Im Interview: NDR-Justitiar Dr. Werner Hahn

"Formal bleibt die Rundfunkfreiheit unangetastet, aber durch Formalisierung und Bürokratisierung gerät die Rundfunkfreiheit zunehmend in Gefahr, gelähmt und sukzessive erdrosselt zu werden", sagt NDR-Justitiar Dr. Werner Hahn. Er sieht den verfassungsrechtlichen Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender gefährdet. Vor allem drohe im Telemedienbereich der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit. Auslöser ist der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, bei dem ARD und ZDF viele Kröten schlucken müssen. ver.di publik sprach mit dem Medien-Experten über seine persönliche Einschätzung.

ver.di PUBLIK | Wird bei Online-Medien mit zweierlei Maß gemessen?

Hahn | Das ist leider so. Es erscheint weder logisch noch im Sinne der Gebührenzahler vertretbar, wenn beispielsweise Sportangebote der Öffentlich-Rechtlichen aufgrund von willkürlich festgelegten Fristen binnen 24 Stunden pauschal wieder aus dem Netz verschwinden müssen. Neue oder veränderte Telemedienangebote werden künftig erst nach monatelangen komplexen Drei-Stufen-Verfahren erscheinen können. Dabei wird unter anderem überprüft, ob das Angebot publizistisch wertvoll ist, was es kostet und welche marktlichen und ökonomischen Auswirkungen es auf schon vorhandene Angebote hat. Sogar der gesamte, schon bestehende und derzeit rechtmäßig von ARD und ZDF vorgehaltene Telemedienbestand soll diesem bürokratischen Monstrum unterworfen werden. Dies belastet die Gremien mit erheblichem Verwaltungsaufwand und die Landesrundfunkanstalten mit zusätzlichen Kosten. Wir müssen also alles, was heute rechtmäßig ist, auf den Prüfstand stellen und laufen im Ergebnis Gefahr, einem gesetzlichen Telemedien-Teilverbot zum Opfer zu fallen, wenn ein Bestandteil durch das Raster fällt. Umso erstaunlicher ist, dass dieser Test gesetzlich auch Telemedien wie Videotext umfassen soll, deren Prüfung die EU-Kommission gar nicht verlangt hat.

ver.di PUBLIK | Haben die Öffentlich-Rechtlichen keine Lobbyisten?

Hahn | Zwar haben sich Kirchen, Gewerkschaften und Verbraucherverbände für uns stark gemacht. Doch vor allem die kommerziellen Sender und Verlage verfügen offensichtlich - vor dem Hintergrund sinkender Auflagen und Werbe- sowie Anzeigenerlöse - über die erfolgreicheren Lobbyisten. Die fanden insbesondere in Brüssel weit geöffnete Beamtenohren. Denn bei den neoliberalen Wettbewerbshütern der EU-Kommission wird seit jeher die Solidarfinanzierung von Dienstleistungen und damit auch die Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als eine an sich verbotene staatliche Beihilfe angesehen.

Die Tolerierung wird von Bedingungen abhängig gemacht, für die die Kommission eine "Kompetenz-Kompetenz" beansprucht. Es überrascht mich immer wieder, dass sich die Bundesländer das gefallen lassen. Manche Länder überbieten sich derzeit förmlich in ihren Versuchen, die von ihnen getragenen Rundfunkanstalten an die Kette zu legen. Dabei versteckt sich die Politik gern hinter den Brüsseler Beamten.

ver.di PUBLIK | Welche Zukunft wird der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag haben?

Hahn | Da einige Verlage bereits angekündigt haben, im Zusammenhang mit Telemedienangeboten von ARD und ZDF die Gerichte zu bemühen, wird der neue Staatsvertrag über kurz oder lang beim Bundesverfassungsgericht auf dem Prüfstand stehen und - so meine Prognose - zur Enttäuschung der Kläger in Teilen für verfassungswidrig erklärt werden.