Kinder haben, ist nicht mehr geworden. Der Personalschlüssel des Gesetzes (s. Kasten) berücksichtigt viel zu wenig die Anforderungen des Erzieherberufes und die Arbeiten, die neben der eigentlichen Betreuung noch anfallen.
In Thüringen haben Kinder ab dem zweiten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Die Zweijährigen können schon in den Kindergarten gehen, obwohl sie in der Krippe erfahrungsgemäß viel besser aufgehoben wären. Sie sind einfach noch zu jung für größere Gruppenstärken. Sie brauchen mehr Hilfen im Alltag und können schon mal im Trubel der Vorschulkinder untergehen. Auch hier hilft: mehr Personal für die Kleinen.
ver.di hinterfragt deshalb kritisch die jetzt vielerorts entfachte Debatte um Gebührenbefreiungen. Natürlich wäre es gut, die Bildung im Kindergarten auch finanziell der Bildung in der Schule gleichzustellen. Der Finanztopf ist jedoch begrenzt. Eltern, Erzieherinnen und ver.di wollen lieber mehr Personal in den Einrichtungen. Das kommt allen Kindern zugute. Für gering verdienende Eltern ist durch die Sozialgesetzbücher die Kinderbetreuung ohnehin schon kostenlos. Und bei einer Betreuungsquote von knapp 95 Prozent aller Kinder ist eine wesentliche Steigerung der Anmeldungen durch eine Gebührenbefreiung eher nicht zu erwarten. Eine bessere Personalausstattung hat also Vorrang.
Kinderbetreuung im thüringischen Gotha
In Gotha gibt es 18 Kindereinrichtungen, davon ist jeweils die Hälfte in kommunaler und in freier Trägerschaft. PUBLIK besuchte die Tagesstätte Spatzennest in der Moßlerstraße und schaute sich um, wie dort die Kleinsten betreut werden. In die Krippe kommen 27 Kinder im Alter von acht Wochen bis zwei Jahre. 6,5 Erzieherinnen-Planstellen stehen für die Betreuung zur Verfügung. Und: Alle Krippenerzieherinnen haben eine fachbezogene Ausbildung.
Es ist ein phantasie- und liebevoll eingerichtetes Haus. Das Besondere ist das Kneippsche Prinzip. Für die Kinder gibt es Angebote rund ums Wasser, gesunde Ernährung und ein lebensbezogenes Konzept.
Rita Offhaus arbeitet hier als Erzieherin. Sie ist 48 Jahre alt und die Jüngste unter den Kolleginnen. Sie ist mit Leib und Seele Erzieherin. Und weil sie nah bei den Kindern ist, also meist im Hocken oder auf den Knien, spürt sie bereits die langen Berufsjahre. Sie und ihre Personalratskollegin, die Kindergärtnerin Ursula Kalb, sind ja froh, dass alle ihren Arbeitsplatz haben, aber sie wünschen sich auch im Interesse der Erzieherinnen und der Kinder, dass die Kindereinrichtungen wieder junge Leute einstellen können.
Wenn auch in der Krippe des Spatzennestes der Personalschlüssel fast den Vorgaben entspricht, wollen auch die Leitung und die Erzieherinnen lieber mehr Personal als eine Gebührenbefreiung. In den Personalschlüssel sollten eingerechnet werden: Urlaub, Pufferzeiten für Ausfall bei Krankheit, die tatsächliche Öffnungsdauer der Krippe von elf Stunden, Weiterbildung in der Arbeitszeit und nicht in der Freizeit, Vor- und Nachbereitungszeit, die Dokumentation der Entwicklung jedes Kindes und die Möglichkeit, jedes Kind nach seinen Möglichkeiten zu fördern. Dann wird es für die Kleinen im Spatzennest noch behaglicher.
Sie arbeiten weniger, um Stellen zu sichern
Und auch die Elternarbeit darf nicht zu kurz kommen. Die Eltern suchen meist das Gespräch und den Austausch, denn sie wollen für ihre Kinder die beste Betreuung, erzählt Rita Offhaus.
Dass sich Diskussionen im Personalrat und unter den Kolleginnen auch um die Bezahlung der Erzieherinnen drehen, ist klar. Die im Vergleich mit anderen Berufen schlechte Bezahlung wird noch ungünstiger, weil viele Erzieherinnen bei weniger Geld kürzer arbeiten, um bei zurückgehenden Kinderzahlen möglichst viele Jobs zu sichern.
Rita Offhaus und ihre Kolleginnen sind am 19. Februar dem Warnstreik-aufruf von ver.di gefolgt, um der Forderung nach kräftigen Einkommenserhöhungen Nachdruck zu verleihen.
Thüringer Kindertageseinrichtungsgesetz
(ThürKitaG), Personalausstattung
Die Bemessungsgröße für die pädagogische Arbeit in der Kindertageseinrichtung ist mindestens:
1. eine pädagogische Fachkraft für jeweils sieben Kinder im Alter von null bis zwei Jahren;
2. eine pädagogische Fachkraft für jeweils zehn Kinder im Alter zwischen zwei und drei Jahren;
3. eine pädagogische Fachkraft für jeweils 15 Kinder nach Vollendung des dritten Lebensjahres bis zur Einschulung.