Peter Bofinger lehrt Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg

STEUERN | Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger fordert mehr Transparenz, damit die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehen können, was der Staat mit ihren Steuergeldern macht

ver.di PUBLIK | Vor der Bundestagswahl versprechen die Politiker/innen gern Steuersenkungen. Was halten Sie davon?

Bofinger | Ich sehe derzeit keinen Spielraum dafür. Wir haben große Einnahmeausfälle durch die Finanzkrise. Bevor Steuern gesenkt werden können, müssen die Politiker erst mal erklären, woher die 15 Milliarden Euro kommen sollen, mit denen jährlich die zusätzlichen Zinsen finanziert werden müssen, die durch die Neuverschuldung wegen der Krise entstehen.

ver.di PUBLIK | Steuersenkungen werden häufig mit dem internationalen Wettbewerb begründet. Ist das ein legitimes Argument?

Bofinger | Nein, das ist es nicht. Im Vergleich zu anderen Ländern sind in Deutschland die Steuern längst im unteren Bereich angekommen. Was bei uns die Belastung in die Höhe treibt, sind die Sozialabgaben. Wenn Politiker sagen, es muss mehr Netto vom Brutto bleiben, müssen sie die Sozialabgaben senken, und zwar nur den Arbeitnehmeranteil, damit das Ganze vollständig den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zugute kommt.

ver.di PUBLIK | Ist es nur eine gefühlte Ungerechtigkeit, wenn Bezieher/innen unterer und mittlerer Einkommen meinen, "die da oben" seien weniger stark belastet?

Bofinger | Dieser Eindruck ist nicht richtig. Das eine Prozent der Einkommensteuerpflichtigen mit den höchsten Einkommen erbringt zehn Prozent der gesamten Einkommensteuer, die zehn Prozent der am besten Verdienenden erbringen 50 Prozent. Die Bezieher niedriger Einkommen zahlen überhaupt keine Einkommensteuern.

Das Problem sind die Sozialabgaben. Wenn jemand nur 800 Euro brutto verdient und davon 20 Prozent als Sozialabgaben zahlt, sind das 160 Euro. Wenn er dann als Hilfebedürftiger bei Hartz IV landet, ist das weder für ihn noch für die Gesellschaft eine sinnvolle Lösung.

ver.di PUBLIK | Wo sehen Sie die Lösung?

Bofinger | Es müssten Sockelfreibeträge für die Arbeitnehmer bei den Sozialabgaben eingeführt werden.

ver.di PUBLIK | Mit dem Versprechen, die Steuern zu senken, vermitteln die Politiker/innen den Eindruck, der Staat nehme den Bürger/innen zu viel ab. Und wer bekommt schon gern zu viel abgenommen?

Bofinger | Die Politiker schüren diesen Eindruck. Wenn der ehemalige Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) darüber nachdachte, "den Bürgern mehr Geld in der Tasche zu lassen", hörte er sich an wie ein Räuberhauptmann, der Überfallenen alles abnimmt und dann überlegt, ob er ihnen doch noch die Eheringe lässt. Mit dem ständigen Gerede über Steuersenkungen erweckt der Staat den Eindruck, als benötige er das Geld seiner Bürger nicht, als hätte er noch ungenutzte finanzielle Spielräume. Besonders unverantwortlich ist es, wenn Politiker, die ständig für Steuersenkungen plädieren, gleichzeitig eine Schuldenbremse einführen. Das ist doch klar, wozu das führt: Damit wird Hand an den Sozialstaat gelegt. Politiker und Interessengruppen drehen damit an den Stellschrauben für den Minimalstaat.

ver.di PUBLIK | Wie erklären Sie sich das Verhalten der Politiker? Sie geben ja damit auch einen Teil ihres Gestaltungsspielraums ab.

Bofinger | Es ist schizophren, wenn Politiker bestrebt sind, sich mit der Schuldenbremse selber Fesseln anzulegen. Das ist ein Armutszeugnis. So verstärkt sich der Eindruck der Bürger, dass die Politiker nicht mit Geld umgehen können.

ver.di PUBLIK | Warum verkaufen sich die Politiker nicht besser und erklären, wozu diese Einnahmen sinnvoll verwendet werden?

Bofinger | Da besteht ein Riesendefizit. Es gibt keinerlei Bemühungen des Staates, eine nachvollziehbare Transparenz zu schaffen, zu zeigen, dass die Steuern auch für die Bürger verwendet werden. Auf der Seite des Bundesfinanzministeriums gibt es - relativ versteckt - den so genannten Staun-Oh!-Mat. Er soll erklären, was mit den Steuergeldern geschieht. Schauen Sie sich das einmal an und Sie werden über die absurden Beispiele, die Sie dort finden, tatsächlich ins Staunen kommen. Der Staat zeigt damit, dass er den Bürgern scheinbar nicht zutraut, dass sie intellektuell in der Lage sind nachzuvollziehen, was mit ihren Geldern gemacht wird. Stattdessen müsste es jedes Jahr einen Bürgerhaushalt geben, der zeigt, dass das Steuergeld für andere Menschen ausgegeben wird.

Jedes Jahr feiert die Lobbygruppe Bund der Steuerzahler den Steuerzahlergedenktag. Das ist der Tag, bis zu dem die Steuerzahler angeblich nur für Steuern und Abgaben gearbeitet haben, also für den bösen Staat. Hier sind andere Gruppen, zum Beispiel die Gewerkschaften, gefordert, ein Gegenmittel zu entwerfen. Wie wäre es, an diesem Termin den Tag der Bürgersolidarität zu feiern. Denn bis zu diesem Tag haben die Steuerzahler solidarisch für andere Menschen in Deutschland gearbeitet.

ver.di PUBLIK | Gibt es in Deutschland aufgrund der Geschichte eine Art irrationaler Angst vor Staatsverschuldung?

Bofinger | Die Schulden- und damit auch die Inflationsangst sind in Deutschland stark ausgeprägt. Dagegen wird von der Politik nichts unternommen, im Gegenteil, Politiker wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) oder Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) stärken sie durch ihre Äußerungen nur. Zum Beispiel könnten sie als eine Begründung für die hohe Staatsverschuldung auch anführen, dass Deutschland damit die Kosten der deutschen Einheit finanziert hat, wozu es keine Alternative gegeben hätte.

Interview: Heike Langenberg

BUCHTIPP

Peter Bofinger: Ist der Markt noch zu retten? Warum wir jetzt einen starken Staat brauchen, Econ, Berlin, 2009, 254 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3430300438

"Wenn Politiker sagen, es muss mehr Netto vom Brutto bleiben, müssen sie die Sozialabgaben senken, und zwar nur den Arbeitnehmeranteil"