Von Andreas Hamann

Aldi ist sichtlich genervt. Immer wieder werden Vorwürfe laut, der Discountriese verursache in asiatischen Zulieferfabriken schlechte Arbeitsbedingungen und Hungerlöhne. Experten steuern regelmäßig neue Erkenntnisse bei, so wieder das entwicklungspolitische Südwind-Institut in einer kürzlich veröffentlichten Studie. Ins Schwarze getroffen hat offenbar auch die Christliche Initiative Romero (CIR): Mit der Parodie eines Werbeflyers, der dem Original zum Verwechseln ähnlich ist, bringen die Aldi-Kritiker seit Anfang Oktober Argumente zu den negativen Folgen der billigen Aktionsangebote in Umlauf. Aldi Nord mit Sitz in Essen bagatellisierte sofort, sprach von "angeblichen Missständen" und ließ hohe Geldstrafen ankündigen. Der Drohbrief kam aus derselben Kanzlei, die wiederholt Strategien gegen unbequeme Aldi-Betriebsräte in Deutschland entwickelt hat.

Dass schwere Mängel in den Zulieferfabriken von Aldi keine Erfindung sind, hat das Südwind-Institut jetzt zum dritten Mal seit 2007 an Beispielen belegt. Eine China-Studie erschien vor wenigen Wochen. "Am schlechtesten sind die Bedingungen bei Aldi-Zulieferern", so die Autorin Ingeborg Wick. Allerdings kommt es nach ihren Erkenntnissen auch bei chinesischen Metro-Großhandelsmärkten und Adidas-Lieferanten zu Arbeitsrechtsverletzungen. Ein zentraler Mangel ist dabei die Missachtung der Gewerkschaftsfreiheit.

Ethikprogramme und Realität

Bei der Metro ist besonders das externe Personal betroffen, das in den zwei untersuchten Märkten die Mehrheit im Verkauf stellt. Die eigenen Angestellten arbeiten hingegen unter relativ guten Bedingungen. Die von Dienstleistern an die Metro ausgeliehenen, meist weiblichen Arbeitskräfte haben keinen bezahlten Mutterschaftsurlaub und beklagen häufig Lohnrückstände.

In vier Fabriken, die für Aldi Haushaltsgeräte und Textilien produzieren, fallen extrem viele Überstunden an, die nur zum Teil bezahlt werden - Beschäftigte eines Bekleidungslieferanten in der Provinz Guangdong leisten bis zu 130 Überstunden im Monat. Auch bei zwei Adidas-Schuhlieferanten in der Provinz Fujian sind exzessive Überstunden an der Tagesordnung. Der Spitzenwert von 92 Stunden pro Monat überschreitet die gesetzliche Grenze um 150 Prozent.

"Die Situation der Beschäftigten lässt zu wünschen übrig - trotz vollmundiger Ethikprogramme", sagt Ingeborg Wick. Der Untersuchungsbericht liefert entlarvende Befragungsergebnisse: Danach ist es bei Aldi- und Adidas-Zulieferern übliche Praxis, dass das Personal nach Kontrollinspektionen durch die ausländischen Abnehmer für "gute" Antworten eine Prämie und für "schlechte" eine Geldstrafe bekommt. Vor Betriebsbegehungen der Kunden sind in den meisten Fabriken, die für Aldi produzieren, geschönte Angaben zu Löhnen und Arbeitszeiten ausgehängt worden.

Wie viele andere Unternehmen, die global handeln und Waren beschaffen, hat sich die Aldi-Gruppe freiwillige Programme zur Sozialverantwortung auferlegt - eine Reaktion auf die zunehmende Kritik von Verbraucherverbänden, Gewerkschaften und anderen Gruppen. Tatsächlich klafft eine große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit, wie auch die Südwind-Studie zeigt. "Die von Ihnen angesprochenen Missstände sind bedauerlicherweise in zahlreichen Fertigungsstätten Realität", räumte Aldi Süd inzwischen ein. Man arbeite aber gemeinsam mit den Lieferanten im Rahmen der Initiative für bessere Arbeits- und Sozialstandards (BSCI) an der Behebung. An den Hauptursachen - enormer Preisdruck und kurze Lieferzeiten - ändert das nichts.

Zu den über 550 Unternehmen, die sich der BSCI angeschlossen haben, gehört auch Lidl. Der zweite große deutsche Discounter warb bis Anfang 2010 massiv mit seiner BSCI-Mitgliedschaft und der Einhaltung der Sozialstandards. Doch die Kampagne für Saubere Kleidung, CCC, und die Verbraucherzentrale Hamburg stoppten in diesem Fall die Schönfärberei, die in der Branche Schule macht. Sie klagten, und Lidl zog die Werbung zurück, da bei seinen Textilzulieferern in Bangladesh schwere Menschenrechtsverletzungen nachzuweisen waren.

Online-Petition

Neben den unzulänglichen Fabrikkontrollen haben entwicklungspolitische Experten viele weitere Kritikpunkte zur BSCI. Die Initiative legt zum Beispiel die gesetzlichen Mindestlöhne als Standard fest; die aber ergeben oft nur die Hälfte eines existenzsichernden Einkommens. Gisela Burckhardt von der Kampagne für Saubere Kleidung betont noch einen anderen Aspekt: "Diese Unternehmensinitiative wurde mit dem Ziel aus der Taufe gehoben, gesetzlichen Regelungen vorzubeugen. Sozialstandards sollen unbedingt freiwillig bleiben."

Die aktuelle China-Studie von Südwind kommt zu dem Schluss, dass "rechtlich verbindliche Vorgaben für eine globale Sozialverpflichtung von Unternehmen" entwickelt werden müssen. Ein ähnliches Ziel hat die von ver.di unterstützte Online-Petition "Rechte für Menschen - Regeln für Unternehmen" (www.cora-netz.de). Das europäische Netzwerk ECCJ fordert darin Gesetze, mit denen Unternehmen aus der EU für die weltweiten Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit haftbar gemacht werden können. Mindestens 100 000 Unterschriften sollen jetzt gesammelt und den europäischen Regierungen überreicht werden.

www.suedwind-institut.de

www.saubere-kleidung.de

Aldi-Parodie

Mit harten Bandagen geht Aldi Nord gegen Kritiker/innen seiner Geschäftspolitik vor: Das Unternehmen hat juristische Schritte gegen die Christliche Initiative Romero (CIR) eingeleitet. Der entwicklungspolitischen Organisation drohen eine einstweilige Verfügung und hohe Geldstrafen, weil sie die Parodie eines Aldi-Prospekts in Umlauf gebracht hat. In dem Flyer wird auf menschenrechtlich bedenkliche Aspekte der Aktionsangebote hingewiesen, die Aldi Süd übrigens eingeräumt hat. In einer Protestmail, die online unterzeichnet werden kann, wird die unverzügliche Einstellung der juristischen Maßnahmen gefordert. "Sozialstandards müssen in Produktion (z.B. in Bangladesh) und Verkauf (bei uns) eingehalten werden", heißt es wörtlich.

Protestmail an Aldi Nord: www.ci-romero.de/mailomat_aldi_klage