Das Leben tut weh

Rosenstolz: Die Suche geht weiter | Hören wir doch einfach mal zu: Herzen werden auf der Hand getragen, Liebe wird gefeiert, Mauern werden eingerissen. In Kissen wird gebissen und im Himmel tut sich ein Fenster auf. Das Leben muss weh tun, "denn nur wenn's weh tut, ist es gut".

Eins, das wird schnell klar, hat sich bei Rosenstolz auch auf ihrem nun schon elften Album nicht verändert: Dem Duo aus Berlin ist keine Metapher zu abgegriffen, kein Bild zu pathetisch, kein Gefühlsausdruck zu kitschig. Und genau darauf gründet sich ihr Erfolg.

Dieser Erfolg ist exorbitant. Mit Gib mir Sonne, der ersten Auskopplung aus dem neuen Album, haben Peter Plate und AnNa R. erstmals die Spitze der Single-Charts erklommen. Nummer-Eins-Alben gehören sowieso schon zum Alltag, ebenso wie ausverkaufte Tourneen. Rosenstolz sind nicht mehr Schwulen-Kult, sondern längst zum Mainstream geworden.

Der Grund dafür ist simpel: Die Texte, die Plate schreibt, strotzen zwar vor geschickt getarnten Plattitüden, sind aber auch so kunstvoll kryptisch gehalten, dass sich jede und jeder, der schon einmal verliebt war, darin wiedererkennen darf. Vor allem aber distanziert er sich nicht ironisch von der großen Sehnsucht nach der Liebe, der großen Überwältigung während der Liebe und der großen Trauer nach der Liebe.

Dieser Briefkastentanten-Pop kommt in der zweiten Hälfte des Albums allerdings nahezu zum Stillstand: Mit jeder neuen Ballade wird der Rhythmus noch langsamer und die Stimmungslage noch melancholischer. Das Ergebnis ist Kitsch in seiner reinsten Form, der allerdings keinen Zynismus kennt. Das ist denn auch das Alleinstellungsmerkmal von Rosenstolz: Peter Plate und AnNa R. gelingt es wie niemandem sonst hierzulande, gefühlig zu werden, ohne im Schwulst zu versinken. Unter den Händen von Rosenstolz wird Pathos zur Alltagsemotion, bekommt die Trivialität Tiefe und sogar der Allgemeinplatz erscheint plötzlich authentisch. Man muss eben nur mal zuhören.THOMAS WINKLER

POP, CD ISLAND/ UNIVERSAL


Deichkind: Arbeit nervt | Das Thema "Arbeitsverweigerung" ist gerade en vogue im deutschen Pop. Tocotronic haben mit Kapitulation den Soundtrack zum Nichtstun geschrieben, Die Sterne haben dem Müßiggang als Protestform ganze Songs gewidmet, jetzt zieht die Hamburger Rabauken-Truppe Deichkind nach. Arbeit nervt heißt ihr neues Album, das ihren ohnehin schon stark gedehnten Hip-Hop-Begriff ein weiteres Mal in Frage stellt. Sie haben Country gemacht, schmalzige Rock-Epen, selbstironischen Rap, düsteren Elektrofunk und butterweichen Soul, mittlerweile sind Deichkind bei einer furiosen Elektro-Techno-HipHop-Mischung angekommen, die Spaß-Krawall, Großraumdiscobeats und Partykeller-Stimmung als krachigen Pop-Bastard auf den Punkt bringt. Nein, Subtilität ist Deichkinds Sache nicht - und auch die Frage, welcher Arbeitsbegriff hier zum Thema gemacht wird, führt ins Leere. Im Video zur Single wird Deichkinds Gegenprogramm visualisiert: Eine bierselige Massenkeilerei ist die Antwort, dazu Zeilen wie "Ehrgeiz ist die letzte Zuflucht des Versagers". Ihr Aufstand ist Party, ihre Musik so subversiv wie ein Frottee-Bademantel. Wer nicht mehr zum Spaß-haben braucht, der ist bei Deichkinds Volle-Pulle-Gaga-Elektro genau richtig.Pesch

CD, VERTIGO/UNIVERSAL


Buena Vista Social Club: At Carnegie Hall | Als die CD Buena Vista Social Club im Frühsommer 1997 erscheint, denkt niemand an den märchenhaften Erfolg, den die kubanischen Soneros in der Folge haben werden. Bis heute hat sich ihr Album weltweit acht Millionen Mal verkauft. Ein absoluter Klassiker der World Music. Einige der Helden sind inzwischen in die ewigen Musikgründe eingekehrt. Der Club wird also nie wieder in seiner ursprünglichen Besetzung auftreten. Umso schöner, jetzt noch einmal alle "Buena Vistas" gemeinsam zu erleben - auf dem Höhepunkt einer Tournee, bei der sie auch in einem heiligen US-Konzerttempel aufspielten. Zehn Jahre nach dem wahrlich historischen Konzert in der New Yorker Carnegie Hall erscheint der Mitschnitt nun als luxuriös aufgemachtes 2-CD-Set. Inklusive 32-seitigem Booklet mit Fotos der Künstler und Statements aller an der Produktion Beteiligten. Das Album bietet fast 80 Minuten feinsten Buena-Vista-Sound und bringt selbstverständlich Perlen wie Compay Segundos Chan Chan, das berühmte, als Duett für Omara Portuondo und Ibrahim Ferrer arrangierte Dos Gardenias und den Party-Kracher Candela. Am Ende gibt's frenetischen Jubel und eine Standing Ovation in der Carnegie Hall. Dem kann man sich nur anschließen. RIX CD, World Circuit/Indigo