Ausgabe 05/2010
Das Elend der Debatte um ARD und ZDF
VON S tefan Niggemeier
Seit Monaten läuten Verleger und Privatsender ununterbrochen irgendwelche Alarmglocken. WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus hat eine Beschlussvorlage des NDR-Rundfunkrates, die dem Angebot tagesschau.de großen Bestands- und Entwicklungsschutz gewähren will, den „größtmöglichen Super-GAU in der deutschen Medienpolitik der vergangenen 20 Jahre” genannt.Der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, Mathias Döpfner, hat (mutmaßlich) allen Ernstes die geplante Tagesschau-App für das iPhone mit dem Verlust von „Tausenden Arbeitsplätzen in der Verlagsbranche” in Verbindung gebracht und ist trotzdem nicht aus dem Land gelacht worden. Es spricht nicht für den Glauben an die Einzigartigkeit und Hochwertigkeit der eigenen Produkte, wenn Verlagsleute den Eindruck erwecken, die Leser würden im Internet oder auf ihrem Telefon die erstbeste Gelegenheit nutzen, die kostenpflichtige Zeitung nicht mehr zu lesen, weil sie die Tagesschau umsonst kriegen. (Was ja bisher auch schon so war, sich aber in zwei verschiedenen Medien abspielte.) Man kann nicht oft genug referieren, wie das Bundesverfassungsgericht den Begriff der „Grundversorgung” verstand, die ARD und ZDF zu leisten hätten. Man dürfe die öffentlich-rechtlichen Sender nicht darauf beschränken, die jeweiligen Lücken zu füllen, die private Anbieter aus wirtschaftlichen Gründen hinterlassen, sondern ARD und ZDF müssten all das bieten, was eine Gesellschaft an Information, Bildung, Unterhaltung brauche – und wenn Private es schaffen, das zu ergänzen, ist es schön, und wenn nicht, ist es nicht schlimm. Es sind die Verlags- und Privatsenderleute, die den Eindruck erwecken, dass sie unter den herrschenden Bedingungen nicht für Qualität im Internet bürgen können. Springer-Chef Döpfner erregt sich darüber, dass die ARD ihre Nachrichten kostenlos iPhone-gerecht anbieten will und damit die Versuche seines Hauses erschwert, Inhalte auf verschiedenen Plattformen nur noch gegen Geld anzubieten. Das ist aus seiner Sicht konsequent. Natürlich wäre es für alle Verlage besser, wenn es niemanden gäbe, der journalistische Inhalte umsonst anbietet, und alle Leser also gezwungen wären, dafür zu bezahlen. Ich glaube nur nicht, dass das auch im Interesse der Gesellschaft wäre.Die Konkurrenten der öffentlich-rechtlichen Sender haben durchgesetzt, dass ARD und ZDF viele Inhalte aus dem Netz löschen müssen. Inwiefern dient es dem Gemeinwohl, wenn ARD und ZDF teuer produzierte Inhalte nur für eine begrenzte Zeit (in der Regel sieben Tage) zugänglich machen dürfen? Inwiefern ist es in meinem Interesse, dass Inhalte, die ich mit meinen Gebühren bezahlt habe, mir nur vorübergehend und nicht auf allen Plattformen angeboten werden?Ich wünsche mir starke, freie Öffentlich-Rechtliche im Netz. Ich glaube, dass sie der Qualität und der Vielfalt des Online-Journalismus gut tun können. Und ich glaube, anders als offenbar die Verleger selbst, dass gute private journalistische Angebote trotz dieser Konkurrenz bestehen können.Auszug aus: www.stefan-niggemeier.de/blog/page/6/Der Autor ist Gründer des BILDBlog, in dem über Fehler und Falschmeldungen in der BILD-Zeitung und anderen Medien aufgeklärt wird: www.bildblog.de