Ausgabe 10/2010
Portugal pariert
Lissabon lässt es in den öffentlichen Kassen quietschen. Immer weiter wird die Ausgabenbremse angezogen. Auf Drängen der Eurogruppe, des Gremiums, das über das Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion wacht, hat die portugiesische Regierung Anfang Oktober neue Sparmaßnahmen verkündet. Über den öffentlichen Dienst wird für 2011 ein Beförderungsstopp verhängt. Prämien entfallen, Pensionszahlungen werden eingefroren. Alle Gehälter über 1500 Euro werden um fünf Prozent gekürzt. Löhne runter, Preise rauf: Der Mehrwertsteuersatz soll von 21 auf 23 Prozent klettern. Das wäre bereits die zweite Anhebung binnen weniger Monate. Auch Abgaben auf einige Finanztransaktionen sollen Geld in die Staatskassen bringen. Mehreinnahmen von 1,7 Milliarden Euro sind prognostiziert.
Seit Monaten beschwört Ministerpräsident José Sócrates von der Sozialistischen Partei (PS) die patriotische Opferbereitschaft der Bürger, um die "internationale Glaubwürdigkeit" des Landes zu verteidigen. Von den größten Massenprotesten seit Jahrzehnten mit Generalstreiks und Demonstrationen, angeführt von Gewerkschaften und linker Opposition, ließ er sich nicht beirren. Vertrauen gewinnen möchte er an anderer Stelle - auf den Finanzmärkten. Im Frühjahr war die Kreditwürdigkeit der iberischen Länder durch Ratingagenturen herabgestuft worden. Das verteuert durch höhere Zinsen die Geldaufnahme am Kapitalmarkt. Die Furcht vor einer Ausweitung der griechischen Schuldentragödie ging um in Europa. Portugal flüchtete sich unter den Euro-Schutzschirm für Schuldner-Staaten, aufgespannt über der astronomischen Summe von 750 Milliarden Euro. Dafür musste sich die Regierung gegenüber der EU-Kommission zu einem strengen Kurs verpflichten. Betrug das Staatsdefizit 2009 noch 9,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, soll es 2010 auf 7,3 und 2011 auf 4,6 Prozent sinken.
Noch mehr Grausamkeiten
Nach einem "Stabilitäts- und Wachstumsprogramm", PEC, wurde im Mai ein zweites Sparpaket gestartet, PEC II. Pate stand die größte Oppositionspartei, die konservativ orientierte Sozialdemokratische Partei PSD. Mit deren Chef Pedro Passos Coelho verständigte sich Sócrates, der einer Minderheitsregierung vorsteht, auf einen Pakt zur Durchsetzung sozialer Grausamkeiten. Die Einkommenssteuer wurde angehoben und damit ein Wahlversprechen gebrochen. Betroffen sind alle Einkommen über dem Mindestlohn von 475 Euro. Gespart wird bei der Arbeitslosenunterstützung. Mit elf Prozent hat die Erwerbslosenrate in diesem Jahr einen neuen Höchststand erreicht. Großinvestitionen in Infrastrukturprojekte werden gestreckt, die Privatisierung von Staatsunternehmen wird forciert. Auf den Markt kommen Teile der nationalen Fluglinie TAP, die Post sowie Linien der Bahngesellschaft CP. Sechs Milliarden Euro sollen dabei herausspringen.
Mit ihrem Spar- und Privatisierungskurs betritt die Regierung Sócrates kein Neuland, sie tat sich darin bereits seit 2005 hervor. Maßgabe sind die wirtschaftspolitischen Leitlinien der EU und des Euro-Stabilitätspakts. Vorexerziert hatte diese Politik der Konservative José Manuel Barroso, bevor er 2004 nach Brüssel wechselte. Über ein Jahrzehnt währt bereits die wirtschaftliche Flaute mit sinkender Massenkaufkraft am Tejo. Ungelöst blieben Portugals strukturelle Probleme. Das Bildungssystem weist gravierende Mängel auf. Ausländische Investitionen bleiben unter den Erwartungen.
Für 2010 soll die Sparpolitik eine Entlastung des Etats von 11,2 Milliarden Euro bringen. Das entspricht 6,7 Prozent von Portugals Bruttoinlandsprodukt. Damit landet Portugal beim Sparen auf dem zweiten Platz hinter Griechenland.
Für ihren dritten Spar-Streich brauchen die Sozialisten bei der Verabschiedung des Haushalts 2011 erneut die konservativen Sozialdemokraten. Die zieren sich bei weiteren Steuererhöhungen. Staatspräsident Anibal Cavaco Silva rief zu einem Konsens auf und warnte vor einer politischen Krise mit "extrem schwerwiegenden Konsequenzen". Der Rechtspolitiker will bei Wahlen Anfang 2011 sein Amt gegen den von Sozialisten und Linksblock (BE) unterstützten Kandidaten Manuel Alegre verteidigen. Der äußerte sich besorgt über die "harten Maßnahmen". Für die Zukunft des Landes sei ein Präsident nötig, der die "soziale Funktion des Staates" garantiere. Die Gewerkschaftszentrale CGTP vertraut dafür nicht allein dem Wahlzettel. Für den 24. November ruft sie zu einem landesweiten Generalstreik gegen den Sparkurs und für einen Politikwechsel auf. Peter Steiniger