"Ich kenne Kollegen, die nach 15 Jahren runter vom Bock sind, weil sie psychisch und körperlich fertig sind."

Der Stadtbahnfahrer

Wenn Heinz Bletgen vom Beruf als Stadtbahnfahrer erzählt, leuchten seine Augen. Schnell wird klar: Dieser Mann liebt seinen Job über alles. Vor allem der Kontakt zu Fahrgästen ist ihm wichtig: "Jeder Mensch ist anders, jeder kommt anders auf einen zu." Mit fremden Leuten umgehen zu können, ist für den 60-Jährigen daher eine wichtige Voraussetzung für seinen Beruf: "Ich bin manchmal auch Sozialarbeiter. Zum Beispiel, wenn ich mal einen Betrunkenen beruhigen muss, oder die Fahrgäste mir von ihren Sorgen und Krankheiten erzählen. Manchmal kommen einsame ältere Menschen zu mir, die einfach mal jemanden zum Reden brauchen." Einmal hat Bletgen sogar einem jungen Mann zwei Scheiben aus seiner Brotdose gegeben: "Der tat mir so leid. Er hat mir erzählt, dass er seit drei Tagen nichts mehr gegessen hatte. Für das Brot hat er sich tausendmal bedankt."

Manchmal kommt seine Herzenswärme auch von den Fahrgästen zurück: "Letzte Weihnachten kam eine ältere Dame und hat mir Schokolade geschenkt. Darüber habe ich mich total gefreut." Mit den meisten Fahrgästen kommt Heinz Bletgen gut klar. Sein Erfolgsgeheimnis: "Innere Ruhe, innere Gelassenheit. Denn der Fahrgast kann ja schließlich nichts dafür, wenn ich mal nicht so gut drauf bin." Lediglich über seine jugendlichen Fahrgäste macht sich der 60-Jährige etwas Sorgen: "Die sind manchmal so besoffen und hauen sich Dinger rein... unglaublich."

Seit 1974 arbeitet der gelernte Kfz-Mechaniker beim hannoverschen Verkehrsbetrieb üstra. Seitdem ist er schon mehrere Millionen Kilometer gefahren - und das "komplett unfallfrei", wie er stolz erzählt. Um das zu schaffen, braucht es große Nervenstärke: "Jedes Mal, wenn es einen Beinahe-Unfall gibt, bin ich nahe am Herzinfarkt." Anstrengend sind zudem der häufige Wechsel von Früh-, Mittel-, Spät- und Nachtschicht, auch am Wochenende. Von der Rente mit 67 hält Bletgen daher überhaupt nichts, trotz aller Begeisterung für seinen Job: "Das ist ein enorm anstrengender Beruf. Ich kenne Kollegen, die nach 15 Jahren runter vom Bock sind, weil sie psychisch und körperlich fertig sind. Zum Beispiel durch Verkehrssituationen, die sie nicht verkraftet haben." Durch das ständige Sitzen haben einige Kollegen Rückenprobleme, Bandscheibenvorfälle sind keine Seltenheit. Bletgen selbst hat bisher Glück gehabt, fühlt sich noch relativ fit. Das liegt vermutlich auch daran, dass er immer schon begeisterter Sportler war. Im hauseigenen Sportverein der üstra eröffnete er 1977 ein Fitness-Studio, machte dort später auch eine Tennis-Sparte auf. Zudem war er lange Jahre Fußball- und Tischtennisspieler, Sportkegler und Tänzer. Noch heute hält er sich in einem kleinen Studio auf dem heimischen Dachboden in Schwung. Bis 67 würde er dennoch nicht arbeiten wollen, denn: "Ich weiß ja nicht, wie ich mich in den nächsten Jahren fühle. Außerdem möchte man ja auch einen guten Lebensabend verbringen." Dann hat Heinz Bletgen endlich auch mehr Zeit für seine Ehefrau, die er bei der üstra kennengelernt hat - und die ebenfalls als Stadtbahnfahrerin unterwegs ist. Harald Grube


"Früher hab' ich gesagt: Ich kann arbeiten. Heute: Ich muss."

Die Erzieherin

Ingrid Weichhaus gehört zu den Frauen, die ungläubiges Staunen ernten, wenn sie ihr Alter verraten. Sie ist 61 und doch sieht sie aus, als hätte sich ihre Jugend gerade erst von ihr verabschiedet. Vergeblich sucht man ihr Gesicht nach alterstypischen Falten ab, ihre Gesichtszüge sind weich und mädchenhaft. Nur unter dem Druck des anschwellenden Geräuschpegels in der Integrations-Kita Warburgzeile in Berlin-Charlottenburg senkt sie manchmal müde ihre Lider. Der Krach geht an die Nerven.

Ingrid Weichhaus ist in der wilden Zeit des Jahres 1968 aus Westdeutschland nach Berlin gezogen. Ursprünglich war sie Kinderpflegerin, abends nach der Arbeit hat sie in der Fachschule für Erzieher den Beruf erlernt, in dem sie ihr ganzes Berufsleben verbracht hat: Erst im Pestalozzi-Fröbel-Haus, dann acht Jahre in einer Eltern-Kind-Kita in Friedenau - für die Erzieherin eine wirklich gute Zeit: "Das war ein anderes Arbeiten. Da sind wir noch - gemeinsam mit den Eltern - nach Griechenland gefahren, haben am Strand Supervision gemacht, das war für alle eine schöne Sache", erinnert sie sich. Auch an das Kennenlernen und die gute Zusammenarbeit im Anschluss an die Reise.

Bis zur Geburt ihres Sohnes hat Ingrid Weichhaus immer Vollzeit gearbeitet, dann ging sie auf vier Stunden Teilzeit, um mehr Zeit für ihr eigenes Kind zu haben. Seit seinem dritten Lebensjahr sorgte Ingrid Weichhaus auf diese Weise allein für den Sohn, bemühte sich aber um eine Aufstockung auf sechs Stunden, als das Kind zehn Jahre alt war. Doch dann kam die Haushaltssperre und es gab keine neuen Verträge. "Seitdem bin ich immer froh, wenn ich mal aufstocken kann, was aber nur dann geht, wenn jemand anders reduziert. Um das Studium meines Sohnes zu finanzieren, reicht das Festgehalt einer sechs-Stunden-Kraft einfach nicht. Seit einem halben Jahr arbeite ich nun Vollzeit und hoffe auf Verlängerung."

Eigentlich hat Ingrid Weichhaus es bald geschafft. "Ich hab ja noch Glück", sagt sie und setzt es bewusst in Gänsefüßchen, "ich habe mit 65 meine 45 Berufsjahre voll und kann dann in Rente gehen." Bleiben noch vier Jahre, die bewältigt werden müssen, mit Kräften, die nachlassen. Sie ermüdet schneller und sie wird empfindlicher. Nicht umsonst hat die Natur es so eingerichtet, meint sie, dass man mit 60 keine Kinder mehr haben kann. "Früher hab' ich gesagt: Ich kann arbeiten. Heute: Ich muss." Sonst hätte sie 18 Prozent weniger Rente. "Das ist eine Menge Geld", sagt sie. Die Rente mit 67 gehe - speziell für Erzieher/innen - gar nicht. "Wie sieht das denn in zehn Jahren hier aus?", fragt sie sich. Wenn die jüngeren Kolleg/innen, auch schon in den 50ern, älter werden. Neueinstellungen von jungen Kollegen gibt es nicht. "Das ist den Kindern gegenüber unfair, wenn ihnen nur noch alte Erzieherinnen nachrennen müssen."

Sie wünscht sich mehr Flexibilität für ältere Erzieher/innen. Mehr Chancen, anders eingesetzt zu werden, wenn die Kräfte schwinden. Die Entscheidung, will ich noch mit Kindern, kann ich das noch, oder wäre die Verwaltung und Dokumentation jetzt eher mein Ding. "Die Wahl ist in unserem Beruf nicht gegeben", bedauert sie.

In vier Jahren - wenn alles gut gegangen ist mit der Gesundheit - kann sich Ingrid Weichhaus auf ihre Rente freuen. Bedingt. Nach 45 Berufsjahren wird sie erst einmal in eine billigere Wohnung umziehen müssen. "Nicht mehr als 500 Euro für die Wohnung, dann hab ich noch einmal 500 Euro zum Leben." Schiefgehen darf bis dahin aber auch nicht das Geringste. Jenny Mansch


"Der Staat spekuliert doch darauf, dass wir irgendwann tot umfallen."

Der Müllwerker

Patrik Kornelie ist Müllwerker beim Zentralen Kommunalen Entsorgungsbetrieb (ZKE) in Saarbrücken. Der 42-jährige Familienvater ist gelernter Maurer und hat fast 15 Jahre lang als Landschaftsgärtner gearbeitet. Den Job als Müllwerker hat er vor fünf Jahren angenommen, "um nicht arbeitslos zu sein", wie er sagt. Fünf Tage in der Woche von 6 Uhr früh bis halb drei am Nachmittag schleppt der stämmige Mann im orangefarbenen Arbeitsanzug mehr oder weniger volle Abfalltonnen aus Hinterhöfen und Kellern zum Lkw und bringt sie geleert wieder zurück. Das ganze im Eiltempo. "Ob es regnet oder schneit, ob es heiß ist oder eisig kalt, die tägliche Tour muss erledigt werden", sagt Kornelie nicht ohne Stolz, "schließlich zahlen unsere Kunden dafür." Zahllose Müllcontainer bewegt er täglich, auf bis zu 22 Tonnen summiert sich ihr Gewicht. Er hängt sie an den Heber des Müllwagens. Den Rest erledigt die Hydraulik. Gut zehn Tonnen Ladung schafft der LKW, dann geht es zum Müll-Heizkraftwerk nach Velsen. Zwei Touren fährt das Team am Tag. "In der Stadt sind wir zu dritt - der Fahrer und zwei Müllwerker - auf der Landtour nur zu zweit", sagt Kornelie und fügt hinzu: "Das bedeutet 20 Kilometer Laufpensum, da musst du schon ziemlich fit sein." In der Innenstadt seien die Wege zwar kürzer, sagt er, aber dafür werde es oft eng für den Müllwagen und seine Besatzung. "Zugeparkte Straßen", beschreibt Patrik Kornelie seinen Touralltag, "kaum eine Lücke für die Tonnen, ungeduldige Autofahrer, die schon mal schimpfen, weil es nur langsam weitergeht." In solchen Situationen sei der Stress besonders groß. Kornelie erzählt auch von den Gefahren, denen er bei seiner Arbeit ausgesetzt ist. Vor wenigen Tagen erst hatten Eis und Schnee ein Durchkommen fast unmöglich gemacht: "Dann schleppst du die Mülltonnen über eisglatte Bürgersteige und Schneeberge am Straßenrand." Einmal habe ihn auf einer verkehrsreichen Straße ein Autofahrer angefahren. Vor kurzem habe er sich den Finger gebrochen, weil ihm die Tonne mitten auf der Straße umzukippen drohte. Auch einen arbeitsbedingten Nasenbeinbruch hat er hinter sich. "Alles halb so wild", winkt er ab. Viel mehr fürchte er die schleichenden Schäden an seinem Körper: Bänderprobleme, Schulter-, Kreuz- oder Knieschmerzen. Langsam bekomme er "manches Zipperlein" zu spüren. Über die Frage, wie lange er noch weitermachen könne, wird er nachdenklich: "Sicher nicht bis 67." Früher seien viele ältere Müllwerker irgendwann auf einen "Schonposten" versetzt worden. Heute bestehe nur noch eine geringe Chance, irgendwann einen Pförtnerjob zu ergattern oder als Kehrer in den Reinigungsdienst versetzt zu werden. Wenn nicht, bleibe wohl nur Frührente oder Hartz IV. "Mit Mitte 50 bekomme ich keinen neuen Job mehr, von dem ich leben kann", gibt Kornelie zu bedenken. "Der Staat spekuliert doch darauf, dass wir irgendwann tot umfallen." Wenn die Politik kein Einsehen habe, müsse eben eine tarifliche Regelung für einen gerechteren Ausstieg aus ihrem Arbeitsleben her. Uli Möhler


"Ich denke, dass in unserem Beruf nur zwei Prozent der Leute bis 65 arbeiten können."

Die Altenpflegerin

Elke Markowska hat noch drei Jahre. Die Rente mit 67 droht ihr noch nicht. Die kleine, gepflegte Frau mit den glitzernden Ohrringen und den sorgfältig manikürten Händen ist 62. Altenpflegerin. Mit drei Schichten und der Verantwortung für 40 Menschen in einer Schicht. Morgens sind die Pflegekräfte auf der Station laut Betriebsvereinbarung zu viert, nachmittags zu dritt, eine ausgebildete Fachkraft und zwei Helfer. Die meisten Bewohnerinnen des Seniorenheims in Berlin-Steglitz, die die Altenpflegerin betreut, leiden an Demenz. Elke Markowska mag sie. Sie liebt die Gespräche, die Kontakte und die Spaziergänge mit den Frauen und Männern, die hier Bewohner heißen, nicht etwa Patienten. Und auch "Klienten" würde Elke Markowska nie sagen, nichts, was klingt, als ginge es um Fälle oder - noch schlimmer - als wären es nur Nummern. Zusammen in den Park gehen, die Alten aktivieren, ermuntern - "wenn man das noch mehr machen könnte, würde die Demenz auch langsamer fortschreiten. Aber die Zeit reicht nie. Gearbeitet wird immer unter Druck. Der Träger will Geld verdienen."

Da wird dann am Personal gespart. Und damit hängt es schließlich auch zusammen, dass Elke Markowska zurzeit krank ist. Der Klassiker: Rückenprobleme. Sie hat gerade eine Bandscheibenoperation hinter sich gebracht. Alte Menschen aus dem Rollstuhl ins Bett zu heben, jahrelang und oft auch allein, das geht ins Kreuz. Ob das bei ihr als Berufskrankheit anerkannt wird, steht noch in den Sternen. Auch ob der Träger der Seniorenresidenz sie zum vorzeitigen Ruhestand drängen wird, weiß Elke Markowska noch nicht. Sie sagt: "Ich denke, dass in unserem Beruf nur zwei Prozent der Leute bis 65 arbeiten können. An 67 ist gar nicht zu denken. Die Jüngeren haben oft schon nach fünf, sechs Jahren ernsthafte Probleme mit dem Rücken, aber sie sind auch erschöpft, haben Burnout. Wir Älteren halten eher länger durch. Wir sind härter im Nehmen." Und sie selbst würde sowieso gern noch weiterarbeiten, auch nach der Operation. Nur nicht mehr als Pflegerin, aber als freigestellte Gesamtbetriebsratsvorsitzende. Die Bewohner würde sie nicht vergessen. Weiter etwas mit ihnen unternehmen, reden. Darauf könnte sie gar nicht verzichten.

Gearbeitet hat Elke Markowska eigentlich immer, im Lebensmittelhandel, in der Gastronomie, in Wienerwald-Restaurants als Chefin, aber vor allem in der Pflege, oft auch als Zweitjob in Kliniken oder in der Hauskrankenpflege - damals, als man in dem Job noch nicht nach Minuten abrechnen musste. Krankenschwester wollte sie immer werden, schon als Kind. Mit Menschen umgehen, sie betreuen, bemuddeln, sagt sie. Sie kommt aus einer Kleinstadt in Rheinland-Pfalz, verließ die Schule mit 14. Gearbeitet hat sie zuerst in einer Bäckerei, von früh um vier bis abends um acht. Zu viel, das fand auch die Familie, in der Elke die zweitälteste von zwölf Geschwistern war. Sie fand es schön in der Großfamilie. Schon mit zwölf trat sie dem Roten Kreuz bei, half den Schwestern, ging mit zu alten Menschen nach Hause, brachte ihnen Essen, redete mit ihnen. Seit 1985 arbeitet sie nur noch in der Pflege. Aber wie lange noch? Claudia von Zglinicki

Der so genannte Ruhestand

Die Rentenpolitiker gehen immer noch von einer Norm aus, die in der Realität keinen Bestand hat. Der jüngste Altersübergangsreport des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) weist darauf hin, dass 2007 - so die jüngsten Zahlen - neun von zehn Rentnern das momentan noch bestehende gesetzliche Rentenalter von 65 Jahren nicht erreicht haben. Seit Einführung der Rentenabschläge bei früherem Renteneintritt gehen die Deutschen zwar im Schnitt später in den Ruhestand als noch 2004, aber tatsächlich hat sich der Anteil derer, die mit 65 Jahren in Rente gehen, nur im Osten erhöht. Eine generelle Verlängerung der Lebensarbeitszeit könne es nur dann geben, so ein Ergebnis der Studie, wenn der Arbeitsmarkt zusätzliche Beschäftigungschancen biete. In der Wirklichkeit fehlen diese Arbeitsplätze. Deshalb gehen die Deutschen mit einer festen Stelle rund 36,3 Monate vor ihrem 65. Geburtstag in Rente, diejenigen in so genannter Übergangsarbeitslosigkeit 38 Monate und die Langzeitarbeitslosen bereits 42,7 Monate vorher. Jeder vierte unter ihnen muss dafür die maximal mögliche Kürzung der Rente in Höhe von 18 Prozent hinnehmen. Das verschärft die Armut im Alter, vor allem die der Frauen. Ihre Durchschnittsrente liegt bei 726 Euro, wenn sie frühzeitig in die Rente gehen müssen.