Nach uns die Sintflut

Gorillaz: Plastic Beach | Ein ganzes Land aus Müll treibt durch den Südpazifik, so groß wie Frankreich. Geschätzte 100 Millionen Tonnen Müll wandern durch unsere Meere, vor allem unverrottbarer Kunststoff. Weil das Wasser fließt und strömt und dann wieder still steht, sammelt sich der Abfall und bildet Teppiche. Auf einen dieser Erdteile aus Unrat im Südpazifik haben sich die Gorillaz zurückgezogen, haben den Müll pink angemalt, sich ein Studio gebaut und ihr neues Album dort aufgenommen.

Nun sind die Gorillaz keine echte Band aus Fleisch und Blut. Sondern, wie das Studio auf der Müllinsel, eine Idee, ein Konzept. Die Band aus Comic-Figuren diente vor allem dazu, ihren Schöpfer Damon Albarn von den Verpflichtungen des Musikgeschäfts zu entbinden. Albarn, der als Chef von Blur einst in den von der Presse lustvoll ausgeschlachteten Britpop-Krieg gegen Oasis hineingeraten war, wollte keine öffentliche Person mehr sein, sondern vor allem mit ständig wechselnden Mitstreitern Musik machen. So posieren stellvertretend für ihn auf Plattencovern und in Videoclips nun jene Charaktere, die Jamie Hewlett geschaffen hatte, das zweite Gorillaz-Mitglied und als Zeichner des Tank Girl eine Berühmtheit in Comic-Kreisen: Der größenwahnsinnige Bassist Murdoc Niccals, die japanische Gitarristin Noodle, der gewichtige Schlagzeuger Russel Hobbs und Sänger 2D mit den blauen Haaren.

Mit ihrem dritten Album hat die Konzept-Band nun einen gesellschaftlichen Auftrag gefunden. Albarn, der sich immer wieder politisch engagiert, zuletzt gegen die britische Teilnahme am Irak-Krieg, nimmt sich der ozeanischen Hinterlassenschaft des Menschen an. In dem verdichteten Zivilisationsmüll, auf dem die Musik angeblich entstanden ist, finden sich Reste aus allen Kulturen der Welt und hinterlassen ihre Spuren in dem wieder einmal mitreißenden Pop der Gorillaz. Moderne Club-Beats verbinden sich mit traditoneller Folklore, Electronica und Dub mit Rock und HipHop. Das libanesische National Orchestra of Arabic Music spielt orientalische Harmonien, das Hypnotic Brass Ensemble aus Chicago steuert Jazz bei, Gastbeiträge kommen von Lou Reed, dem Rapper Snoop Dogg oder der Soul-Legende Bobby Womack. Es ist eine musikalische Reise einmal rund um diesen geschundenen Planeten. Denn dessen Rettung beginnt mit der Säuberung der Ozeane, das ist die Botschaft von Plastic Beach, und diese Botschaft sollte uns alle bewegen – wie das sonst nur großartiger Popmusik gelingt. Thomas WinklerCD, EMIFILMTIPP ZUM THEMA: PLASTIC PLANET, DOKUMENTATION (2009) VON WERNER BOOTE ÜBER DIE WELTWEITE BEDROHUNG DURCH PLASTIK. SEIT 25.2. IM KINO


Joanna Newsom: Have One On Me | Man muss nicht an Engel glauben, um sich von Joanna Newsom entführen zu lassen. Um zuzuhören, wie sie ihre glockenhelle Stimme in die Höhe schweben lässt. Wie sie ihrer Harfe, die übrigens den Namen Stacy trägt, ein wundervolles, scheinbar ziellos mäanderndes Geklimper entlockt. Wie sie auf ihrem dritten Album ganz behutsam ihr Klangbild mit Klavier, Geigen, einer verschämten Jazz-Trompete oder hin und wieder gar einem sehr vorsichtigen Schlagzeug vervollständigt. Wie Newsom die Folk-Harmonien ihrer kalifornischen Heimat kurzschließt mit einem entschlossenen Willen zum Barock und einigen Einflüssen aus dem fernen Osten. Wie sie ihre Geschichten erzählt aus ihrer seltsamen Traumwelt, in der die Maiden noch mit dem Taschentuch winken und der Tod als gütiger Gesell daherkommt. Nein, man muss nicht unbedingt an Engel glauben. Aber so ein Glaube an übernatürliche Kräfte und an himmlische Wesen macht es viel einfacher, die schmerzende Schönheit dieser Musik zu ertragen. to

DOPPEL-CD, DRAG CITY/ROUGH TRADE


Buika: El Último Trago | In ihrer Heimat ist ihr Name längst ein Begriff. Als Buika mit ihrer zweiten CD Mi Niña Lola der Durchbruch gelingt, kann sich die Afro-Spanierin aus Palma de Mallorca über mangelnde Anerkennung nicht beklagen. Ihre CD wertet man 2006 als „Beste Musikproduktion“. Auch die weltbekannte mexikanische Song-Ikone Chavela Vargas spart nicht mit Lob. Buika sei ihr musikalisches Patenkind, und sie sagt selbigem eine große Zukunft voraus. So, als wolle sich Buika revanchieren, hat sie für ihr neues Album einige berühmte Vargas-Songs aufgenommen. Die Originale muss man aber nicht kennen, denn Buika interpretiert die Songs gemeinsam mit dem kubanischen Weltklasse-Pianisten Chucho Valdés und seinem Trio gänzlich anders. Die einstigen Rancheras erhalten mit kubanischen Rhythmen wie Danzón oder dem spanischen Bolero ein neues Klanggewand. Und Buika singt nicht bloß, sie verkörpert geradezu jeden Song. Ihr Gesang ist – wie es der Begriff Duende bei den Flamenco-Musikern beschreibt – klanggewordene Emotion. rix

LATIN, CD, WARNER