von Gudrun Giese

Es könnte auch gestern gewesen sein: Schlecker-, KiK-Beschäftigte und ver.dianer gemeinsam am 1. Mai 2009 in Essen

Anspruch und Wirklichkeit: Die Discounter haben sich darauf verstiegen, Kampagnen zu fahren, um ihr ramponiertes Image vom Ausbeuter aufzuhübschen. Aber die neuen Etiketten sind nur Make up. Hinter der Fassade hat sich nichts daran geändert, Beschäftigte in die Teilzeit und damit in den Niedriglohnbereich zu drängen, um Kosten zu sparen. Schlecker und KiK sind unter ihnen nur zwei Schafe in einer schwarzen Herde.

"Schlecker hat sich erkennbar bemüht, einen tariflich abgesicherten Neuanfang hin zur Normalität mit den Beschäftigten, den Betriebsräten und ver.di zu gehen", stellt Achim Neumann sachlich fest. "Doch einen ,radikalen Richtungswechsel hin zu einer Vorbildrolle im Einzelhandel', wie von Schlecker behauptet, kann man daraus nicht ableiten." Achim Neumann, ver.di-Unternehmensbetreuer für Schlecker, weiß, wovon er spricht. Seit Gründung der ersten Betriebsräte bei Schlecker vor mehr als zehn Jahren ist er der Schleckermann schlechthin. Kaum noch eine Talkshow oder Magazin-Sendung über den Drogisten kommt ohne ihn aus. Wenn er die Machenschaften bei Schlecker benennt und kommentiert, fallen Späne und die Schleckerfassade bricht in sich zusammen.

Vor allem im letzten Jahr kamen die rund 34 000 Beschäftigten des Drogeriediscounters kaum zum Durchatmen. Monatelang drohte allen die Auslagerung des persönlichen Arbeitsplatzes in einen neuen XL-Markt über eine firmeneigene Leiharbeitsfirma zu einem Dumpinglohn. Im Frühsommer diesen Jahres konnte die Arbeitsplatzverlagerung gestoppt und stattdessen ein Tarifpaket mit ver.di vereinbart werden, das aus einem Sozial-, einem Beschäftigungssicherungs- und einem Anwendungstarifvertrag für XL besteht. Seit dem 1. Juli 2010 müssen Schlecker-XL-Beschäftigte nach dem Einzelhandelstarifvertrag Baden-Württemberg bezahlt werden (s. PUBLIK 6-7/10).

Alles in Butter demnach? Überhaupt nichts. Viele Betriebsräte haben seither negative Erfahrungen bei der praktischen Umsetzung der Tarifverträge machen müssen, insbesondere dort, wo schlecht oder gar nicht informierte Bezirks- und Vertriebsleiter am Werk sind. "Bei Schlecker sind nach wie vor untertarifliche Bezahlung, zunehmender Einsatz geringfügig Beschäftigter sowie fehlende Planbarkeit von Familie und Beruf wegen befristeter Arbeitsverträge verbreitet", sagt Bärbel Lüdicke, Betriebsrätin in Berlin und Mitglied im Wirtschaftsausschuss des Gesamtbetriebsrates. Und es gebe eine Flut von verhaltensbedingten Abmahnungen etwa wegen "inaktivem Verkaufen", weil Schlecker der einzelnen Beschäftigten immer mehr abfordere, als sie vertraglich an Stunden zugestanden bekomme.

Der vorerst letzte Nackenschlag für die Beschäftigten war die Nichtauszahlung von Mehrarbeitsstunden im Sommer. Obwohl eine Gesamtbetriebsvereinbarung festlegt, dass diese Mehrarbeit im Folgemonat bezahlt wird, notierte Schlecker im Juni und Juli diese Arbeit als "Depotstunden", obwohl es überhaupt keine Arbeitszeitkonten gibt, deren Einführung ohnehin mitbestimmungspflichtig wäre. Dank der Unterstützung durch ver.di gelang es dem Gesamtbetriebsrat, die Vergütung der Mehrarbeit seit Juni mit der August-Abrechnung durchzusetzen. "Solche Aktionen zeigen, dass Schlecker selbst die vollmundig angekündigte Normalität zu torpedieren versucht", sagt Achim Neumann. "Wie sehr gerade geringfügig oder in Teilzeit Beschäftigte auf die Auszahlung der Mehrarbeit angewiesen sind, sollte sich auch bis in die Firmenzentrale in Ehingen herumgesprochen haben."

Nur Lippenbekenntnisse

Die jetzige Absprache, die Mehrarbeit zu bezahlen, bezieht sich aber nur auf die zurückliegenden Monate. Ob in Zukunft die vereinbarten Tarifverträge und Vereinbarungen in vollem Umfang eingehalten werden und so auch geleistete Mehrarbeit automatisch im Folgemonat vergütet wird, weiß im Moment niemand. "Wir benötigen endlich Verlässlichkeit im Umgang mit Schlecker. Lippenbekenntnisse zu einer neuen Unternehmenskultur und besseren Kommunikation mit uns reichen nicht", stellt die Gesamtbetriebsrats-Vorsitzende Christel Hoffmann fest. Der angebliche Vorbildcharakter Schleckers wie auch das behauptete gute Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten müsse in der Praxis unter Beweis gestellt werden. ver.di-Unternehmensbetreuer Achim Neumann sagt es so: "Schlecker muss auch für die Zukunft wissen, dass ein besseres Image und ein erfolgreicheres Agieren am Markt nur mit den Beschäftigten, ihrer Gewerkschaft und in Übereinstimmung mit den Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen gelingen kann." Die Geschäftsleitung in Ehingen sollte sich deshalb einheitlich positionieren, um in Zukunft auszuschließen, dass aus den eigenen Reihen die zuvor vereinbarten Regelungen unterlaufen würden.

Die Betriebsräte wollen helfen, das ramponierte Außenbild "ihres" Unternehmens aufzubessern. So lautet das Motto der diesjährigen Schlecker- Betriebsräteversammlung am 22. und 23. September in Oberhof: "Wir sind Gegenwart und Zukunft." In einer Broschüre zu der Veranstaltung heißt es unter anderem: "Betriebsräte zusammen mit ihrer Gewerkschaft ver.di waren und sind bei Schlecker nicht nur ein Pfeiler sozialer Verantwortung in diesem Land, sie sind das Erfolgsbeispiel mutiger, kämpferischer, durchsetzungsstarker und zukunftsfähiger Belegschaften."