Diagnose: übernahmereif

Laut Gesetz sind die Länder verpflichtet, die Krankenhäuser ausreichend finanziell abzusichern. Dem kommt jedoch kein Land nach - das belegen Zahlen der Obersten Landesgesundheitsbehörden, die ver.di PUBLIK vorliegen. Die Folge: Noch mehr Klinik-Privatisierung

Hochleistungsmedizin im Deutschen Herzzentrum, Berlin

Moderne Operationssäle Fehlanzeige, neueste Diagnostikgeräte nur auf Pump und so manches ärztliche Instrument länger in Gebrauch, als es sein sollte: Die deutschen Krankenhäuser sind massiv unterfinanziert. Nach Berechnungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) fehlen inzwischen bis zu 50 Milliarden Euro. Geld, das erforderlich ist, um die Kliniksubstanz zu erhalten und zu modernisieren. Allein im Jahr 2006 ist jedes Krankenhaus in Deutschland mit 135 Euro pro Krankenhausfall unterfinanziert. Das geht aus Daten der Obersten Landesgesundheitsbehörden hervor, die ver.di PUBLIK vorliegen.

Die finanzielle Situation der Häuser stellt sich laut Datensammlung der Gesundheitsbehörden je nach Bundesland recht unterschiedlich dar. Danach ist das Schlusslicht bei der Krankenhausförderung das Land Niedersachsen mit 82 Euro pro Krankenhausfall. Die Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG) hat den Fördermittelbedarf - allerdings ohne Investitionsstau - jedoch auf fünf Milliarden Euro jährlich geschätzt. Das sind 297 Euro pro Fall. Am ehesten wird diese Fördersumme noch vom Land Hamburg mit 279 Euro pro Fall erreicht. Zu den säumigsten Zahlern gehören neben Niedersachsen noch das Saarland (105 Euro), Nordrhein-Westfalen (120 Euro), Berlin (143 Euro), Rheinland-Pfalz (144 Euro) und sogar das vermögende Baden-Württemberg (155 Euro).

Laut Gesetz ist es Aufgabe der Länder, die Krankenhäuser wirtschaftlich zu sichern, um eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Doch seit Ende der neunziger Jahre ist ein eklatanter Rückgang der Investitionsmittel zu beobachten (siehe Grafik). Auffällig ist hierbei ein zeitlicher Zusammenhang mit dem Wegfall der Vermögenssteuer, eine Steuer, die ausschließlich den Ländern zugute kam. Seit 1997 wird diese Steuer nach einem Verdikt des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr erhoben - sie hatte Immobilienvermögen im Vergleich zu anderen Vermögensarten deutlich geringer besteuert.

Noch 1996 erbrachte die Vermögenssteuer 4,6 Milliarden Euro für die Länder - beinahe so viel, wie die Länder für eine bedarfsgerechte Krankenhausversorgung jährlich aufwenden müssten. Bislang hat sich keine Regierung um eine verfassungsverträgliche Formel der Steuer bemüht. Also sinken die Krankenhausinvestitionen der Länder Jahr um Jahr - in 2006 auf 2,7 Milliarden Euro, das sind 54,4 Prozent der erforderlichen Mittel. Nach Berechnungen von ver.di könnte eine reformierte Vermögenssteuer mit einem Satz von nur einem Prozent und einem Familienfreibetrag von 500000 Euro mindestens 16 Milliarden Euro einbringen.

Diese Entwicklung hat zweierlei zur Folge. Zum einen nehmen die Kliniken Einschnitte im laufenden Budget vor, um die mangelnden Investitionsmittel auszugleichen, bestätigt die DKG. Und das geht zu Lasten der Patienten und des ohnehin knappen Personals. "Ich sehe mit großer Sorge, dass das Pflegepersonal deutlich abgebaut wird", sagte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) beim Frühlingsempfang der DKG. Zum anderen treiben die fehlenden Ländermittel die ohnehin galoppierende Privatisierung von Kliniken in Deutschland zusätzlich voran. In keinem anderen europäischen Land werden so schnell, so viele und so große Krankenhäuser verkauft wie hier. Entsprechend hat der Marktanteil der privaten Konzerne, gerechnet in Betten, zugenommen. Er liegt hierzulande inzwischen bei 14,1 Prozent - damit hat Deutschland sogar die Vereinigten Staaten überholt. "Die öffentlichen Kliniken werden durch die fehlenden Investitionskosten übernahmereif gemacht", sagt Niko Stumpfögger, bei ver.di zuständig für die privaten Krankenhauskonzerne.

ver.di hat drei Forderungen an die Gesundheitspolitik

Nun soll der gesetzliche Rahmen zur Finanzierung der Krankenhäuser neu geordnet werden. Doch wer hofft, dass in diesem Zuge das finanzielle Siechtum der Kliniken gelindert wird, sieht sich getäuscht: Es helfe nicht, "einfach mehr Geld für die stationäre Versorgung in die Hand zu nehmen" - soweit die Bundesgesundheitsministerin. Sie setzt auf "Eigeninitiative" und "mehr Wettbewerb" der Krankenhäuser. Ganz in diesem Sinn will die Ministerin noch im Mai dem Kabinett einen Gesetzentwurf vorlegen. Im Kern geht es dabei um die Abschaffung des bisher dualen Systems - die Länder sorgen für die Investitionsmittel, die Krankenkassen zahlen die laufenden Betriebskosten. Künftig soll "monistisch", also aus einer Hand, finanziert werden. Im Wesentlichen stützt sich das Ministerium dabei auf ein Gutachten von Bert Rürup, der Mitglied der SPD und Politikberater ist.

Was den Erfolg des neuen Gesetzesvorhabens anbelangt, ist man bei ver.di skeptisch: "Es ist zweitrangig, ob Investitions- und Betriebsmittel zusammengefasst werden oder nicht", sagt Herbert Weisbrod-Frey, Bereichsleiter Gesundheitspolitik. "Wichtig ist, dass die Finanzierung insgesamt gewährleistet ist."

Dies sieht auch die DKG so: Abgesehen von ausreichenden Investitionsmitteln, müssten die Krankenhäuser in die Lage versetzt werden, "die laufenden Kosten zu decken", sagt DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum. Doch das laufende Budget der Kliniken ist aus Spargründen per Gesetz mit einem Deckel versehen worden. Um die Versorgung der Patienten wohnortnah und nach dem neuesten Stand von Wissen und Technik zu sichern, müsste daher dreierlei geschehen, fordert Herbert Weisbrod-Frey: "Die Vermögenssteuer muss wieder her, der Deckel muss weg und der Personalabbau muss gestoppt werden."

x05_2008_03_grafik.pdf (PDF, 30 kB)