von Christine Keck

Aktion in Stuttgart: Die Spur der Erinnerung wird gelegt. Grohmann (Mitte) und seine Mitstreiter/innen

Drei Stufen führen hinein in das Haus, in dem viele Menschen umgebracht wurden. Ein mächtiges Gebäude mit Sandsteinfassade, gleich um die Ecke vom Stuttgarter Rathaus. Im Foyer weist links ein Schild zur Steuerabteilung des Finanzministeriums, rechts hängt eine Gedenktafel. "Sie könnte nicht besser versteckt sein", sagt Peter Grohmann, "hier war erst das Hotel Silber, aber dann die Zentrale der Gestapo, und kaum einer weiß das." Doch das ist seine kleinste Sorge: Der Neo-Renaissancebau soll abgerissen werden, er steht einer profitablen Einkaufs- und Büromeile im Weg. "Das ist kulturelle Barbarei", urteilt Grohmann. Der Kabarettist, Verleger und Autor setzt sich dafür ein, das Haus zu erhalten und in eine Gedenkstätte umzubauen. Dabei hat er viele Menschen hinter sich; Peter Grohmann ist Kopf der Anstifter. Das Bürgerprojekt hat rund 1000 Mitglieder und fast ebenso viele Ideen.

"Mischt euch ein", ist einer der Sätze, die Grohmann gern auf Fassaden sprühen würde. Er ist 72 Jahre alt, doch er kommt mit dem Rennrad. In seiner Plastik-Umhängetasche stecken Poster und Broschüren. Er hat eine Mission, er will aufrütteln. Für viele ist er ein Vorbild, andere halten ihn für einen Plagegeist, denn Grohmann lässt sich nicht leicht abwimmeln. Im Vernetzen ist er Profi. Daher kooperieren die Anstifter mit Amnesty International und dem Stuttgarter Theaterhaus, das Grohmann mitgegründet hat. Sie klopfen bei Oberschulämtern an, um Werbung zu machen für ihre "Lesezeichen", eine Aktion, die der Verband Deutscher Schriftsteller in ver.di angestoßen hat und die Texte gegen Gewalt und Vergessen in die Schulklassen bringt. Auf 200 Lesungen im Jahr kommen die Anstifter, und es sollen mehr werden. Sie fragen bei Freunden, Künstlern oder Schriftstellern an, ob die nicht auch mitmachen wollen.

Die lila Linie

Grohmann schiebt sein Fahrrad über die Straße. Von der ehemaligen Gestapozentrale bis zu einem anderen Projekt der Anstifter braucht man nur eine Minute. Eine lila Linie, handgemalt, vom Regen verwaschen, führt auf das Innenministerium zu. Das ist die Spur der Erinnerung. Sie führt über 70 Kilometer bis nach Grafeneck auf der Schwäbischen Alb. 10 564 psychisch kranke und geistig behinderte Menschen sind zwischen Januar und Dezember 1940 in dem evangelischen Heim vergast worden. "Grafeneck war die Generalprobe fürs KZ", sagt Peter Grohmann über den ersten industriellen Massenmord. Im Oktober 1939 hatte das NS-Innenministerium das Heim beschlagnahmt und in eine Tötungsanstalt umgewandelt. Die viertägige Gedenk-Aktion der Anstifter mit 160 Veranstaltungen in 20 Gemeinden und 7000 Teilnehmern hat daran erinnert. Die Idee dazu kam der Stuttgarter "Stolperstein"-Initiative gegen das Vergessen und ihrem Mitglied Harald Habich.

Nach solchen Aktionen ist Peter Grohmann ein bisschen versöhnt mit der Welt. Er schöpft Hoffnung, wenn er sieht, wie 16-Jährige sich mit Zeitzeugen unterhalten. Er ist bewegt von dem Geständnis einer Frau, die er an der Spur der Erinnerung getroffen hat. "Meine Mutter ist in Grafeneck umgebracht worden", hat sie ihm gesagt. Und eingestanden, sie habe noch nie zuvor darüber gesprochen.

Friedenspreis und Montagskreis

Die Stuttgarterin Petra Bewer hilft bei den Anstiftern mit, wann immer sie Zeit hat. "Mir ist bürgerschaftliches Engagement wichtig", sagt die Antiquarin. Sie ist Mitglied im Vorstand der Stiftung Stuttgarter Friedenspreis, den die Anstifter seit 1995 jährlich verleihen. Er bringt Menschen mit Zivilcourage 5000 Euro und jede Menge Rampenlicht. Bekommen haben ihn zum Beispiel die Belgrader Gruppe "Frauen in Schwarz" und das Dresdner Ökumenische Zentrum für Flüchtlingsarbeit.

Petra Bewers Aufgabe ist es, die 150 000 Euro im Stiftungstopf zu verwalten und für weitere Gelder zu trommeln. "Ein Projekt wie die Anstifter braucht viele Köpfe", sagt sie. Zusammen mit ihrem Mann Peter Conradi und Reiner Graner hat sie die "Montagskreise" initiiert. "Wir müssen mehr kontrovers diskutieren", fordert Petra Bewer und lädt sechs Mal im Jahr zum Debattieren ins Theaterhaus ein. Mal werden mit Experten Wege aus der Energiekrise gesucht, mal werden die Inhalte des Generationenvertrags oder die Gefahren der Privatisierung öffentlicher Aufgaben analysiert. "Es geht darum, sich für andere Denkansätze und Perspektiven zu öffnen", betont die 58-Jährige. Und das sei auch das Ziel der Anstifter.

Fast wird Peter Grohmann die Kappe vom Kopf gerissen, so stürmisch ist die Begrüßung im Bohnencafé. Markus Trump umarmt seinen Lieblingsgast. "Peter hat die Anstifter hergebracht und seither steigt der Umsatz", sagt der Mann mit der Schürze. Ohne Peter hätte er keinen Job hier und müsste zurück in die Werkstatt. Für geistig Behinderte ist das Bohnencafé der Caritas Chance und Herausforderung zugleich. Als ob er nie etwas anderes gemacht hätte, serviert Markus Trump die Kürbissuppe und fragt nach Getränkewünschen.

Im Bohnencafé

Die Lage am Rande des Rotlichtviertels und dicht an einer lärmenden Durchfahrtsstraße hat dem Café Probleme gebracht - und keine Gäste. Doch mit den Anstiftern kam der Aufschwung. Peter Grohmann holte einen Künstler nach dem anderen ins Café. Daraus ist eine Kulturreihe geworden; es melden sich die Kritischen Aktionäre der Daimler-Benz AG zu Wort, es gibt Kabarett oder Georg-Kreisler-Lieder.

Er hängt ein Plakat im Café auf, die Einladung zum Schiller-Abend im Theaterhaus. Der Erlös wird in den Friedenspreis einfließen. Den Preis hat Peter Grohmann während seiner Zeit in Dresden erfunden. Nach dem Mauerfall wollte er etwas vom Aufwind im Osten mitbekommen und verabschiedete sich für ein Jahrzehnt von Stuttgart. Er kaufte sich mit Freunden eine Immobilie in Dresden, eine "Wessi-Wohngemeinschaft mit kulturellem Anspruch". Ins renovierte Kutscherhäuschen auf dem Grundstück durfte der erste Dresdner Stadtschreiber einziehen, auch eine Grohmann-Idee.

Wenn er im Bohnencafé sitzt, winkt er alle zwei Minuten jemandem, der draußen vorbeikommt. Denn Grohmann kennt alle, und alle kennen ihn. Der 72-Jährige denkt kein bisschen ans Aufhören, hat vielmehr schon das nächste Projekt im Kopf: Junge Migranten sollen mit Videokameras losziehen - auf der Suche nach ihrer Lebensgeschichte.


Projekt und Stiftung

Die Anstifter wurden 1993 in Dresden gegründet. Ihr Ziel: Nicht auf bessere Zeiten warten, sondern selbst die Zeit verändern - mit dem Friedenspreis, den sie jährlich vergeben, aber auch mit vielen kleineren Projekten wie dem Bau eines Kinderspielplatzes für ein Asylbewerberheim, der Gründung eines Runden Tisches gegen rechtsradikale Übergriffe in Dresden oder Studienreisen nach Auschwitz. Im Jahr 2000 zog das Bürgerprojekt mit seinem Vorstand Peter Grohmann nach Stuttgart um. 2005 gründeten die Anstifter eine Stiftung, die mittlerweile über 150 000 Euro Kapital verfügt. Fast 200 aktive Anstifter kümmern sich neben Peter Grohmann um Veranstaltungen wie Kunstauktionen, Lesungen, Dokumentationen, eine Kinoreihe und Ausstellungen. Jeder Newsletter wird inzwischen 10 000mal verschickt. Anstifter kann jeder werden, der mindestens 50 Euro im Jahr für die Projekte der Initiative überweist.

www.die-anstifter.de