Ausgabe 03/2008
Wir brauchen mehr Geld
Von Katharina Schönwitz |Bisher haben nur einige wenige Unternehmen ihren Beschäftigten eine kleine, unverbindliche Lohnerhöhung angeboten. Also wird im Einzelhandel in vielen Bundesländern weiter gestreikt. Der Konflikt zieht sich teilweise schon seit vergangenem Sommer und damit fast ein Jahr hin. ver.di fordert Tarifverträge für alle, zwischen 4,5 und 6,5 Prozent mehr Lohn, die Erhaltung der Zuschläge für Spät- und Wochenenddienste und zusätzlich einen Sicherheitstarifvertrag. Ein regionaler Schwerpunkt mit Streiks und Protesten lag dieser Tage in Stuttgart und Umgebung. Eine Reportage
Betriebsrätin Donath und ihr rollendes Streikbüro
Wie man sich wehrt, sagt Birgid Donath, hat sie von ihren Eltern gelernt. Ihr Vater opponierte gegen das DDR-Regime und wurde wegen seiner politischen Haltung auch verhaftet. Sie selbst floh als 26-Jährige mit Mann und der sechsjährigen Tochter kurz vor dem Mauerfall über die Tschechoslowakei in den Westen. Fast 20 Jahre später wehrt sich Birgid Donath wieder: Diesmal gegen die Lohnpolitik ihres Arbeitgebers Kaufland.
Seit ihrer Flucht lebt die heute 45-Jährige mit ihrer Familie in Schorndorf, 20 Kilometer östlich von Stuttgart, wo sie bei Kaufland eine Stelle als Kassiererin fand. Doch die Arbeit wird immer schlechter bezahlt, sagt sie. Schon im Juni 2007 streikte die Betriebsratsvorsitzende mit einem Teil ihrer Kolleginnen und Kollegen einige Tage. Entweder laut vor dem Supermarkt mit Musik, Fahnen und Trillerpfeifen oder still, indem die Streikenden zu Hause blieben. Anfang Februar war für Birgid Donath noch ein ganz besonderer Streiktag. In Stuttgart trafen sie und andere Kolleginnen mit über tausend Streikenden aus Einzelhandel und öffentlichem Dienst zusammen, um eine Menschenkette entlang der Haupteinkaufsstraße zu bilden. "Die ging die gesamte Königstraße entlang. Davon waren wir sehr begeistert." Der Grund für die ganzen Aktionen: Die Schwarz-Unternehmensgruppe, zu der Lidl, Handelshof und eben Kaufland gehören, will die Löhne nicht erhöhen, stattdessen die Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit komplett streichen. "Ich würde mir allerdings für den Einzelhandel noch mehr Unterstützung wünschen, so wie sie zum Beispiel Frank Bsirske im öffentlichen Dienst zeigt", fügt sie hinzu.
Heut ist mal wieder Streiktag
Doch sie macht weiter. An diesem Freitag im Februar ist wieder Streiktag. Birgid Donath packt zu Hause Formulare und ein Megafon in ihren silbernen Opel Astra. Das Familienauto dient ihr während des Streiks als rollendes Büro. Sie parkt, kaum zu übersehen, an der Einfahrt zum Parkplatz des Supermarkts in Schorndorf, öffnet den Kofferraum und dreht die Anlage auf. Technobeats schallen über den Parkplatz. Es ist acht Uhr früh. Birgid Donath ist eine der Ersten, nach und nach kommen ihre Kolleginnen. "Herkommen und das Formular für die Streikunterstützung ausfüllen!", ruft sie. Die Kolleginnen folgen dem Kommando ihrer Betriebsratsvorsitzenden und stellen sich der Reihe nach an, um zu unterschreiben. Danach verteilt Birgid Donath Plastikumhänge, auf denen "ver.di" und "Streik" prangt. Auch Donath zieht sich einen Umhang über, der bis fast bis zu den Knien reicht. Dann verteilt sie die Aufgaben: Zwei Kolleginnen verteilen Flugblätter an Kunden, andere kleben ver.di-Fahnen an die Laternenmasten, der Rest macht Krach mit Rätschen und Trillerpfeifen. Birgid Donath greift zum Megafon und wedelt mit der Hand, um die anderen zum Mitsingen zu bewegen. "Wir wollen mehr Kohle sehn, wir wollen, wir wollen mehr Kohle sehn!" Seit der Fußball-WM kennt die Melodie jeder. Und "die Mädels", wie sie ihre Kolleginnen nennt, tanzen sich dazu auf dem Parkplatz warm.
Wenige Kunden kaufen woanders
Die meisten der vorbeifahrenden Kunden halten an, kurbeln das Fenster runter und nehmen den orangefarbenen Flyer, ohne einen Blick darauf zu werfen. "Ich find's gut, dass sie streiken, aber ich brauch' trotzdem einen vollen Kühlschrank", sagt eine Stammkundin und fährt schwungvoll auf den Parkplatz. Die nächste Kundin zeigt ebenfalls Verständnis: "Ich bin Krankenschwester, ich verdiene auch so wenig." Doch auch sie steuert den Parkplatz an. Nur wenige wenden, um woanders einzukaufen.
"Mit vierzig Leuten haben wir angefangen, jetzt sind wir noch dreißig, die streiken", bedauert die Betriebsratsvorsitzende. "Einige haben Schiss, ihren Job zu verlieren." Sie hat Verständnis für die Kolleginnen, denn die meisten Kassiererinnen, Fleischverkäuferinnen und Mitarbeiter aus der Getränkeabteilung haben befristete Verträge und Angst, dass diese nicht verlängert werden. "Ich bin eine der wenigen mit einem unbefristeten Vertrag, solche Verträge gibt es heute nicht mehr." Ein Dorn im Auge sind ihr allerdings die Streikbrecher aus anderen Märkten. "Die bekommen 80 Euro bar auf die Hand plus Spesen und freie Beköstigung, wenn sie bei uns im Laden aushelfen." Heute sind Mitarbeiter vom Kaufland aus dem 40 Kilometer entfernten Ludwigsburg mit dem Taxi angereist, um in Schorndorf auszuhelfen.
Auch aus Stuttgart sind Kaufland-Mitarbeiter auf dem Weg nach Schorndorf. Allerdings nicht um zu arbeiten, sondern um die Streikenden zu unterstützen. Um kurz vor neun kommen sie mit ihren Transparenten an. "Endstufe Verkäufer zweitausend Euro brutto. Wie soll man damit eine Familie ernähren?", steht auf einem Pappschild. Birgid Donath verdient als Kassiererin 2250 Euro brutto und damit etwas besser. Mehr wird es nicht, denn auch sie ist in der "Endstufe" angelangt. "Ich habe ja glücklicherweise einen Mann, der auch voll verdient", sagt Donath. Trotzdem mussten beide Eheleute noch einen 400-Euro-Job zusätzlich annehmen, als die Tochter mit dem Studium begann. Abends - nach ihren regulären Jobs - füllten die beiden noch Regale bei Kaufland auf. Inzwischen verdient die Tochter selbst Geld und seitdem sorgt nur noch Birgid Donath für Nachschub in der Abteilung für Katzen- und Hundefutter.
Wenigstens mal kleine Wünsche erfüllen, das wäre schon schön
Birgid Donath und ihre Kolleginnen träumen nicht von einem Sportwagen oder einer Luxusreise. Es sind kleine Wünsche, die trotzdem unerschwinglich sind. "Mal abends unter der Woche einfach Essen gehen oder Klamotten kaufen," sagt Birgid Donath. "Oder etwas für später zur Seite legen." Doch der Konzern ist hartnäckig. Während Rewe und IKEA eine Lohnerhöhung um drei Prozent angeboten haben, lehnt die Schwarz-Gruppe das ab. Birgid Donath und ihre Kolleginnen werden weiter streiken. 5,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 100 Euro sowie ein Mindesteinkommen von 1500 Euro sind ihre Forderungen. "Und die Zuschläge müssen bleiben."
Auch aus einem Grund, der der Schwarz-Geschäftsführung eigentlich einleuchten müsste. Sie wisse nicht, wie sie ohne Spät- und Nachtschichtzuschläge ihre Familie ernähren solle, bekennt eine Verkäuferin, alleinerziehende Mutter von drei Kindern. "Den Einkauf bei uns im Kaufland kann ich mir nicht mehr leisten." Sie müsse deshalb zu billigeren Discountern - zu Lidl - und manchmal auch zur Konkurrenz.
Bild am Sonntag, 9. März 2008
Mehr Schutz vor Überfällen
Überfälle im Einzelhandel finden häufig dort statt, wo Beschäftigte allein für eine Filiale zuständig sind und wo es kein "normales" Telefon gibt - wie etwa beim Drogerie-Discounter Schlecker. Betroffen sind auch viele kleinere Geschäfte der großen Supermarktketten. Um das Überfallrisiko zu verringern, aber auch um Opfern einen Anspruch auf Unterstützung zu gewährleisten, fordert ver.di im Rahmen der laufenden Tarifrunde den Abschluss eines Sicherheitstarifvertrages mit der Arbeitgeberseite.
Musterentwürfe dafür existieren bereits, etwa bei ver.di Berlin-Brandenburg. Doch die Einzelhandelsverbände zeigen bisher wenig Interesse am Thema. "Die schieben die Zuständigkeit für Sicherheitsfragen auf die Berufsgenossenschaft", so Ulrich Dalibor, Leiter der ver.di-Bundesfachgruppe Einzelhandel. Dabei kümmert sich die Berufsgenossenschaft durchaus um die Sicherheit des Verkaufspersonals. Doch die von ihr erarbeiteten Vorschriften haben lediglich Empfehlungscharakter. Demgegenüber will ver.di verbindliche Sicherheitstarifverträge mit den Arbeitgeberverbänden abschließen und Detailfragen in Betriebsvereinbarungen regeln lassen.
Der Tarifvertragsentwurf sieht vor, in Geschäften mit einer Größe von bis zu 400 Quadratmetern mindestens zwei Verkäuferinnen einzusetzen. Besonders beim Drogeriediscounter Schlecker findet sich in vielen Filialen oft nur eine Beschäftigte. Neben der Mindestbesetzung geht es im Sicherheitstarifvertrag um die Ausstattung aller Filialen mit normalen Telefonen, Überfallmeldeanlagen und nicht einsehbaren Tresoren und Kassenladen. Klar geregelt werden soll zudem die Betreuung von Opfern nach einem Überfall. Hier ist ein umfassender Anspruch auf Nachsorge sowie medizinische und psychologische Betreuung vorgesehen, für die der Arbeitgeber finanziell aufkommen soll.
GUDRUN GIESE
Solidaritätsstreiks
Normalerweise hält das Bundesarbeitsgericht Streiks nur gegen Arbeitgeber für zulässig, die unmittelbar an der Tarifrunde beteiligt sind. (Urteil vom 5.März 1985 - 1 AZR 468/83)
Im selben Urteil stellt das Gericht aber auch klar: Solidaritätsstreiks gegen Dritte, nicht unmittelbar an der Tarifrunde beteiligte Arbeitgeber zur Unterstützung des Hauptarbeitskamp-fes sind in bestimmten Fällen zulässig:
- wenn der Arbeitgeber zuvor seine "Neutralität" im Hauptarbeitskampf verletzt hat, zum Beispiel durch Übernahme von Streikbrucharbeiten oder durch Produktionsverlagerung,
- wenn der Arbeitgeber zwar rechtlich selbstständig, wirtschaftlich gesehen aber wie ein Betriebsteil des im Arbeitskampf befindlichen Unternehmens ist,
- wenn die wirtschaftliche Verbindung so eng ist, dass es sich um ein und denselben Gegenspieler handelt, der Arbeitgeber also nicht als außen stehender Dritter gesehen werden kann.
Die Broschüre Streik - Unser gutes Recht ist über die ver.di-Geschäftsstellen zu beziehen.
Mehr Schutz vor Überfällen
Überfälle im Einzelhandel finden häufig dort statt, wo Beschäftigte allein für eine Filiale zuständig sind und wo es kein "normales" Telefon gibt - wie etwa beim Drogerie-Discounter Schlecker. Betroffen sind auch viele kleinere Geschäfte der großen Supermarktketten. Um das Überfallrisiko zu verringern, aber auch um Opfern einen Anspruch auf Unterstützung zu gewährleisten, fordert ver.di im Rahmen der laufenden Tarifrunde den Abschluss eines Sicherheitstarifvertrages mit der Arbeitgeberseite.
Musterentwürfe dafür existieren bereits, etwa bei ver.di Berlin-Brandenburg. Doch die Einzelhandelsverbände zeigen bisher wenig Interesse am Thema. "Die schieben die Zuständigkeit für Sicherheitsfragen auf die Berufsgenossenschaft", so Ulrich Dalibor, Leiter der ver.di-Bundesfachgruppe Einzelhandel. Dabei kümmert sich die Berufsgenossenschaft durchaus um die Sicherheit des Verkaufspersonals. Doch die von ihr erarbeiteten Vorschriften haben lediglich Empfehlungscharakter. Demgegenüber will ver.di verbindliche Sicherheitstarifverträge mit den Arbeitgeberverbänden abschließen und Detailfragen in Betriebsvereinbarungen regeln lassen.
Der Tarifvertragsentwurf sieht vor, in Geschäften mit einer Größe von bis zu 400 Quadratmetern mindestens zwei Verkäuferinnen einzusetzen. Besonders beim Drogeriediscounter Schlecker findet sich in vielen Filialen oft nur eine Beschäftigte. Neben der Mindestbesetzung geht es im Sicherheitstarifvertrag um die Ausstattung aller Filialen mit normalen Telefonen, Überfallmeldeanlagen und nicht einsehbaren Tresoren und Kassenladen. Klar geregelt werden soll zudem die Betreuung von Opfern nach einem Überfall. Hier ist ein umfassender Anspruch auf Nachsorge sowie medizinische und psychologische Betreuung vorgesehen, für die der Arbeitgeber finanziell aufkommen soll.
GUDRUN GIESE
Solidaritätsstreiks
Normalerweise hält das Bundesarbeitsgericht Streiks nur gegen Arbeitgeber für zulässig, die unmittelbar an der Tarifrunde beteiligt sind. (Urteil vom 5.März 1985 - 1 AZR 468/83)
Im selben Urteil stellt das Gericht aber auch klar: Solidaritätsstreiks gegen Dritte, nicht unmittelbar an der Tarifrunde beteiligte Arbeitgeber zur Unterstützung des Hauptarbeitskamp-fes sind in bestimmten Fällen zulässig:
- wenn der Arbeitgeber zuvor seine "Neutralität" im Hauptarbeitskampf verletzt hat, zum Beispiel durch Übernahme von Streikbrucharbeiten oder durch Produktionsverlagerung,
- wenn der Arbeitgeber zwar rechtlich selbstständig, wirtschaftlich gesehen aber wie ein Betriebsteil des im Arbeitskampf befindlichen Unternehmens ist,
- wenn die wirtschaftliche Verbindung so eng ist, dass es sich um ein und denselben Gegenspieler handelt, der Arbeitgeber also nicht als außen stehender Dritter gesehen werden kann.
Die Broschüre Streik - Unser gutes Recht ist über die ver.di-Geschäftsstellen zu beziehen.