Ausgabe 04/2010
Dicke Luft in der Kabine
Fast unmerklich kann ein Öl-Vorfall zum aerotoxischen Syndrom führen
von Tim van Beveren
Hat es auf einem ihrer Flüge schon mal nach "nassem Hund", "Schweissstrümpfen" oder "Erbrochenem" gerochen? Und das, obwohl sich weder ein regennasser Vierbeiner auf dem Sitz vor ihnen befunden hat, noch sich ihr Nachbar gerade seiner Turnschuhe entledigt oder sich gar übergeben hat? Oder zog vielleicht plötzlich ein bläulicher Dunst durch die Kabine und sie haben kurz darauf einen "süsslich-säuerlichen" Geruch bemerkt? Oder bekamen sie Atemnot, Kopfschmerzen oder Brechreiz? Hat sie das eventuell beunruhigt? Nein? Sollte es aber, denn vermutlich waren sie Betroffener eines sogenannten "Öl-Vorfalls" und die können gefährlicher sein, als es die Airlines zugeben.
Luft aus dem Triebwerk
Bei allen Flugzeugen wird seit Beginn der 60er Jahre die Atemluft für die Kabine direkt am Triebwerk abgezapft. Diese "Zapfluft" wird bisher nicht gefiltert. So können bei Schubwechseln, Überfüllung, alternden oder versagenenden Dichtungen auch erhitze Öldämpfe in die Kabinenluft gelangen. Das wäre kein Problem, wenn es in Flugzeugen nicht eine geschlossene Druckkabine gäbe und die speziellen Turbinenöle nicht auch eine Mischung aus gesundheitsschädlichen und sogar giftigen Chemikalien enthalten würden. Ein solcher "Öldampf-Cocktail" enthält zahlreiche gesundheitsschädliche Stoffe, darunter das als krebserregend eingestufte Beta-Naphtylamin und das Nervengift Trikresylphosphat. Das Einatmen eines erhitzten "Öldampf-Cocktails" kann krank machen, behaupten international renommierte Wissenschaftler und Mediziner. Der australische Toxikologe Professor Chris Winder aus Sydney befasst sich seit über 15 Jahren mit Giftstoffen in Flugzeugkabinen. Er verweist auf den Öldosenaufdruck: "Dieses Öl ist giftig. Solange es im Triebwerk bleibt, ist es in Ordnung. Aber wenn es verdampft und über die Zapfluft in die Kabine gelangt, kann es alle schädigen, die diesen Dämpfen ausgesetzt sind."
Betroffene falsch diagnostiziert
Durch Öl-Vorfälle besonders betroffen sein können neben Vielfliegern vor allem die Arbeitnehmer: Flugbegleiterinnen -begleiter und Piloten und Pilotinnen. Im vergangenen Jahr haben etliche deutsche Crewmitglieder, die vermuteten, dass sie an Bord Öldämpfen ausgesetzt waren, Blutproben von Experten untersuchen lassen. So auch bei Professor Mohamed Abou-Donia von der Duke University in North Carolina. Der US-Wissenschaftler hat sich auf den Nachweis dieser Gifte spezialisiert: "Viele dieser Bluttests zeigen den sehr spezifischen Antikörper, der bei den Betroffenen Hirnschädigungen und Zelltod nachweist." Für ihn steht fest, dass Besatzungsmitglieder mit positiven Resultaten kontaminierter Kabinenluft ausgesetzt waren. Leider sind die genauen Auswirkungen der Vergiftungen auf den menschlichen Organismus nur unzureichend erforscht. Die Airlines sträuben sich, epidemologische Untersuchungen, also Risikostudien, durchführen zu lassen. Bekannt ist aber, dass die Inhalation solcher Öldämpfe zu irreversiblen Schädigungen des Zentralnervensystems, Zelltod, Schäden am Gehirn sowie in schweren Fällen sogar zu Lähmungen führen kann. Laut der damit befassten Ärzte und Wissenschaftler ist es vorgekommen, dass Betroffene mit Alzheimer, Parkinson oder Multiple Sklerose fehldiagnostiziert wurden.
Dem widerspricht der amerikanische Flugzeughersteller Boeing: "Derzeit liegen keine Daten vor, die darauf schließen lassen, dass Zapfluft-Kontamination die Gesundheit von Besatzungen oder Passagieren beeinträchtigt." Auch der Konkurrent Airbus betont: "Airbus-Flugzeuge sind so entwickelt, dass unter normalen Betriebsbedingungen eine einwandfreie Kabinenluftqualität gewährleistet ist." Mehr wollte das Unternehmen allerdings dazu nicht sagen. Ein Fragenkatalog, mit der Bitte um eine Stellungnahme in Bezug auf etliche Vorfälle der jüngsten Zeit gerade mit Airbus-Flugzeugen, wurde nicht beantwortet.
Genau so schmallippig reagierte die Deutsche Lufthansa auf wiederholte Anfragen. Zwar geht das Unternehmen in einer internen Mitteilung selbst von einem Vorfall pro 2000 Starts aus, was bedeutet, dass sich statistisch allein bei der Lufthansa ein Vorfall pro Tag ereignen würde, aber von gesundheitlichen Gefährdungen will man auch hier nichts wissen: "Beim Medizinischen Dienst von Lufthansa ist in den vergangenen rund vier Jahren kein einziger Fall dokumentiert", heißt es in einer Stellungnahme.
Man wiegelt ab
Betroffene wissen aber zu berichten, dass der medizinische Dienst des Unternehmens die sehr spezifischen Beschwerden gerne in die "psychosomatische Ecke" schiebt oder auch nur als "unklare Anamnese" dokumentiert. Das sagen unabhängig voneinander mehrere Lufthansa-Mitarbeiter, die in den vergangenen Jahren fluguntauglich wurden. Der bereits 1999 von Professor Winder und zwei Kollegen für diese Art der Erkrankung geprägte Begriff des "aerotoxischen Syndroms" taucht in den Aufzeichnungen der Airlines bislang nicht auf. Trotzdem sind inzwischen zahlreiche Fälle von dauerhafter Erkrankung auch unter den Lufthansa Cockpit- und Kabinenpersonal bekannt. Auch bei Condor gibt es schon mehrere Fälle. Schützenhilfe erhalten die Airlines bislang noch von der zuständigen Berufsgenossenschaft Verkehr (BGV). Diese geht in Deutschland von nur neun bekannten Fällen aus. Die werden derzeit geprüft. Allerdings dürfte der BGV auch klar sein, dass im Falle der Anerkennung einer berufsbedingten Arbeitsunfähigkeit durch Öl-Dampf-Kontamination schlagartig zahlreiche weitere Betroffene auftauchen könnten.
Nach Hause geschickt
Viele, schon mit Symptomen belastete Crewmitglieder nehmen derzeit das Risiko von weiteren Schädigungen nur in Kauf, weil eine Meldung und der Verlust ihrer flugmedizinischen Tauglichkeit in den meisten Fällen auch den Verlust ihres Arbeitsplatzes und damit ihrer beruflichen Existenz bedeuten würde. Denn wird ein Besatzungsmitglied durch Verlust des so genannten "Medicals" arbeitsunfähig, kann der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag ohne Umschweife beenden, und ohne Anerkennung als Berufskrankheit gibt es auch keine Berufsunfähigkeitsrente. Hinzu kommt, dass man dem Problem in Deutschland auf medizinischer Seite bislang keine Bedeutung beimisst. Oft werden Betroffene wieder nach Hause geschickt, weil weder sie noch die sie behandelnden Ärzte einen Zusammenhang zu einem Öl-Vorfall an Bord eines Flugzeuges herstellen können oder wollen.
Konferenz
Am 20. April 2010 findet zum Thema "Kabinenluft" eine ver.di-Arbeitsschutzkonferenz in Berlin statt. Referenten sind u.a. der deutsche Repräsentant des Ölherstellers NYCO S.A.; ein Gründungsmitglied der Aerotoxic Association UK, ein Rechtsanwalt für Luft-, Reise- und Arbeitsrecht. Zu den weiteren Referenten zählt auch der Autor des Artikels. Sein Buch Das Risiko fliegt mit ist im Eichborn-Verlag erschienen.
Ort: ver.di-Bundesverwaltung, Raum "Aida", 11-16 Uhr. Anmeldungen bitte per E-Mail an marietta.matthey@verdi.de oder per Fax 030 / 6956-3880