Endlich wollte der Textildiscounter KiK einmal mit positiven Schlagzeilen punkten: In der zweiten Augusthälfte kündigte Firmengründer und Geschäftsführer Stefan Heinig an, den Beschäftigten in der Bundesrepublik ab 1. Oktober einen Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde zu garantieren. Nach den vielen Meldungen über Löhne von 5,20 Euro und weniger, über unbezahlte Mehrarbeit und nicht zuletzt über die Kündigung von verschuldeten Beschäftigten nahm sich diese Nachricht in der Öffentlichkeit zunächst gut aus.

Doch einer genaueren Untersuchung hält der "freiwillige Mindestlohn" kaum stand. Bereits in einer ersten Stellungnahme hieß es aus der ver.di-Pressestelle, die Tengelmann-Tochter KiK habe die Neuerung "wie nach Gutsherrenart" verkündet. "Auch die 7,50 Euro pro Stunde bedeuten weiterhin Lohnwucher und sind damit sittenwidrig", erklärt Günter Wolf, stellvertretender Geschäftsführer im ver.di-Bezirk Mülheim/ Oberhausen. Denn wer mehr als ein Drittel unter dem Tariflohn bleibt, betreibt Lohnwucher. Günter Wolf und seine Kollegin Henrike Greven, die Geschäftsführerin im selben Bezirk, haben reichlich Erfahrung mit KiK, da in der Region mehrere Beschäftigte erfolgreich und mit ver.di-Unterstützung auf Nachzahlung des ihnen zustehenden Lohns geklagt hatten.

Vor Gericht vertreten wurden die KiK-Mitarbeiterinnen von Annette Lipphaus, Leiterin der Rechtsabteilung im ver.di-Landesbezirk Nordrhein-Westfalen. "Es war ein Erfolg für die Frauen, da sie etliche tausend Euro nachgezahlt bekommen haben. Aber mittlerweile ist keine einzige von ihnen mehr bei KiK beschäftigt." Auch die Juristin sieht in dem angekündigten Mindestlohn keine echte Verbesserung der Situation. Zum einen müsste selbst für eine ungelernte Packerin der Mindestlohn in NRW bei 7,80 Euro liegen, um nicht sittenwidrig zu sein. Und: "Es ist zu befürchten, dass von den Beschäftigten im Gegenzug noch mehr unbezahlte Mehrarbeit verlangt wird." Die ganze Aktion mit dem freiwilligen Mindestlohn diene wohl in erster Linie dem Zweck, in der Öffentlichkeit besser dazustehen.

Auch Erika Ritter, Leiterin des Fachbereichs Handel im ver.di-Landesbezirk Berlin-Brandenburg, kann der Ankündigung nichts Positives abgewinnen. Verkäuferinnen im siebten Berufsjahr müssten nach Abschlag eines Drittels vom Tariflohn immerhin noch 8,03 Euro (West) beziehungsweise 7,79 Euro (Ost) pro Stunde bekommen. Jeder Cent weniger bedeute Sittenwidrigkeit. "Außerdem muss einbezogen werden, dass bei KiK zudem gegen gesetzliche Vorgaben wie die Lohnfortzahlung bei Krankheit und während des Urlaubs verstoßen wird."

Nur ein gesetzlicher Mindestlohn nützt

Bei den Arbeitsgerichtsprozessen der KiK-Beschäftigten im Raum Mülheim/Oberhausen war den Betroffenen auch für diese Punkte volle Kompensation zugesprochen worden, während KiK für den vorenthaltenen Lohn auch noch nachträglich Sozialabgaben zu entrichten hatte. Das Landesarbeitsgericht Hamm hat das in Zweiter Instanz bestätigt.

Auch in Berlin haben sich in den zurückliegenden Monaten ehemalige KiK-Beschäftigte an ver.di gewandt, um zu wenig gezahltes Entgelt bei ihrem Arbeitgeber einzufordern. Erika Ritter: "Von den aktuell beschäftigten Mitarbeiter/innen hatte bisher niemand den Mut, uns einzuschalten oder über aktuelle Entwicklungen zu informieren."

Es gibt auch kaum ver.di-Mitglieder unter den KiK-Beschäftigten und bundesweit keinen einzigen Betriebsrat. "Die Beschäftigten haben riesengroße Angst, doch wir können als Gewerkschaft nicht einfach so tätig werden", stellt Erika Ritter fest. Das Beispiel KiK mache besonders deutlich, sagt die Gewerkschafterin, dass stärkere staatliche Regulierung, auch durch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, den Beschäftigten derzeit am meisten nützen würde. Gudrun Giese