Ich bin dagegen

Heinz Rudolf Kunze: Protest | Als Heinz Rudolf Kunze geboren wurde, war Konrad Adenauer noch Bundeskanzler. Seine ersten Songs veröffentlichte er unter Helmut Schmidt und seinen größten Erfolg feierte er in der ersten Amtszeit von Helmut Kohl. Nun begeht der mittlerweile 52-jährige Sänger ein Jubiläum: Protest ist sein 20. Studioalbum. Auf dem findet sich, dem kämpferischen Titel zum Trotz, doch vor allem die gewohnte Mischung aus gedrechselter Liebeslyrik, gesellschaftlicher Beobachtung und politischer Betrachtung. So wünscht sich Kunze zu weitgehend harmlos dahintröpfelnder Popmusik mal "längere Tage und leise Musik", mal rafft er sich zu vergleichsweise bösartig schubbernden Gitarren zu einem eher diffusen Dagegen auf.

Dabei bewegt sich Kunze, ehemals als singender Sozi verspottet, aber längst aus der Partei ausgetreten, in letzter Zeit doch eher in der Nähe von kirchlichen Kreisen. Dazu passend beschäftigt er sich mit seinem Seelenheil ("Es ist möglich, dass es mehr gibt als den Tod") oder trägt auch gern durchaus kanzeltaugliche Kalenderweisheiten zu allgemein gültigen Themenbereichen vor ("Ohne Freiheit ist der Mensch verloren/ Eingekerkert in Natur und Zeit").

Auch die aktuelle Zeitgeschichte kommt nicht zu kurz bei Kunze. In Astronaut in Bagdad schlüpft er in die Uniform eines US-Soldaten im Irak, in Selbst ist die Zerstörung erklärt er den Kampf gegen die drohende Umweltkatastrophe für verloren: "Die nächste Welt gehört den Küchenschaben." So pessimistisch war Kunze nie, so derbe knarzte auch seine Begleitband bislang noch nicht.

Ganz der Alte ist der in Hannover lebende Kunze immerhin in dem leichten Spott, der schon früher viele seiner Lieder auszeichnete, selbst seinen größten Hit Dein ist mein ganzes Herz. Solche Ohrwürmer mit Schlagseite zum Schlager finden sich mit Ein besonderer Tag oder Regen in meinem Gesicht auch auf diesem neuen Kunze. Die können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Protest immer mal wieder klingt wie das letzte verzweifelte Röhren eines Auslaufmodells.

Doch Kunze ist das egal. Er trägt noch heute seine großen bunten Brillen, er, der als Dozent an der Fachhochschule Osnabrück das Songschreiben lehrt, glaubt an die aufklärerische Wirkung seiner Poesie, er begibt sich in die Niederungen der Unterhaltung und kocht beim Vox-Promi-Dinner mit. So wird Heinz Rudolf Kunze auch noch den Nachfolger oder die Nachfolgerin von Angela Merkel erleben. Und überstehen.

Pop, CD, Sony BMG


Keith Jarrett: Yesterdays | Seit 1975 ist sein Name untrennbar verbunden mit einem der meistverkauften Alben der Jazzgeschichte, dem legendären Köln Concert. Aber Pianist Keith Jarrett hatte noch etliche andere Betätigungsfelder: als Komponist zeitgenössischer Musik und auch als Interpret klassischer Werke von Bach bis Schostakowitsch. Daneben steht der Name Jarrett für eine extrem langlebige Formation, die seit ihrer Gründung vor nunmehr 26 Jahren eine unumstößliche Größe in Sachen Piano-Trio ist. Und das in immer noch unveränderter Besetzung, mit Gary Peacock am Bass und Jack DeJohnette an den Drums. Eine Band, die wie ein guter Rotwein mit jedem Jahr besser wird. Mit klassischen Broadway- und Hollywood-Songs sowie den Bebop-Standards à la Charlie Parker steht ein nie versiegender Quell an Vorlagen zur Verfügung. Jarretts Akustik-Trio präsentiert die Songs mit unglaublicher Perfektion, seien es turbulente Uptempo-Stücke wie Scrapple from The Apple oder herzerwärmende Balladen wie das Titelstück. Wer's trendy mag, der höre woanders. Wer aber Ohren hat für Musik, die durch edlen Sound, grandiose Improvisationen und telepathisches Zusammenspiel besticht, der erwirbt mit Yesterdays einen zeitlosen Klassiker.

RIX

JAZZ, CD, ECM


Starsailor: All The Plans | Ihren Rang als Dienst habende Melancholiker Großbritanniens haben Starsailor in den vergangenen Jahren an die Konkurrenz von Coldplay verloren. In deren Schatten konnten sie sich dafür zu einer vergleichsweise handfesten Rockband entwickeln. Dass sie trotzdem das gepflegte Trauern nicht verlernt haben und sich immer noch darauf verstehen, schwermütige Balladen in epischer Breite zu inszenieren, beweist die Band aus dem nordenglischen Chorley erneut mit ihrem vierten Album All The Plans. Songs wie Safe At Home sind wundervoll verdruckste Schwermüteleien, ausgestattet mit waidwund flehenden Gitarren und tränendrüsendrückenden Melodien, die von der Vergeblichkeit allen Seins handeln und Titel tragen wie You Never Get What You Deserve. Und selbst vergleichsweise flott rockenden Songs wie Tell Me Its Not Over tragen Trauerflor aus Überzeugung. Schließlich singt der oberste Sternensegler James Walsh ebenso herzzerreißend über die Blätter an den Bäumen wie über Beatmungsgeräte. In seinen Songs gerät das erste Herzklopfen ebenso kummervoll wie die Erkenntnis, dass die Liebe doch nur ein großer Fehler ist. Aus solchem Stoff werden Balladen gestrickt. Und kaum jemand beherrscht diese Maschen momentan so gut wie Starsailor.

TO

ROCK, CD, VIRGIN