Ein Renteneinstieg mit 67 Jahren ist aus arbeitsmedizinischer Sicht bei den heutigen Arbeitsbelastungen kaum vertretbar. ver.di fordert die Politik daher zum Umdenken auf

Arbeit mit schlechter Gesundheits-Prognose

von UTA VON SCHRENK

Arbeiten bis ins hohe Alter - das ist derzeit das Mantra der deutschen Politiker, um die siechen Sozialkassen gesundzubeten. Doch Tatsache ist: Nur knapp dreißig Prozent der 55- bis 64-Jährigen sind heute noch sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Abgesehen von der Vorliebe der Unternehmer für jüngere Arbeitnehmer, ist ein Grund für das frühe Ausscheiden aus dem Beruf auch die im Alter zunehmend schwächelnde Gesundheit. Zwar ist Altern ein höchst individueller Prozess, bestimmt durch genetische Anlagen, durch das eigene Gesundheitsverhalten und äußere Einflüsse, zu denen auch die Arbeit zählt - nicht jede ist also mit 65 noch fit wie ein Turnschuh, nicht jeder mit 67 ein gebrechlicher Greis. Dennoch werden viele Menschen zwischen 45 und 65 Jahren durch die Belastungen im Job krank. Dies zeigen diverse Statistiken und Untersuchungen. Wissenschaftler sprechen von einer "ausgeprägten Krankheitslast im höheren Lebensalter". Wie realitätsfest ist da ein Renteneinstieg mit 67 Jahren?

Ältere werden deutlich länger krank

Laut Fehlzeitenreport 2007 steigt der Krankenstand zwischen 45 und 65 Jahren deutlich an - von vier Prozent auf 6,9 Prozent bei den Frauen und 8,2 Prozent bei den Männern. Ursache sind vor allem Muskel- und Skelett- sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Jeder sechste Neu-Rentner ging 2006 wegen verminderter Erwerbsfähigkeit in den Ruhestand. Diese hohe Quote könnte Bestand haben, warnt Hartmut Seifert, Leiter des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI). Denn mehr als die Hälfte der derzeit Beschäftigten erwarte, dass sie im höheren Alter kaum noch arbeitsfähig sein werden, ergaben Umfragen. "Sollten sich die Arbeitszeittrends der letzten Jahre fortsetzen - vor allem längere Arbeitszeiten und mehr Nacht- und Schichtarbeiten -, werden sich die Bedingungen für einen längeren Verbleib im Berufsleben verschlechtern", sagt der Experte für Arbeitszeitpolitik und Arbeitsmarktforschung. "Damit wird eine Rente mit 67 für immer mehr Beschäftigte zur Makulatur."

Arbeitsbedingungen zeigen signifikante Wirkung

Eine Auswertung internationaler Studien im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass problematische Arbeitsbedingungen "durchgehend signifikante Effekte" auf die Erkrankungen älterer Beschäftigter haben. Als Problembereiche benennt der Leiter der Studie Johannes Siegrist, Medizinsoziologe an der Universität Düsseldorf, vor allem psychosoziale Arbeitsbelastungen, Schichtarbeit und extrem lange Arbeitszeiten sowie körperliche Belastungen wie Lärm, schmerzhafte Körperhaltungen, Gefahrstoffe und schwere Lasten.

So weisen Studien bei Beschäftigten, die länger als fünf Jahre starkem Lärm ausgesetzt sind, erhöhte Blutdruckwerte nach. Immerhin 24 Prozent der Arbeitnehmer haben nach einer Umfrage der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) unter Lärm zu leiden.

Wer bei der Arbeit dauernd sitzt und sich in der Freizeit nicht viel bewegt, muss nach zehn Jahren mit einer um 90 Prozent erhöhten Herzinfarktgefahr rechnen. Ein Risiko für viele Arbeitnehmer, üben doch 53 Prozent der Beschäftigten laut BAuA eine sitzende Tätigkeit aus.

Beschäftigten in Wechselschichtsystemen bescheinigen diverse Studien ein erhöhtes Risiko von Herz-Kreislauf-Krankheiten - je nach Untersuchung zwischen 30 und 180 Prozent. Nach einer Untersuchung des WSI wächst seit den neunziger Jahren der Anteil der Beschäftigten mit Wechselschichten spürbar. Jeder Siebte arbeitet nachts, jeder Sechste im Schichtdienst.

Was die psychosozialen Belastungen angeht, so schätzt Siegrist aufgrund europäischer Studien, dass im Schnitt etwa 20 Prozent der Beschäftigten besonders belastet sind - vor allem in der Land- und Forstwirtschaft, der Metallerzeugung, dem Kraftfahrzeughandel und personenbezogenen Dienstleistungen, etwa im Gesundheitswesen. Zudem nennt er Transport, Baugewerbe und Gastronomie. Würde Dauerstress am Arbeitsplatz konsequent vorgebeugt, könnten theoretisch etwa ein Viertel der bei Erwerbstätigen neu auftretenden Depressionen und etwa ein Fünftel aller koronaren Herzkrankheiten vermieden werden, so der Wissenschaftler.

Die Rente mit 67 macht vor diesem Hintergrund keinen Sinn, sagt Judith Kerschbaumer, Leiterin des Bereichs Sozial- und Gesundheitspolitik bei ver.di. Sie fordert ein Umdenken. "Ziel muss es sein, gesund in die Rente zu gehen." Solange jedoch alters- und altersgerechtes Arbeiten, Prävention und betriebliche Gesundheitspolitik in vielen Betrieben Tabuthemen seien, würde die Verlängerung der Lebensarbeitszeit bis 67 für viele Beschäftigte zur Qual. Hinzu komme, dass der Arbeitsmarkt für Ältere oft kaum echte Chancen biete. Die bittere Konsequenz laut Kerschbaumer: "Längere Zeiten im Arbeitslosengeld-II-Bezug führen dann vielfach zu Altersarmut."

Bürokraft

Belastungen: Stress durch Termindruck, moderne Bürokommunikation (z. B. Mailflut), Mobbing, Unter- oder Überforderung. Bewegungsmangel. Fehlhaltungen durch Bildschirmfixierung. Häufiges Sitzen. Zwangsbewegungen an der Tastatur. Bildschirmarbeit. Lärm. Trockene Büroluft.

Risiken: Bluthochdruck. Herzkreislauferkrankungen. Übergewicht. Muskel- und Skeletterkrankungen. Atemwegserkrankungen. Augenschäden. Erkrankungen des Magen- Darm-Traktes.

Prognose: Schlecht. Lediglich 13,5 Prozent der Bürokräfte sind 55 Jahre und älter.

Quelle: Bundesagentur für Arbeit / eigene Berechnungen, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin


Straßenreiniger

Belastungen: Stress durch hohen Leistungsdruck. Vibrationen. Hitze, Nässe und Kälte. Heben und Tragen. Gefahrstoffe. Zwangshaltungen.

Risiken: Bluthochdruck. Herzkreislauferkrankungen. Muskel-Skelett- Erkrankungen. Hohe Unfallgefahr. Schäden durch Giftstoffe. Neurologische Erkankungen.

Prognose: Schlecht. Lediglich 14,5 Prozent der Straßenreiniger sind 55 Jahre und älter.

Quelle: Bundesagentur für Arbeit / eigene Berechnungen, Institut für Ökonomie & Prävention


Kraftfahrer

Belastungen: Stress durch Verkehr, Nacht- und Schichtarbeit, lange Arbeitszeit und Termindruck. Monotonie. Vibrationen. Hitze. Heben und Tragen. Gefahrstoffe. Bewegungsmangel.

Risiken: Diabetes. Bluthochdruck. Übergewicht. Herzkreislauferkrankungen. Wirbelsäulenbeschwerden/Rückenschmerzen. Unfallgefahr. Schäden durch Giftstoffe.

Prognose: Schlecht. Lediglich 17,1 Prozent der Kraftfahrer sind 55 Jahre und älter.

Quelle: Bundesagentur für Arbeit / eigene Berechnungen, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin


Krankenschwester

Belastungen: Stress durch hohe Verantwortung und Termindruck, Nacht- und Schichtarbeit, lange Arbeitszeit. Heben und Tragen. Gefahrstoffe.

Risiken: Bluthochdruck. Herzkreislauferkrankungen. Muskel-Skelett-Erkrankungen. Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts. Unfallgefahr. Schäden durch Giftstoffe.

Prognose: Sehr schlecht. Lediglich 8,5 Prozent der Krankenschwestern sind 55 Jahre und älter.

Quelle: Bundesagentur für Arbeit / eigene Berechnungen, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin