Ausgabe 04/2010
Ein breites Bündnis forderteine lebenswerte Stadt
Dessau in der Ausstellung "Weniger ist Zukunft" im Bauhaus
Von Birgit Tragsdorf
SACHSEN, SACHSEN-ANHALT, THÜRINGEN | Akuter Geldmangel in den Kommunen - und die Lösungsvorschläge sind nichts als Streichlisten. 2009 summierte sich das Finanzdefizit der Kommunen auf bundesweit 7,1 Milliarden Euro. Die Steuereinnahmen fielen um 11,4 Prozent gegenüber 2008. Die Gewerbesteuer sank um 20 Prozent auf den Stand von 2005.
Die Stadt Dessau-Roßlau hat ein Haushaltsvolumen von etwa 100 Millionen Euro. Nun sollen 13 Millionen Euro eingespart werden. Oberbürgermeister Klemens Koschig (parteilos) gab eine Prüfliste in Auftrag, 83 Punkte umfasst sie und wird intern die "Blut- und Tränenliste" genannt: Kürzungen bei den Bibliotheken, Schwimmbädern, Sportplätzen und Museen. Einige Schließungen drohen, sogar Dessaus Beteiligung an der Bauhaus-Stiftung und den Meisterhäusern steht mittlerweile zur Disposition. Besonders heftig soll es das Theater treffen. Es begeht in diesem Jahr die 215. Spielzeit - was für eine Tradition. Aber ab 2013 soll der Zuschuss um 3,5 Millionen Euro gekürzt werden, das ist die Hälfte des Etats. Bindet das Land seine Zuwendungen an die städtischen Aufwendungen, wird der Etat noch einmal sinken.
Was für eine Stadt wollen wir?
Bürger und Bürgerinnen von Dessau wollen sich einmischen. Eine Bürgerinitiative "Land braucht Stadt" will auch das Land Sachsen-Anhalt in die Pflicht nehmen. Der DGB und ver.di haben eine Informationsplattform ins Leben gerufen. Die Initiatoren wollen eine überbetriebliche Mitbestimmung für die Stadtentwicklung. Personal- und Betriebsräte sind in die Diskussion einbezogen, wie sich die Stadt entwickeln soll. Uwe Henschke, ver.di-Sekretär in Dessau: "Wir laden uns Experten und Beteiligte ein. Die Vorschläge zu Einsparungen sollten zwingend daraufhin überprüft werden, ob sie überhaupt realistisch sind. Wir müssen auch in der Stadtverwaltung sparen. Die Stimmung beim Personal ist nicht gut. Wird es Auslagerungen, Privatisierungen von städtischen Einrichtungen geben?" ver.di arbeitet mit Regelungen zur Altersteilzeit dagegen. Udo Gebhardt ist Stadtrat in Dessau-Roßlau und Landesvorsitzender des DGB. Er stellt uns seine Stadt vor: Dessau hat nicht nur das weltberühmte Bauhaus. 20 Prozent der Menschen leben dort in Armut. Es gibt 12000 von Hartz IV Betroffene. Die Arbeitslosigkeit bewegt sich zwischen zwölf und 13 Prozent. Erwartet wird, dass die Einwohnerzahl von derzeit 80000 Menschen in den nächsten Jahren auf 60000 sinkt. Heute schon ist Dessau die Stadt mit dem höchsten Durchschnittsalter der Einwohner.
Es ist ein Teufelskreis, meint Uwe Henschke: Wer von den Jungen will schon in einer Stadt bleiben, die an der Substanz spart? Sie wollen eine lebenswerte Stadt, mit Kindereinrichtungen, Freizeitmöglichkeiten, Kunst, Kultur, Sport und einer Perspektive für die Zukunft. Für ältere Menschen geht es um kurze Wege, guten Nahverkehr, auch um Stadtteil-Bibliotheken. Sie wollen eine Stadt, die ihrer sozialen Verantwortung gerecht wird. Und deshalb motivieren auch die beiden Gewerkschafter und ihre Mitstreiter die Dessauer, sich mehr zu artikulieren und ihre politische Gleichgültigkeit abzulegen. Es geht um ihre Stadt.