Das Tribunal ungeschützte Arbeit tagte in Frankenthal

Von Jürgen Dehnert und Jerome Frantz

Die Angeklagten blieben der Verhandlung vorsorglich fern

"Vor lauter Panik habe ich die Kasse nicht mehr aufgekriegt." Tina Neumann kämpft gegen die Tränen. Sie schildert, wie ihr ein maskierter Mann eine Pistole vor die Nase hält. Sie hat keine Chance, weil sie allein ist in der Schlecker-Filiale. Als der Täter endlich den Laden verlässt, ist der Alptraum noch lange nicht zu Ende. Zu der Angst um den Arbeitsplatz ist jetzt noch die Angst vor dem Arbeitsplatz gekommen. Sie ist lange krank und kann sich nur schwer an den Gedanken gewöhnen, ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Und dann der Schock. An ihrem ersten regulären Arbeitstag wird sie wieder allein im Laden gelassen.

Tina Neumann ist eine der Zeuginnen und Zeugen, die im Tribunal ungeschützte Arbeit am 15. November im CongressForum Frankenthal aussagen. Sie geben den 200 Zuhörer/innen einen direkten, ungeschönten Blick in die Welt der prekären Arbeit. Da ist zum Beispiel Lutz Heller, Leiharbeiter in der Druckindustrie (siehe nebenstehenden Bericht). Da ist Wolfram Kalb, Möbelverkäufer, den Stress und Arbeitshetze zum Burnout bringen. In der Reha-Maßnahme kommen 30 Prozent der Mitpatienten ebenfalls aus der Branche. Und da ist schließlich Markus Breitscheidel, der ein Jahr lang Leiharbeit und Armutslöhne am eigenen Leib getestet und ein Buch darüber veröffentlicht hat.

Minijobs gehören abgeschafft

Die Aussagen der Zeuginnen und Zeugen werden unterstützt von Berichten und Stellungnahmen sachverständiger Betriebs- und Personalräte und von Sachverständigen aus Publizistik und Wissenschaft. Professor Stefan Sell von der Fachhochschule Koblenz- Remagen: "Minijobs, wie sie derzeit gesetzlich geregelt sind, gibt es nur in Deutschland und in Österreich. Das sollte vernünftigen Menschen schon zu denken geben. Minijobs gehören abgeschafft."

Für sechs Stunden ist das CongressForum in Frankenthal das Gericht, vor dem die ver.di-Landesbezirke Rheinland-Pfalz und Saar Minijobs, Leiharbeit, Armutslöhne, Arbeitshetze, Befristungen und Praktika sowie Gewalt im Einzelhandel verhandeln. Die Anklage wird von den beiden Landesbezirksleitern Uwe Klemens und Alfred Staudt vorgetragen. Die Bank der Angeklagten - in diesem Fall alle Arbeitgeber, die miese Jobs und prekäre Arbeitsverhältnisse dulden oder fördern, bleibt leer. Wer würde sich auch gern freiwillig all der berechtigten Kritik aussetzen?

Das Tribunal bilden Wiebke Koerlin, Peter Gerlich und als Präsident Rolf Becker. Der gewerkschaftlich engagierte Schauspieler tritt ohne Gage auf und ist extra aus Hamburg angereist. Das Thema ist eine Herzensangelegenheit, und so verlässt er schon bald die Strafprozessordnung und zitiert Bert Brecht: "Dass du dich wehren musst, wenn du nicht untergehen willst, wirst du doch wohl einsehen."

Zwei Rapper für Gerechtigkeit

Auch sonst wechseln gewohnte Gerichtselemente immer wieder mit eher Ungewohntem ab. So wird der Gang der Verhandlung von KOC Entertainment kommentiert. Die zwei jungen Rapper aus Koblenz haben extra für das Tribunal drei neue Songs geschrieben. Sie sind selber im Thema belastende und prekäre Arbeit drin. Daniel Dehnert arbeitet in der Krankenpflege, Harry Filbert jobbt bei einem Textildiscounter.

Nach der Beweisaufnahme tragen Christine Gothe und Andrea Hess die Plädoyers vor. Sie fordern unter anderem ein Tariftreuegesetz für öffentliche Aufträge, einen branchenübergreifenden, gesetzlichen Mindestlohn, die Bekämpfung des Missbrauchs von Leiharbeit, befristeter Arbeit und Praktika und schließlich einen Sicherheitstarifvertrag für die Beschäftigten des Einzelhandels.

Das Urteil

Der Präsident entscheidet "antragsgemäß", brummt aber den Veranstaltern einige zusätzliche Verpflichtungen auf. Der Kampf um gute Arbeit hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sich die Belegschaften nicht gegeneinander ausspielen und in Rand- und Kernbelegschaften spalten lassen. Prekäre Arbeit lässt alle Beschäftigten schutzlos zurück und vernichtet die Arbeitsgrundlage der Gewerkschaften, der Betriebs- und Personalräte.

Das Tribunal wird ausführlich dokumentiert und im Internet unter www.rlp.verdi.de der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Die Veranstaltung wurde vollständig in Bild und Ton aufgezeichnet, einzelne Teile des Prozesses können für Gremien und Bildungsarbeit eingesetzt werden. Eine Kurzfassung der gesamten Veranstaltung erscheint als DVD und kann beim Bereich Presse, Öffentlichkeit, Kommunikation bezogen werden:

Jürgen Dehnert, TEL. 06131/9726110, oder: juergen.dehnert@verdi.de