Calexico: Carried to Dust | Der schnurgerade Wüsten-Highway hinter der Windschutzscheibe scheint endlos. Tanzend verschwimmt der Horizont in flirrender Hitze, vorn glitzern die Armaturen in silbriger Luft. Und das sanfte Röhren des Motors wird übertönt von der neuen Calexico: Carried to Dust. Joey Burns und John Convertino aus Tucson, Arizona starten auch auf ihrer fünften CD mit dem ersten zähen Twang-Akkord auf der heulenden E-Gitarre das Kino im Kopf. Roadmovies, Westernschnulzen und andere Tragödien tauchen aus dem cineastischen Langzeitgedächnis auf. Verwehte Marriachi-Bläser, gespenstisch gefegte Minimal-Rhythmen und der melancholisch schmirgelnde Flüster-Gesang - mal englisch, mal spanisch - machen die Bilder lebendig. Tatsächlich sind Calexico zehn Jahre nach ihrem ersten Album nicht nur vom musikalischen Geheimtipp zu einer der erfolgreichsten US-amerikanischen Bands der Neuzeit avanciert; ihr unverwechselbarer, atmosphärischer Sound, in dem Country & Western, Blues, Rock und Latino-Klänge zeitgemäß zusammenfließen, macht sie bei Filmemachern in aller Welt begehrt. Gerade hat Wim Wenders einen Song angefragt. Live gibt's Calexico in Deutschland wieder im Herbst.

VICK

CD, CITY SLANG / UNIVERSAL


PeterLicht: Melancholie und Gesellschaft | Die Musik mag dahertrödeln wie ein verträumter Grundschüler auf dem Nachhauseweg. Aber lassen Sie sich nicht täuschen. Mit Peter Licht haben Sie es mit einem der wenigen, noch ernst zu nehmenden, politischen Liedermacher der Bundesrepublik Deutschland zu tun. Melancholie und Gesellschaft heißt sein neues Album, und das ist program-matisch gemeint. Vor zwei Jahren noch hat der Kölner Musiker und Autor, der sein Gesicht vor der Öffentlichkeit verbirgt und auch schon in Klagenfurt las, das Ende des Kapitalismus ausgerufen. Nun muss er feststellen, dass die blöde Marktwirtschaft ganz andere Pläne hat. Grund genug, trübselig zu werden. Aber nur leicht. So spöttisch singt PeterLicht vom Trennungstrend in der Pärchenhölle, von der unerträglichen Fleischbeschau, zu der man von der Werbeindustrie gezwungen wird, und von der guten Hoffnung, dass wir uns bald in Alten-WGs wieder sehen: "Hauptsache, wir sitzen am Ende alle zusammen im selben Heim." Melancholie, dürfen wir also feststellen, ist zweifelsohne die Grundstimmung der Großen Koalition. Aber wenn einen PeterLicht zum Lächeln bringt, ist das gar nicht mehr sooo schlimm.

TW

CD, MOTOR MUSIC/ EDEL


Sisters: Gender Riots | "Geschlechterkämpfe" nennen die sieben afrodeutschen Musikerinnen ihr erstes Album und stecken damit den inhaltlichen Rahmen ihrer Arbeit präzise ab. Zunächst fällt einem zum Titel schwere politische Attitüde in Sachen Frauenrechte, Diskriminierung und Ausländerfeindlichkeit ein, was auch stimmt. Doch die Transportmittel ihrer Statements, ihre Songs, schwingen funky und luftig wie die Brautkleider auf dem Cover des Albums. Als Reggae, als HipHop-Tune, als R'n'B-Ballade oder minimalistisch auf Elektropfoten wird das thematisiert, wo die Frau, speziell die afrodeutsche, noch heute der Schuh drückt. Jede Musikerin hat ihre eigenen Songs und Texte mit ins Studio gebracht, um ein möglichst rundes Bild der unterschiedlichen musikalischen Ansätze bei der Produktion des Albums abzubilden. Parallel zum musikalischen Projekt engagieren sich die Bräute im selbst gegründeten Verein Sisters e. V., begeben sich mit Hilfe der Bundeszentrale für politische Bildung auf Schultour, um mit Schüler/innen über Rassismus zu diskutieren; sie bieten HipHop-Kurse an und sind auch schon mal fürs Goethe-Institut in Italien umtriebig. Vielleicht kommt das nächste Album ja dann ganz konsequent auch ohne die Hilfe männlicher Produzenten aus.

JM

CD, Echo Beach/Indigo