Mozart oder Meyerbeer? Probe an der Musikschule in Herford

VON Silke Leuckfeld

Im Hintergrund übt ein Schüler auf dem Saxophon, als Helmut Engel ans Telefon geht. Seit Ende März ist er nicht mehr Musiklehrer an der Musikschule Berlin-Kreuzberg. Rund 20 der 200 Musiklehrer/innen wurden gekündigt, sie waren als Honorarkräfte beschäftigt. Für einige von ihnen bedeutete das den sozialen Abstieg, sie müssen jetzt Arbeitslosengeld II beziehen. So hart hat es Helmut Engel nicht getroffen: "Fast alle meine Schüler sind trotzdem bei mir geblieben." Doch einige konnten den Unterricht nicht privat finanzieren; sie hatten bei der Musikschule den reduzierten Beitrag gezahlt, weil die Familien nicht über genügend Einkommen verfügen. Auch Schüler, die bisher ein Leihinstrument der Schule spielten, mussten ihren Unterricht aufgeben, da ihnen das Geld für ein eigenes Instrument fehlt. Nach Medienberichten kündigte die Musikschule Berlin-Kreuzberg 200 Schülern mit der Begründung, ihre Lehrer würden nicht mehr beschäftigt.

Lehrkräfte gekündigt

Seit gut 30 Jahren ist Helmut Engel Musiklehrer, seit 1987 an der Musikschule Kreuzberg. Für ihn ist besonders bitter, dass fachliche Kriterien bei der Auswahl der betroffenen Lehrer und Lehrerinnen keine Rolle spielten. Wer entlassen wurde, das konnte die Schulleitung frei entscheiden. Dabei hatte Helmut Engel den Status "arbeitnehmerähnlich", bezog also seine Haupteinnahmen über den Vertrag mit der Schule. Dieser konnte aber mit einer Frist von vier Wochen zweimal im Jahr gekündigt werden. Juristisch konnte Engel nicht dagegen vorgehen, denn Hintergrund der Kündigungen ist ein um 220 000 Euro gekürzter Haushalt, den die Musikschule in diesem Jahr vom Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg erhält.

Ob dieser Betrag auch tatsächlich eingespart wird, ist mehr als fraglich. Ein Musikschüler zahlt für 45 Minuten Unterricht in der Woche pro Monat 63 Euro. Das Lehrerhonorar für diese Zeit beträgt 68 Euro. Tatsächlich gespart werden also nur fünf Euro, weil nun auch die Einnahmen fehlen.

"Der Berliner Senat weist den Bezirken einen Haushalt zu, in dem auch Geld für die Musikschulen enthalten ist", sagt Stefan Gretsch, der Vorsitzende der ver.di-Bundesfachgruppe Musik. "Das Geld wird aber teilweise für andere Aufgaben zweckentfremdet. Das ist nur möglich, weil der Musikunterricht keine kommunale Pflichtaufgabe ist." Er fordert deshalb, den Musikunterricht als kommunale Pflichtaufgabe gesetzlich festzuschreiben.

Honorarkräfte statt angestellte Musiklehrer

Dabei ist Berlin keine Ausnahme. "Im Zusammenhang mit dem Bildungs- und Kulturabbau, der nicht nur krisenbedingt ist, stehen die Musikschulen im Fokus der Haushälter", sagt Stefan Gretsch. "In zahlreichen Kommunen bundesweit werden unterschiedliche Wege eingeschlagen, die letztendlich fast immer Personal- und Stundenabbau bedeuten." Ende März beschlossen die Städte Rösrath und Overath in Nordrhein-Westfalen, ihre gemeinsame Musikschule künftig der Volkshochschule anzugliedern. Die bisher angestellten Musik-lehrer und Lehrerinnen sollen entlassen werden, wenn sie nicht in anderen Schulen oder Verwaltungen eingesetzt werden können. In Zukunft sollen Honorarkräfte ihre Arbeit übernehmen.

Immer weniger Musikstunden die Woche

Duisburg will bis 2013 die Musikschule privatisieren und nur noch mit 400 000 Euro den Unterricht fördern. So könnten jährlich 2,3 Millionen Euro eingespart werden. Bis dahin ist geplant, Wochenstunden zu reduzieren und frei werdende Stellen nicht neu zu besetzen. In der Stadt Herford wird sogar über eine Schließung der Musikschule diskutiert, die in diesem Jahr ihr vierzigjähriges Bestehen feiern wird. "Wenn es politisch so weitergeht in Nordrhein-Westfalen, wird es in kürzester Zeit keine Musikschule mehr geben", befürchtet Friedrich Kullmann, der amtierende Vorsitzende der ver.di-Landesfachgruppe Musik. "Im Rahmen des neuen kommunalen Finanzmanagements, das die Kommune als gewinnorientierten Konzern statt als Körperschaft der öffentlichen Daseinsvorsorge verankern will, ist inzwischen ein Drittel der kreisfreien Städte in Nordrhein-Westfalen von der Pleite bedroht." Viele Städte und Kreise stehen bereits unter Haushaltsaufsicht und sehen sich gezwungen, die Subventionierung ihrer Musikschulen, Orchester, Theater, Museen und Bibliotheken drastisch zu kürzen oder ihren Betrieb gleich ganz einzustellen. "Die krisenhafte Entwicklung der Kommunen wird jetzt erkennbar dafür genutzt, die öffentlich geförderte Kultur ganz loszuwerden", sagt Friedrich Kullmann. Der ver.di-Landesbezirk Nordrhein-Westfalen hat deshalb zur Landtagswahl die Kampagne "Weiter so war gestern - umdenken.handeln.jetzt" gestartet, gegen das Ausbluten der Kommunen in allen Bereichen. Dabei geht es auch um die Musikschulen.

http://weitersowargestern.de http://musik.verdi.de