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Mit Leidenschaft leben und glauben | Hoffnungsvoll und inspirierend sind diese zwölf Lebensgeschichten von kämpferischen Frauen Lateinamerikas. Und das, obwohl einige von ihnen ihren Kampf für Gerechtigkeit, an der Seite der Armen und Unterdrückten, mit dem Leben bezahlten. So wie die Ordensschwester Dorothy Stang, die sich in Brasilien für die Rechte der Landlosen einsetzte und für die Erhaltung des Regenwaldes. Sie machte sich damit so viele Feinde, dass ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt war und sie schließlich ermordet wurde. Das Buch vereint so unterschiedliche Frauen wie Gabriela Mistral, die chilenische Dichterin und Nobelpreisträgerin, die Menschenrechtlerin Maria Julia Hernandez Chavarria aus El Salvador oder Alice Domon, die in Argentinien für die „Verschwundenen“ der Militärdiktatur und ihre Angehörigen kämpfte – und schließlich selbst ihr Los erlitt. klixANNEGRET LANGENHORST U.A. (HERAUSGEBER), PETER HAMMER VERLAG, WUPPERTAL 2010, 239 S., 19,90 €


Brigitte Glaser: Schreckschüsse | Thriller für Jugendliche sind eine Gratwanderung: Sie müssen spannend und lebensnah sein, sie sollen, so sie gut sind, mittels Krimigenre Orientierung im Hormonchaos und, ja doch, ein bisschen Lebenshilfe bieten – und das ohne nerviges Pädagogendeutsch. Dieses Kunststück gelingt der Medienpädagogin Brigitte Glaser, etabliert mit fünf Erwachsenenkrimis, großartig: Die Jungs und Mädels in ihrem raffiniert gestrickten ersten Jugendthriller sind wunderbar lebensecht, sie haben kein Vertrauen in sich und Stress mit Erwachsenen. Auslöser des gefährlichen Geschehens, spannungsfördernd aus verschiedenen Perspektiven erzählt, ist eine Waffe, ein Vater, der betrunken damit hantiert, seine Tochter, die ihm die Waffe klaut, die dann in der Clique rotiert und in einem Eifersuchtsdrama benutzt wird... Glaser fühlt sich ein, ohne gefühlig zu werden, erzählt überzeugend unromantisch von Liebe und Sex mit 14, benutzt eine Jugendsprache, die nie aufgesetzt wirkt. Sie schildert drastisch, wenn es um Gewalt und sexuelle Übergriffe geht, beschönigt nichts, macht deutlich, warum Situationen eskalieren können und unkontrollierbar werden, macht Mut zur Verantwortung. Zu empfehlen ist das Buch nicht nur der Zielgruppe, sondern auch Eltern und Lehrern, die unterhalten werden wollen, wenn sie sich über das geheime Leben ihrer Kids informieren. ulSAUERLÄNDER, 212 S., 13,90 €


Mark Twain: Post aus Hawaii | Mark Twain ist der perfekte Reiseschriftsteller. Überall entdeckt der Amerikaner Überraschendes, runzelt die Stirn – und hinter jeder munter geschriebenen Zeile steckt nicht nur Neugier und Reiseglück, sondern auch ein Kichern über das Fremde. Vergnügt lasen wir seinen Bummel durch Europa und diesmal ist es nicht anders: Twains erstmals auf Deutsch erschienener Band Post aus Hawaii spendet köstliche Unterhaltung mit Reiseberichten aus der pazifischen Inselwelt, die er 1866 für die kalifornische Tageszeitung Daily Union geschrieben hatte. Reiseberichte des damals noch unbekannten Autors – Texte, die humorvoll granteln, die sich beschweren, die die königliche Familie genauso aufs Korn nehmen wie erste Touristen und allzu eifrige Missionare. So etwas ist in der Reiseliteratur heute selten geworden: Texte, die man mit Ausbrüchen spontanen Beifalls liest, weil sie das Sujet, Land, Leute, Flora und Fauna lieben – und doch auch voller Spott und Ironie für den Gegenstand dieser Liebe sind. Hemingway sagte einmal, die gesamte amerikanische Literatur gründe auf Mark Twain. Seine so amüsante Lakonie des Erzählens ist bis heute jedenfalls unerreicht. peschMARE-BUCHVERLAG 2010, 368 S., 24 €


Katie Marton: Die Flucht der Genies – Neun ungarische Juden verändern die Welt | Tiefe Kenntnis über die Protagonisten quillt aus diesem Werk, das schon jetzt zu den besonderen Büchern des Jahres gezählt werden darf. Kati Marton widmet sich in ihrer Sammelbiografie neun Männern, die vieles eint: Sie wachsen in Budapest auf, sind jüdischen Glaubens, müssen ihre Heimat verlassen und fliehen ins Exil. Sie sind Opfer der Horthy-Diktatur und des Nationalsozialismus. Sie sind beinahe gleich alt, waren als Nuklearphysiker und Mathematiker wie Léo Szilárd, Eugene Wigner, John von Neumann oder Edward Teller im Auftrag der USA an der Entwicklung der Atombombe beteiligt. Sie waren Fotografen wie André Kertész oder Ropert Capa. Regisseure wie Michael Curtiz oder Alexander Korda. Und ein Schriftsteller ist unter ihnen: Arthur Koestler. Elegant und farbenfroh erzählt Marton – die selbst 1956 Budapest verließ – aus dem Leben der Neun, vereint diese Biografien und auch ihre eigene zu einer literarischen Hommage an den schöpferischen Geist des jüdischen Vorkriegs-Ungarn. Die Flucht der Genies ist ein Erinnerungsbuch an eine Weltstadt des Geistes, die es heute nicht mehr gibt. pesch EICHBORN VERLAG 2010, 400 S., 32 €