Darf sich nicht blicken lassen: Südafrikanischer Straßenhändler in voller Fußballbegeisterung

SÜDAFRIKA | Geld spült die Fußball-WM nur in die Kassen der FIFA. Der südafrikanische Arbeitsmarkt hingegen wird kleingehalten

VON Corinna Arndt

Nur noch wenige Tage bleiben, dann schaut die Welt auf Südafrika, das Gastland der diesjährigen Fußballweltmeisterschaft. Lange hatte es gedauert, bis sich die FIFA dazu durchrang, das Großereignis in ein Entwicklungsland zu legen. Bisher hat es lediglich zweimal in Staaten stattgefunden, die noch ärmer waren: Uruguay und Chile. Das allerdings liegt mehr als ein halbes Jahrhundert zurück.

Südafrika ist geprägt von extremen Unterschieden zwischen Arm und Reich. 40 Prozent der Bevölkerung leben von weniger als zwei US-Dollar pro Tag, und selbst 16 Jahre nach dem Ende der Apartheid trifft die Armut hauptsächlich Schwarze. Die Arbeitslosenquote beträgt fast 40 Prozent. Mehr als jeder zehnte Südafrikaner ist HIV-positiv. Das staatliche Bildungssystem liegt in Scherben. Und die internationale Finanzkrise ist auch am Kap nicht unbemerkt vorbeigezogen.

Trotz dieser enormen Herausforderungen hat die südafrikanische Regierung mehr als drei Milliarden Euro in die WM-Vorbereitungen gepumpt, ein gutes Drittel davon in den Aus- oder Neubau von Fußballstadien. Kritiker rechnen vor, wie viele Schulen, wie viele Häuser, wie viele Krankenhäuser dafür hätten errichtet werden können. Gerechtfertigt haben sich die Politiker stets mit der Aussicht auf langfristige wirtschaftliche Profite, einem Imagegewinn für Südafrika und dem Versprechen auf Arbeitsplätze, vor allem während der Bauphase. Zumindest letzteres ist eingetroffen: Allein auf den Stadienbaustellen fanden 22 000 Menschen einen Job. Vorübergehend. Denn mit dem Ende der Bauarbeiten landeten die meisten wieder auf der Straße.

Schon früh hat deshalb eine Reihe von Gewerkschaftsverbänden versucht, im Zuge der WM-Vorbereitung Aufmerksamkeit auf die traditionell schwierigen Bedingungen im Bau zu lenken, und startete mit Hilfe des Labour Research Service eine "Kampagne für anständige Arbeit". Trenton Elseley, einer der Begründer, beklagt, dass die Baubranche nicht nur saisonabhängig arbeite, sondern auch zunehmend mit Subunternehmen kooperiere. Unsichere Arbeitsverhältnisse und befristete Verträge seien zum Markenzeichen des Sektors geworden. Dazu kämen niedrige Löhne - ein einfacher Arbeiter verdiente 2009 im Schnitt rund 1,10 Euro die Stunde - und eine schwache Präsenz der Gewerkschaften. "Für uns war die WM eine Chance, Arbeitsbedingungen zu verbessern, die Gewerkschaften zu stärken und um höhere Löhne zu kämpfen." Das Ergebnis kann sich sehen lassen: 18 000 Arbeiter sind im Rahmen der Kampagne einer Gewerkschaft beigetreten, und 2009 kam es zu einem erfolgreichen landesweiten Bauarbeiterstreik für bessere Löhne. Dennoch, so Elseley, habe sich an den Grundproblemen der Baubranche nichts geändert - und das, obwohl sie nicht zuletzt aufgrund der WM boomt und außergewöhnlich hohe Gewinne verzeichnet.

Straßenhändler müssen weg, sie gelten als Schandfleck

Noch düsterer schaut das Bild im informellen Arbeitsmarkt aus, der Millionen von Südafrikanern das Überleben ermöglicht. "Das neue Kapstädter Stadion etwa hat 2 500 Bauarbeitern zeitlich begrenzte Jobs beschert. Jetzt ziehen dort die Diamentenhändler ein, und die Souvenirhändler davor werden verbannt", sagt Ashraf Cassiem, Vorsitzender der "Kampagne gegen Zwangsräumung" in der Westkap-Provinz. Traditionell hatte nahe des heutigen Stadions einer der größten afrikanischen Märkte der Stadt seinen Platz. Damit ist es bereits seit Beginn der Bauarbeiten vorbei. "Ähnlich wie Obdachlose gelten Straßenhändler als Schandfleck, sie müssen weg fürs große Fest", bestätigt Trenton Elseley. "Zum einen wegen der Touristen und dem Image der Stadt, aber auch wegen handfester kommerzieller Interessen." Purshoth Chetty, der dem neuen Stadion vorsteht, verspricht, dass die Straßenhändler nach Ende des Großereignisses wiederkommen dürfen. Aber eben erst danach: "Während der WM gibt es eine Ausschlusszone in Stadionnähe, in der niemand handeln darf, der nicht offizieller Zulieferer, Begünstigter, Sponsor oder Partner der FIFA ist." Neu ist diese FIFA-Regel nicht. Aber in einem Land wie Südafrika sind ihre Auswirkungen weitreichender als etwa in Deutschland. Südafrikas Arme hatten zumindest auf Brotkrumen vom Tisch des Fußballspektakels gehofft. Doch in den Townships, dort, wo die überwältigende Mehrheit der Fußballfans wohnt, macht sich Enttäuschung breit.

Keine Touristen in Langa

In Langa etwa, Kapstadts ältestem schwarzen Wohngebiet, einem Ort, der berühmt wurde für den politischen Widerstand gegen das Apartheidregime, ist von WM-Vorfreude wenig zu spüren. An einer Straßenecke stehen einige Männer beisammen, darunter Thabo Mngomeni, ein ehemaliger Spieler der Fußballnationalmannschaft. "Die Menschen hier haben überhaupt nichts von der Weltmeisterschaft", sagt er mit einer wegwerfenden Geste. Natürlich freuten sich alle, dass die WM in Südafrika stattfinde. Aber sie hätten eben auch darauf gehofft, ein wenig vom Fußballtourismus zu profitieren, ein paar Dollar abzubekommen. Doch kaum ein Tourist verirre sich nach Langa. "Wir haben schließlich keine Hotels hier", sagt Mngomeni. "Dafür viele Leute, die normalerweise bei großen Fußballspielen Snacks verkaufen. Aber das dürfen sie diesmal nicht." Am Ende, so die vorherrschende Meinung in den Armenvierteln, verdienen die an der WM, die sowieso schon viel haben. Für alle anderen bleibt, die Spiele im Fernsehen zu verfolgen und sich damit zu trösten, dass die WM endlich, endlich in Afrika stattfindet.

Geplatzter Traum

Die ersten freien Wahlen in Südafrika 1994 hatten viele Hoffnungen geschürt. Vor allem die Armen und Ausgegrenzten in den Townships träumten vom Ende der Apartheid, von Freiheit, Arbeit und einem Auskommen für alle. Die Hautfarbe sollte keine Rolle mehr spielen. 16 Jahre später ist dieser Traum noch immer nicht ausgeträumt, aber auch nicht wirklich wahrer geworden.

In dem Buch Südafrika. Die Grenzen der Befreiung schreiben verschiedene Autor/innen über die unvorstellbaren Hindernisse, die bis heute einer Befriedung zwischen den Menschen und einer echten Demokratie im Wege stehen. Auch die Fußball-WM ist für die vielen begeisterten Fußballfans aus den Slums inzwischen nicht mehr als ein geplatzter Traum. Sie werden nicht einmal die Bannmeilen um die Stadien herum überwinden können. pewe

Jens Erik Ambacher/Romin Khan (Hg.), Südafrika. Die Grenzen des Wachstums, Assoziation A, 263 Seiten, 16 €