Zum Lesen verdammt

Stieg Larsson: Verblendung. Verdammnis. Vergebung. | Zwei hinreißende Hauptpersonen hat der schwedische Autor Stieg Larsson für seine Trilogie erfunden: Den Investigativ-Journalisten Mikael Blomkvist, Herausgeber eines kleinen Stockholmer Wirtschaftsmagazins, und Lisbeth Salander, Computer-Spezialistin mit weltweiten Beziehungen. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein: Er ist der extrovertierte Sunnyboy, der immer eine verzwickte Geschichte recherchiert. Sie ist die introvertierte Tüftlerin, stets bemüht, so wenig wie möglich von sich und ihrer verkorksten Vergangenheit preiszugeben. Das ungleiche Paar begegnet sich im ersten Band, arbeitet gemeinsam so erfolgreich wie leidenschaftlich, und die kurze Bett-Geschichte bleibt weitestgehend Nebensache. Eine knisternde Nebensache.

Dennoch bleiben sie in Kontakt: Das world wide web schafft Abhilfe, wo sie sich im Krimi-Alltag gegenseitig blockieren. Ihre Handlungsstränge kreuzen sich immer wieder. Recherchieren die beiden im ersten Band noch gemeinsam die Vergangenheit einer Industriellenfamilie, gerät Lisbeth Salander im zweiten Band bei einer Ermittlung in Sachen Frauenhandel unter Mordverdacht. Im dritten Band wird Salander von einem Teil ihrer nebulösen Vergangenheit eingeholt: Ihr Vater entpuppt sich als vom Geheimdienst geschützter Großkrimineller. Die Vorlagen für die Plots sind brandaktuell und könnten aus jeder Tageszeitung stammen. Larsson zeigt dunkle Facetten der schwedischen Gesellschaft, verbindet sie durch aufregende und immer wieder unerwartete Wendungen und schillernde Figuren. Da erzeugen die insgesamt 2200 Seiten Wind beim Umblättern. Insbesondere Lisbeth Salander, die nur körperlich kleine, scheue Frau, wird mit ihrem Mut und ihrer Zähigkeit schnell zur Sympathieträgerin. Salander gibt nicht auf, kämpft in scheinbar aussichtslosen Lagen weiter - und unterscheidet in ihrer Welt messerscharf zwischen Gut und Böse.

Larsson, ehemals Journalist, zeichnet seine Figuren detailreich, ebenso gründlich nähert er sich auch seinen Themen. Er starb 2004 im Alter von 50 Jahren an Herzversagen und hat den anhaltenden internationalen Erfolg seiner Romane nicht mehr erlebt. Insgesamt wiegen die drei Bände fast 2,5 Kilo. Doch auch wenn jeder in sich abgeschlossen ist, sollte man zur Entlastung des Reisegepäcks nur dann auf einen verzichten, wenn ein deutschsprachiger Buchladen am Urlaubsort zu finden ist. Sonst sitzt man am Strand und leidet am Entzug. Der Suchtfaktor ist enorm.

Petra Groll / Heike Langenberg

Heyne Verlag, 3 Bände, inges. 2287 S., 67,85 €, Ü: Wibke Kuhn. Verblendung ist bereits als Taschenbuch erschienen (Heyne 9,95 €), Verdammnis soll im September folgen


Gisela Elsner: Otto, der Großaktionär | Erst nach ihrem Tod 1992 hat ein größeres Publikum die Autorin Elsner entdeckt. Der Film Die Unberührbare ihres Sohnes hat auch den Weg bereitet, dass wieder Nachfrage entstand nach den lange ungelesenen und ungedruckten Büchern dieser Schriftstellerin. Otto, der Großaktionär ist das zweite Buch aus ihrem Nachlass. Es ist der Versuch der Kommunistin, die sich als Industriellentochter eigentlich nicht für befugt hielt, aus der Sicht der Arbeiter zu schreiben. Aber dieses Buch, Ende der 80er entstanden, ist nahezu prophetisch. So gehören Ottos Szenen auf dem Arbeitsamt zu den schrecklichsten, obwohl schon seine vorherige Arbeit grauenhaft und gesundheitsschädlich war. Denn es herrscht im Amt der Geist von Hartz IV: "Kommt auch für Arbeiten, deren Zumutbarkeit bestritten wird, infrage", notiert die Arbeitsvermittlerin mit Verachtung.

KLIX

VERBRECHER VERLAG, BERLIN, 176 S., 14 €


Jindrich Mann: Prag, Poste restante | Es ist ein großes Verdienst von Jindrich Mann, Enkel von Heinrich, in der Familiengeschichte der Manns bislang unbekannte Seiten zu öffnen. Aus Heinrich Manns erster Ehe mit der Schauspielerin Mimi Kanova war die Tochter Leonie hervorgegangen. Sie heiratete den tschechischen Schriftsteller Ludvik Askenazy. Und deren Sohn Jindrich, 1948 in Prag geboren, zeigt sich hier mit ironischer Feder als literarischer Flaneur über die Generationen hinweg. Der Großvater Heinrich bleibt eher eine Randfigur, schließlich hatte er 1928 Frau und Tochter verlassen, die 1933 von München in Richtung Prag flüchteten. Eher anekdotisch als biografisch rekonstruiert der Enkel die nachfolgenden Jahre seiner Mutter und Großmutter. Er zieht einen spannenden, unkonventionellen Bogen vom Prag der Exilanten, der Nazi-Besetzung der Stadt an der Moldau bis zu ihrer Befreiung 1945 und den Jahren kommunistischer Herrschaft, die ihn und seine Mutter Leonie nach dem Sterben des Prager Frühlings 1968 ebenfalls ins Exil trieb. Jindrich Mann klagt nicht, er verknüpft meisterhaft Anekdoten eines Teils der Familiengeschichte der Manns mit eigenen Erinnerungen. Die Leichtigkeit seiner Erzählweise - Jindrich Mann ist Filmemacher - verleiht dieser unbekannten und lesenswerten Geschichte der Familie Mann eine neue Komponente.

GL

ROWOHLT VERLAG, 2007, 351 S., 19,90 €


Lucie Klassen: Der 13. Brief | Das ist selten. Ein Krimi-Debüt, das souverän alle genrespezifischen Anforderungen erfüllt: glaubwürdige Charaktere, authentisches Milieu, raffiniert kalkulierter Spannungsaufbau, klug ausgelegte falsche Spuren und eine ebenso überraschende wie überzeugende Auflösung nach einem klassischen Showdown. Lucie Klassen hat ihre Geschichte in Bochum angesiedelt, wo ihre 20-jährige Ich-Erzählerin unfreiwillig zur Mitarbeiterin eines Privatdetektivs wird. Es ist großartig, mit wie viel Witz und Tempo die Autorin ihre nie karikierten, aber mit knappen Strichen unverwechselbar beschriebenen Hauptdarsteller durch einen heiklen und alles andere als lustigen Fall von Schülerinnenselbstmord, Kindesmisshandlung, Mobbing und Gewalt in der Schule führt. Lila, eine nur vordergründig coole, rebellische Oberstaatsanwaltstochter mit einem Blauen Gürtel in Karate und frischem Sexappeal enthüllt sich nach und nach in ihrer verletzlichen Persönlichkeit und wirft sich mutig ins Getümmel. Das Trio aus bindungsunfähigem Privatdetektiv, mütterlichem Gastwirt und taffem Twen bietet beste Voraussetzungen für viele Fortsetzungen.

U.L.

GRAFIT VERLAG , 345 S., 9,95 €