Endlich 80!

Young@Heart | Alte Menschen hören alte Musik. Klassik und so. Und wenn sie singen, singen sie ihre alten Lieder. Aus ihrer Jugend, den zwanziger, dreißiger Jahren. Derlei Zuschreibungen sitzen fest in unseren Köpfen. Selbst kluge Stars geben alles, um jung auszusehen und so eine Zielgruppe und ein Alter an sich zu binden, das sie selbst längst hinter sich gelassen haben. Die Armen, wird man nach diesem Film mitleidig denken. Zwar antwortet auch in Young@Heart ein Chormitglied mit "Klassik" auf die Frage, was sie am liebsten höre. Doch was die elegante Dame in Wahrheit mit ihrer kostbaren Zeit tut, hört sich völlig anders an.

Der Engländer Stephen Walker hat einen mitreißenden Dokumentarfilm über den US-amerikanischen Rockchor gedreht, deren jüngstes Mitglied 75, das älteste 93 Jahre alt ist. Das Nesthäkchen ist der Chorleiter mit lächerlichen 53 Jahren. Wo sie seit 1982 auftreten - ab und zu auch in Deutschland - sind den "unartigen Rentnern" stehende Ovationen sicher. Für seine einfühlsame Dokumentation hat Regisseur Walker den Chor bei den Proben für einen Auftritt vor rund 1000 Zuschauern in ihrer Heimatstadt Northampton/Massachusetts begleitet.

Das Programm, das Chorleiter Bill Cilman ausgesucht hat, ist anspruchsvoll: Songs der Sex-Machine James Brown, der Punkveteranen The Clash und der sperrigen Noise-Rocker von Sonic Youth. Und es geht mitunter streng zu, denn hier wird Kunst gemacht. Stan ,77, kann sich partout seine zwei Liedzeilen nicht merken. Im Duett mit Dora, 84, Mutter von 13 Kindern, soll er, der wegen seiner schmerzhaften Wirbelsäulenstenose kaum stehen kann, James Browns heißen Feger I feel good einstudieren. Körperlich spürbar wird in diesen Szenen die Pein des Alterns. Aber auch der unbedingte Wille, dieses Projekt zu schaffen und für die Musik am Leben zu bleiben. Und die liefert die größte Überraschung. Songs von Liebe, Revolte, Beziehungen, Erwachsenwerden, bekommen aus dem bartstoppeligen Mund der Alten eine völlig neue Bedeutung. Plötzlich geht es um Leben und Tod, um Einsamkeit, Bleibenwollen und Gehenmüssen. Zwei der beeindruckendsten Solisten schaffen es nicht, sie sterben kurz vor dem Auftritt. Bob Dylans am selben Tag vor Strafgefangenen gesungene Forever Young als Tribut an die beiden gehört zu den vielen bewegenden Momenten des Films. Die jungen Strafgefangenen stehen auf und zollen den Alten mehr als nur Respekt. Sie haben angefangen zu weinen.

JENNY MANSCH

DOKU USA 2008, R: STEPHEN WALKER, K.: EDWARD MARRITZ, 109 MIN., KINOSTART: 2.10.08


Krabat | Kaum einer der vielen begeisterten Leser von Otfried Preußlers Meisterwerk über die Schwarze Magie Krabat wird auf den Film gewartet haben. Und in der Hauptrolle hätte man nicht David Kross vor sich gesehen. Doch der Jungstar bringt seine Überlebenserfahrungen aus Detlev Bucks Knallhart hier wirklich gut ein. Es ist ein beeindruckender Film geworden und das in einer Zeit der Inflation magischer Themen in Buch und Film. Das Werk hat sogar den Segen des Autors erhalten, wie man einem gerührten Brief Preußlers entnehmen kann, der im Krabat-Blog zu lesen ist. Zum 85.Geburtstag Preußlers kommt der Film in die Kinos. 1971 erschien - bald von Preisen überschüttet und zur Schullektüre erhoben - die Geschichte des Waisenjungen Krabat, der sich mit den finsteren Mächten einlässt und nur durch die Liebe gerettet wird. Regisseur Marco Kreuzpaintner (Sommersturm) versteht es, durch Beschränkung der Mittel die magischen Elemente umso überzeugender wirken zu lassen. Die Geschichte wird allerdings durch die durchweg großartigen Darsteller getragen, wobei man, wie auch Preußler selbst sagt, keinen "besonders hervorheben möchte".

KLIX

BRD 2008, R: MARCO KREUZPAINTNER, D: D. KROSS, D. BRÜHL, C. REDL, L:. 120 MIN., KINOSTART: AB 9.OKTOBER.


Wolke 9 | Der Tabubruch erfolgt schon nach wenigen Minuten: Offen und einfühlsam zeigt Andreas Dresen Menschen um die 70 beim Sex. Die Kamera rückt hautnah an ihre nackten Körper heran, zeigt welke Haut, auch graue Schamhaare. Bilder, wie sie im Fernsehen oder gar in der Werbung nie zu sehen sind. Kaum zu glauben, dass Ursula Werner und Horst Westphal, die sich in diesem mutigen Kammerspiel soviel Intimität zutrauen, das alles nur spielen. Lust und Liebe - das zeigt Wolke 9 - sind auch im Alter noch etwas Wunderbares, tun allerdings auch weh. Allmählich weicht die mädchenhaft-unschuldige Verliebtheit der Änderungsschneiderin, die seit 30 Jahren mit einem Sturkopf verheiratet ist, der einfach nicht verstehen kann, was in ihr vorgeht, einer Entscheidung über Leben und Tod. Unparteiisch ertastet der Film die Befindlichkeiten aller Betroffenen. Die Tochter rät Inge, den Zustand zu genießen, aber die Affäre geheim zu halten. Hätte sich so das Problem vielleicht lösen lassen? Wir wissen es nicht, auch Dresen weiß es nicht und nimmt uns gleichwohl ein bisschen die Angst vor dem Älterwerden.

KL

D 2008. R: A. DRESEN. D.: U. WERNER, H. REHBERG, L. 98 MIN., KINOSTART 4.9.