Sieghard Wilm, der Pastor von der Reeperbahn

Seit dem 25. November gibt es in der Filiale Reeperbahn 158 den zweiten Betriebsrat bei Lidl in Hamburg. Ein toller Erfolg! Wir gratulieren der Betriebsrätin Astrid Peters und natürlich auch dem "Nachrücker" Karsten Bartsch. Begonnen hat alles so, wie wir es von Lidl kennen: Den beauftragten Gewerkschaftsvertreter/innen wurde anfangs verwehrt, den vom Gesetz vorgesehenen Wahlaufruf in der Filiale aufzuhängen. Das Unternehmen lenkte aber ein, als der Vorgang öffentlich gemacht und auch unter der Kundschaft aus St. Pauli bekannt wurde. Besondere Unterstützung bekam die Belegschaft vom Pastor der St. Pauli Kirche, Sieghard Wilm (43).

ver.di PUBLIK | Pastor Wilm, Sie haben das Anliegen der Belegschaft des Lidl-Markts in Ihrem Gemeindebezirk von Anfang an unterstützt. Warum?

Sieghard Wilm | Die Reeperbahn ist die bekannteste Partybühne in Deutschland, die jedes Wochenende zehntausende Besucher anzieht. Damit das klappt, müssen hinter den Kulissen viele Menschen hart arbeiten. Das ist die unbekannte Seite der glitzernden Amüsiermeile. Die Beschäftigten bei Lidl sind an jedem Werktag bis in die Nacht da, auch am Sonntag ist die Filiale geöffnet. Sie stehen nicht im Rampenlicht. Sie haben Anspruch auf unsere Unterstützung, wenn ihr Arbeitgeber ihnen Rechte vorenthält, die ihnen zustehen. Ich kümmere mich besonders um die Schwachen in meiner Gemeinde, deren Bedürfnisse in dieser Umgebung leicht auf der Strecke bleiben. Die Kirche darf auch nicht zulassen, dass Menschen an ihrem Arbeitsplatz Angst haben.

ver.di PUBLIK | Betreuen Sie eine besondere Gemeinde?

Wilm | Ja, sie ist wohl einzigartig in der Stadt. Im Vergleich mit den anderen Kirchengemeinden sind unsere Mitglieder jünger und überwiegend männlich. Sie kommen aus zahlreichen verschiedenen Ländern. Unter ihnen sind viele Kreative, überdurchschnittlich gebildet und beruflich sehr erfolgreich. In meiner Gemeinde spiegelt sich der dynamische Wandel der Stadtteile St. Pauli, des Schanzen- und Karolinenviertels, die dazugehören. Diese Quartiere sind attraktiv und ziehen die Menschen an, so dass die Gemeinde in den letzten Jahren gewachsen ist. Die soziale Bandbreite der Bevölkerung ist enorm: Werbeagenturen, Internetfirmen, Designstudios und teure Klamottenläden auf der einen Seite, Prostitution, Schwarzarbeit in der Kneipenszene, Menschen mit illegalem Aufenthaltsstatus, Arbeitslose, Arme auf der anderen Seite. Und auch offene Gewalt. Mich beschäftigt, wie junge Menschen in einer solchen Umgebung Vorbild und Orientierung finden können. Wir müssen sie stärken, damit sie von der chaotischen Vielfalt nicht einfach weggespült werden.

ver.di PUBLIK | Was tun Sie dafür?

Wilm | Wir bieten niedrigschwellige Angebote; zu uns kann jeder kommen. Wir sind offen für die Begegnung zwischen unterschiedlichen Szenen, Kulturen und Religionen. Unser Hausmeister ist beispielsweise Marokkaner. Wir Pastoren gehen auch dorthin, wo sich die sozialen Konflikte entladen. Wir suchen das Gespräch, hören zu und leihen auch denen eine Stimme, die in unserer kommerzialisierten Welt leicht überhört werden. So wie die Beschäftigten bei Lidl. Wer mehr Gerechtigkeit will, soll das nicht nur in der Kirche predigen. Die Botschaft muss auf die Straße, ins Leben.

Interview: Jörg-Dieter Bischke-Pergande

info@stpaulikirche.de

http://handel-hamburg.verdi.de/eh/lidl/br-wahlen_1