Ausgabe 06/2010-07
Die Party ist vorbei, jetzt wird gewählt
Der Rausch der königlichen Hochzeit ist verflogen, der politische Alltag ist nach Schweden zurückgekehrt. Es geht wieder um Wichtiges: Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes stehen sich bei der bevorstehenden Wahl zum nächsten Reichstag zwei Parteienblöcke gegenüber. Am 19. September entscheidet sich, ob die konservativ-liberale Allianz für Schweden von Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt weiter regiert. Ablösen wollen ihn die Rotgrünen, die neue Koalition aus Sozialdemokratischer Arbeiterpartei (SAP), grüner Umweltpartei und (erstmals) Linkspartei.
Mit einem gemeinsamen Wahlmanifest wirbt die Opposition für einen Politikwechsel. Die SAP-Vorsitzende Mona Sahlin möchte Schwedens nächste Regierung führen. Doch ob den 2006 abgewählten Sozialdemokraten der Wiederaufstieg mit dem rotgrünen Experiment gelingt, scheint völlig offen.
Bis zur Mitte der Wahlperiode musste Fredrik Reinfeldts Allianz zwar einen dramatischen Popularitätseinbruch verkraften. Doch mit der globalen Rezession und der Schuldenkrise in anderen europäischen Ländern konnte der regierende Block aus Moderater Sammlungspartei, Zentrum, Christdemokraten und Volkspartei kräftig punkten. Zwar gingen im Exportland Schweden im Automobilbau, im Energiesektor und in der Fertigungsindustrie Jobs verloren, schwedische Bankhäuser machten Verluste mit Hypotheken und Krediten in den baltischen Staaten, die schwedische Krone büßte an Stärke ein, dennoch steht das Land vergleichsweise gut da. Eine starke Binnenkaufkraft, auch dank der Umverteilung über Sozialtransfers, dämpft die Krise. Nach einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um mehr als fünf Prozent im Vorjahr scheint die schwierigste Zeit für Schweden jetzt vorbei zu sein.
Neu gestylte Liberale
Die Vorsitzende der schwedischen Gewerkschaftsdachorganisation LO (Landsorganisationen i Sverige), Wanja Lundby-Wedin, setzt darauf, dass sich ihre Mitglieder mobilisieren lassen, wenn der Wahlkampf richtig in Gang kommt. "Es gibt einen Unterschied zwischen einer Politik, die Unterschiede vertieft, und einer, die für mehr Gleichheit kämpft." So wirbt sie für das Lager der drei rot-grünen Parteien. "Im Vergleich mit anderen Ländern in Europa geht es uns gut, und daher wird hier gern so getan, als ob es die Arbeitslosigkeit im Land gar nicht geben würde", sagt sie.
Auf das Thema Erwerbslosigkeit wollen die Rotgrünen sich konzentrieren. "Beschäftigung - nicht Steuern - ist die wichtigste Frage", erklärten ihre Parteivorsitzenden.
Abzüge runter - Beschäftigung rauf, so lautet die Formel von Fredrik Reinfeldts Partei Nya Moderaterna. Die Neuen Konservativen inszenieren sich als "Arbeiterpartei von heute", die den Kampf für Vollbeschäftigung und um die soziale Frage führt. Das neu gestylte Image und das Aufgeben offen neoliberaler Konzepte erschlossen den Konservativen neue Wählerschichten im Wohlfahrtsstaat. Doch die aktuelle Arbeitslosenquote liegt bei fast zehn Prozent, bei jungen Leuten zwischen 20 und 24 Jahren sogar bei 23 Prozent. Während das Arbeitslosengeld gesenkt wurde, stieg die prekäre Beschäftigung an. Nun setzt die konservativ-liberale Allianz für Schweden erneut vor allem auf Steuerversprechen.
Eine Wende am Arbeitsmarkt will die linke Wahlallianz mit Investitionen in Umwelttechnologien, Bildung, Wohnungsbau und in den Schienenverkehr herbeiführen. Arbeitslose und Rentner würden steuerlich entlastet, während Besserverdienende stärker zum Allgemeinwohl beitragen müssten. Die von Reinfeldt abgeschaffte Vermögens- und Immobiliensteuer soll zurückkehren.
Rotgrün muss noch zünden
Doch zunächst muss die rotgrüne Kampagne bei der Bevölkerung zünden. Die dafür wichtigen Gewerkschaften haben aber auch um ihren eigenen Einfluss zu kämpfen. Seit 2007 büßte der Dachverband LO 236 000 Mitglieder ein, berichtet dessen Zeitung LO-Tidningen. Erstmals nahm damit während einer Krise unter Arbeitern der Organisationsgrad nicht zu. Wanja Lundby-Wedin glaubt an eine erfolgreiche Stockholmer Premiere, denn die Rotgrünen hätten eine "deutliche und sehr gute" politische Linie gefunden.
Peter Steiniger