Mein Vater in Aus-Wisch

Der Junge im gestreiften Pyjama | Sie sitzen sich gegenüber wie die zwei Seiten einer Medaille. Bruno, der achtjährige Sohn eines KZ-Kommandanten, darf sich dem Zaun, hinter dem der abgemagerte Shmuel in seinem ulkigen Pyjama lebt, eigentlich nicht nähern. Doch ihm ist langweilig, der Vater hat rätselhafte Dinge an diesem Ort "Aus-Wisch" zu tun, die Mutter ist mit dem Aufbau des neuen Lebens im Haus auf dem Land beschäftigt. Hierhin ist ihr Ehemann befördert worden, unter dem Siegel strengster, auch familiärer Verschwiegenheit.

Der Junge ignoriert das Verbot, hinter dem Haus herumzustromern, und trifft auf Shmuel; er hält ihn für einen Bewohner des Bauernhofs, den er von seinem Fenster aus sehen kann. Wo echt was los ist, alle im Pyjama herumlaufen und wo dauernd der Schornstein qualmt. In rührend naiven Gesprächen werden die beiden Freunde, auf die bedingungslose Weise, wie das bei Kindern eben so ist. Mühsam versuchen sie, die rätselhafte Welt des anderen zu verstehen: Wie geht das Spiel mit den Nummern auf den Schlafanzügen? Warum stopft Shmuel sich alles, was Bruno zu essen bringt, auf einmal in den Mund? Wie Roberto Benignis Das Leben ist schön nähert sich der Eröffnungsfilm des diesjährigen Jüdischen Filmfestivals Berlin dem Schrecken der Judenvernichtung mit den Augen eines Kindes. Regisseur Mark Hermanns Film basiert auf einem Jugendbuch von John Boyne; ihm steht Komik hier nicht zur Verfügung. Sehr feinfühlig zeigt er indes Brunos Mühen, sich diesen Wahnsinn zusammenzureimen, sein Lehrbild "vom Juden" übereins zu bringen mit dem seines Freundes hinterm Zaun, den er später verraten und ihm wieder treu werden wird.

Ab welchem Alter kann und soll man Jugendliche über den Holocaust aufklären? Für viele Eltern eine schwierige Gratwanderung, bei der dieser gradlinig erzählte Film durchaus unterstützen kann. Der herrische Vater, die verzweifelte Mutter, die nazibegeisterte Schwester und der grausame Soldat scheinen bewusst stereotyp. Das eigentliche Drama schöpft der Film aus den Schwingungen zwischen kindlicher Naivität und grausiger, verheimlichter Realität. Die bricht erst in den letzten, sehr starken Minuten des Films über die Jungen und den Zuschauer herein. Das aber in gnadenloser Konsequenz, die eine neue Qualität im Umgang mit dem Abrechnungsgedanken zeigt.

Jenny Mansch

GB/USA 2008; R.: Mark Hermann; D.: Asa Butterfield, Jack Scanlon, Amber Beattie, David Thewlis, u.a.; 97 Min., FSK: Ab 12; der Film eröffnet am 3. Mai im Delphi Filmpalast das Jüdische Filmfestival Berlin 2009 (3. -14. Mai 2009); Programme und Infos: www jffb.de Regulärer Kinostart: 7. Mai 2009


Knowing | Ein mysteriöses Blatt Papier mit Kolonnen von Zahlen: Der Astrophysiker John Koestler alias Nicholas Cage ahnt, dass es sich hier um eine düstere Prophezeiung handelt. Bald findet er heraus, dass das Schulmädchen, das diese verschlüsselte Botschaft vor 50 Jahren in einer Zeitkapsel einlagerte, hellsehen konnte. Denn der ominöse Code terminiert auf Tag und Minute genau alle Unglücke in den vergangenen Jahrzehnten. Schlimmer noch: Das Dokument endet mit der Ankündigung einer globalen Katastrophe. Klimawandel, übersinnliche Kräfte und Veränderungen im All: Regisseur Proyas Schreckensvisionen rühren an Urängste wie einst Roegs Klassiker Wenn die Gondeln Trauer tragen. Auch bricht diese gelungene Genremischung aus Mysterythriller, Science Fiction und Familiendrama entgegen Hollywood-Konventionen kein Happy End vom Zaun. Zwar scheinen es die außerirdischen, unbesiegbaren Flüstermenschen nicht schlecht mit Cages kleinem Sohn zu meinen. Ein Fortschreiten der Apokalypse aber kann der allein erziehende Vater nicht aufhalten. Auch dank rasanter, einmaliger Special Effects ist dies eine packende Höllenfahrt, die man so schnell nicht vergisst.

KL

USA 2009. R: Alex Proyas. D: Nicholas Cage, Rose Byrne, Chandler Canterbury, u.a. 122 Min., Start: 9. April 2009


Die wundersame Welt der Waschkraft | Es ist eigentlich absurd: Jeden Tag macht die schmutzige Wäsche aus zahlreichen Berliner Nobelhotels eine 160 Kilometer lange Reise in die polnische Kleinstadt Gryfino. Dort ist der Service besonders billig, denn der deutsche Unternehmer Fliegel zahlt niedrige Löhne an seine polnischen Mitarbeiter. Endlich kommen einmal alle zu Wort: die Frauen, die im Akkord tonnenweise Laken, Frottiertücher und Bademäntel reinigen und mangeln, Lastwagenfahrer, die die Wäsche in Containern beim Kunden abholen und binnen 24 Stunden wieder sauber anliefern, und der neoliberale, zynische Personalchef der Firma Fliegel. Der künstlerische Anspruch kommt dabei ebenso wenig zu kurz wie der politische. Denn Hans-Christian Schmid verbindet gekonnt Kapitalismuskritik mit Poesie. Auf sehr lyrische Weise wird die Farbe Weiß zum dominierenden Element. Der Reiz liegt in den kontrastierenden Parallelwelten, die sich auftun - zwischen denen, die für einen Monatslohn schuften, der kaum für eine Nacht in einem Fünf-Sterne-Hotel ausreicht, und denen, die es sich leisten können, dort am frisch gedeckten Tisch Platz zu nehmen.

KL

D 2008. R: Hans-Christian Schmid. 93 Min., Start: 7. Mai 2009