Ausgabe 05/2010
Anstehen
Von Petra Welzel |Fridamanie
Frida Kahlo | Ein paar kleine Dolchstiche heißt ein kleines Bild der mexikanischen Malerin Frida Kahlo, das wie kein anderes ihrer Werke schonungslos ihr Innerstes nach außen kehrt. Auf dem Bild sieht man eine nackte Frau, blutüberströmt mit unzähligen Wunden, von ihrem Mann erstochen, der selbst blutbefleckt mit dem Dolch in der Hand neben ihr wie für ein Pressefoto posiert. Die Malerin selbst hat mehrfach mit einem Messer in den Bildrahmen gestochen, Blut quillt aus allen Löchern. Das Bild schreit einen geradezu an in seiner Brutalität. Seht her, scheint die Kahlo wütend sagen zu wollen, mich hat nicht nur ein schwerer Unfall mit 18 Jahren zum Krüppel gemacht, auch die Liebe bringt mich um. Das Gemälde entstand 1935, als sie erfuhr, dass ihr Mann, der Maler Diego Riviera, sie mit ihrer Schwester betrogen hatte.Seelisches Leid und körperlicher Schmerz sind Frida Kahlos Motor gewesen, sie haben sie und ihre Kunst am Leben erhalten, bis der Schaden zu groß und nicht mehr reparierbar war. Gerade das Leiden am Leben hat die Mexikanerin zu einer der bekanntesten Künstlerinnen der Welt, zu einem Popstar gemacht. Sie fasziniert, weil sie trotz aller Inszenierung in ihren Bildern, märchenhaften, surrealistischen Arrangements, nie Zweifel an ihrem Zustand ließ. Dass sie ihre Gefühle auf die Leinwand pinselte, begeisterte bereits ihre Zeitgenossen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und auch heute stehen die Besucher Schlange, um sich von ihren Bildern berühren zu lassen. Zurzeit ist dies in einer Retrospektive mit rund 150 Gemälden, Zeichnungen und bisher unveröffentlichten Fotografien im Berliner Martin-Gropius-Bau möglich.Alle zusammen geben den Blick auf zwei Fridas frei, die Frau der Schmerzen und die Frau, die das Leben liebte, die gern feierte und glaubte, der Kommunismus sei die Lösung für die Menschheit. Die Porträtfotos, die der amerikanische Fotograf Nickolas Muray Ende der 30er-Jahre von ihr machte, kommen ihr in ihren eigenen Selbstbildnissen am nächsten: Die Farben ihrer mexikanischen Trachten sind ebenso schrill und bunt, die Inszenierung so künstlich wie geheimnisvoll, als hätte sie dem Fotografen zuvor eine Skizze vorgelegt, nach der er sie ablichten sollte. Was Murays Fotografien jedoch völlig abgeht, sind eben der Schmerz und das Leid, die das Leben der Künstlerin 30 Jahre lang bis zu ihrem Tod im Alter von 47 Jahren begleiteten und ihre eigenen Werke dauerhaft besetzten. Es lebe das Leben, hat Frida Kahlo auf die Stillleben geschrieben, die in ihrem letzten Lebensjahr entstanden. Sie hat gelebt, mit aller Leidenschaft. Sie hat wie ein Schlot geraucht, alle Männer unter den Tisch gesoffen, keine Affäre ausgelassen und am Ende alles überlebt – allein durch ihr Werk. Petra WelzelMARTIN-GROPIUS-BAU, NIEDERKIRCHNERSTR. 7, BERLIN, BIS 9. AUGUST, TÄGLICH 10–20 UHR
Weniger ist Zukunft. 19 Städte – 19 Themen | Der Osten Deutschlands schrumpft. Nicht flächenmäßig, aber der Wegzug von Menschen hält seit 1989 an. Das führt vor allem in den Städten zu unübersehbarem Leerstand. Sachsen-Anhalt hat deshalb bereits 2002 mit dem Umbau seiner von der demografischen Entwicklung betroffenen Städte begonnen. In diesem Jahr präsentieren sie sich im Rahmen der Internationalen Bauausstellung im neuen Gewand. So finden in Aschersleben, Bitterfeld-Wolfen, Dessau, Halle, Naumburg, Quedlinburg und in allen anderen beteiligten Städten neben Ausstellungen vor allem Touren und Aktionen statt, die zeigen, wie Stadtplaner, Architekten, Bürger und Politiker ihre Städte umbauen. Eine zentrale Überblicksausstellung ist im Bauhaus Dessau zu sehen. Und die macht sehr deutlich, dass Sachsen-Anhalt und die anderen ostdeutschen Bundesländer bereits in der Zukunft angekommen sind. Schrumpfungsprozesse und Bevölkerungsrückgänge werden auch im Westen Stadtentwickler und -planer vor neue Herausforderungen stellen. peweBIS 16. OKTOBER, ALLE TERMINE UND STÄDTE UNTER WWW.IBA-STADTUMBAU.DE
Danny Veys – Coal is black | Auch sie gehört dazu: eine ältere Frau, die sich vor einem Spiegel im Verwaltungsgebäude einer Kohlemine in der Ukraine ihre Haare zurechtlegt. In eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Fotografien hat der belgische Fotograf Danny Veys Leben und Arbeitsalltag der Bergleute in der ukrainischen Region Donbass dokumentiert. Heute arbeiten dort noch 450 000 Bergleute in den Minen, jährlich fördern sie 200 Millionen Tonnen Kohle. In den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts arbeiteten in dieser wichtigsten Bergbau-Region der Ukraine auch hunderte Deutsche, die sich wegen der Arbeitslosigkeit im Ruhrgebiet verdingt hatten. Jetzt sind die Bilder von dort mitten im Ruhrgebiet in Gelsenkirchen zu sehen. Und als würde sich die Geschichte wiederholen, zeigen sie, wie die von zahlreichen Minenschließungen betroffenen Bergleute einer ungewissen Zukunft entgegengehen – bis die letzte schwarze Kohle von Haut, Haaren und Kleidung geschrubbt ist. pewe WISSENSCHAFTSPARK GELSENKIRCHEN, MUNSCHEIDSTR. 14. BIS 12. JUNI, MO–FR 8–18 UHR, SA 7–16 UHR