Prof. Dr. Rudolf Hickel

Neuerliche Haushaltskürzungen und weiterer Stellenabbau im öffentlichen Dienst haben die Landesregierungen in Niedersachsen und Bremen angekündigt (siehe oben). Ob im Stadtstaat oder im Flächenland - die Leidtragenden sind auch die Bürger. Über die Folgen der Sparvorhaben sprach ver.di PUBLIK mit Rudolf Hickel (68), Professor für Wirtschaftswissenschaften und Gründungsdirektor des Instituts Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen.

ver.di PUBLIK | Herr Professor Hickel, ist die so genannte Schuldenbremse Ursache für den Kahlschlag in Bremen und Niedersachsen?

RUDOLF HICKEL | Ganz sicher sogar, auch wenn das derzeit nicht offen zugegeben wird. Die Schuldenbremse und vor allem das Wachstumsbeschleunigungsgesetz mit der unsinnigen Subventionierung einzelner Branchen wie der Hotellerie haben den Druck auf die öffentlichen Haushalte massiv erhöht. Denn die Schuldenbremse bedeutet, dass Niedersachsen und Bremen ab 2020 keine Schulden mehr aufnehmen dürfen. Das wird noch spannend. Und schon jetzt fällt den Ländern nichts anderes ein, als massiv Personal abzubauen. Immerhin werden rund 2 500 Arbeitsplätze in beiden Bundesländern vernichtet.

ver.di PUBLIK | Sind diese Stellenstreichungen überhaupt noch verkraftbar?

HICKEL | Es ist der falsche Weg. Nach dem schon erfolgten Abbau kommt der öffentliche Dienst an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Allein in Niedersachsen wurden in den vergangnen fünf Jahren 7 000 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst vernichtet, obwohl das Land nach Baden-Württemberg mit 27,8 Landesbeschäftigten pro 1 000 Einwohnern schon die zweitschlankste Verwaltung hat. Nicht nur die Arbeitsverdichtung zu Lasten der Beschäftigten nimmt zu, sondern die Einsparungen haben auch massive Auswirkungen auf die öffentliche Daseins- und Zukunftsvorsorge der Bürger.

ver.di PUBLIK | Was kommt im Jahr 2020?

HICKEL | Für Bremen als Stadtstaat könnten die brutale Sanierungsstrategie und die jährliche Kürzung von 100 Millionen Euro sogar existenzgefährdend sein. Denn Bremen wird im Vergleich zu Flächenländern nicht mehr in der Lage sein, seinen gegenüber den westdeutschen Flächenländern um etwa 25 Prozent höheren Finanzbedarf zur Aufrechterhaltung der Grundfunktionen im Stadtstaat zu sichern. Doch auch Niedersachsen hätte der Schuldenbremse nicht zustimmen dürfen. Spätestens 2020 wird die Realität lehren, dass das Projekt nicht realisierbar ist. Auch wirken die massiven Einsparungen gesamtwirtschaftlich kontraproduktiv.

ver.di PUBLIK | Welches Fazit ziehen Sie?

HICKEL | Eine moderne Gesellschaft braucht einen handlungsfähigen Staat, der auch die Wirtschaft und Gesellschaft mit Investitionen stärkt. Zu diesen Investitionen in die Zukunft gehören qualifizierte und motivierte Mitarbeiter, die auch gut bezahlt sind. Der gegenwärtige Kurs führt jedoch zu einer Schwächung und zu einer Kaputtsparstrategie, die auch für die Beschäftigten im öffentlichen Sektor unzumutbar ist.