Ein neues Leben

Colm Toíbín: Brooklyn | Als die junge Eilis Lacey in den 50er Jahren allein nach Amerika geschickt wird, um einen besseren Job anzunehmen, fügt sie sich ohne großen Gestaltungswillen in ihr Schicksal. Dennoch hinterlassen die neuen Erfahrungen ihre Spuren. Als Verkäuferin macht sie sich gut in dem eleganten Geschäft für Damenoberbekleidung und manövriert sich geschickt durch die neuen Herausforderungen. Tony, ein Verehrer, der sich bald um sie bemüht, ist in seiner Art fast zu gut, um wahr zu sein: charmant, verständnisvoll und lustig. Der irische Autor beschreibt den Weg der jungen Frau zu sich selbst aus ihrer Perspektive; in einem Satz flicht er innere Gedankenprozesse ins äußere Geschehen; als Leser verfolgt man atemlos, was Eilis wohl aus dem Erlebten macht, ob und wie es sie verändern wird. Am Ende ist sie gezwungen, eine sehr persönliche Entscheidung zu treffen.

Colm Toíbín spiegelt spannende Liebesgeschichte, Bildungsroman und Arbeitsbiografie einer jungen Frau in einem. Wunderbare Szenen und Dialoge, wenn Eilis Nylonstrümpfe an die ersten farbigen Kundinnen des Geschäfts verkauft, oder sie nach dem Tanz nach Hause begleitet wird. Hier sind es die ganz einfachen Dinge, die das Lesen so aufregend machen. Jenny Mansch

ROMAN, HANSER VERLAG, 2010, Ü: GIOVANNI UND DITTE BANDINI, 302 S., 21,90 €


Ulla Lessmann: Lachsmesser im Marzipanschwein | Subtiles und Hintergründiges, mit einem Schuss satirischem Gift, das zeichnet die Kriminalgeschichten dieser Autorin aus. Meist stehen Frauen im Mittelpunkt ihrer Kriminalerzählungen. Frauen, die enttäuscht wurden oder sich nicht richtig wahrgenommen fühlen, wie Hella. Von Mann und Kindern verlassen, versucht sie, ihre Existenz mit einem Wollladen, mit drei „L“, zu sichern. Hella scheitert tragikomisch an eben diesen drei „L“ und sieht nur Mord als Ausweg. Ganz anders zerstört eine erfolgreiche Werbetexterin ihren Traum von der großen Lyrik. Sie sieht ihr sensibles Gemüt derart überstrapaziert, dass sie mordet – mit einem Lachsmesser. Ob die von Gästen gequälte Kellnerin, die mit Fußnägeln unter Pecorinospänen Rache übt, oder die verlassene Geliebte, die mit einem Bücherregal mordet: Ulla Lessmann ist nichts Menschliches fremd und es ist köstlich zu lesen, wie sie das Menschliche in ihren Geschichten aufspießt und genüsslich betrachtet. mks

LEPORELLO VERLAG, 272 S., 9,90 €


Cathleen Schine: Die drei Frauen von Westport | Selbst unerfreuliche Notwendigkeiten des Lebens vermag Betty wie ein Picknick zu gestalten. Doch als ihr nach 48 Ehejahren der Mann durch einen amourösen Blitzschlag genommen wird, erklärt sie sich zur Witwe. Fortan keine Picknicks mehr. Denn mit dem gut betuchten Gatten verschwinden zugleich finanzielle Sorglosigkeit und die schicke Wohnung am Central Park. Mit Tafelsilber und Orientteppich zieht die 75-jährige Betty in ein marodes Cottage nach Westport. Flugs retten sich auch die Töchter Miranda, 49, und Annie, 51, aus beruflichem wie privatem Schlamassel in das Küstenstädtchen. Liebeswirrungen ohne Rücksicht auf Alter, Status und Geschlecht sind die Folge. Jane Austen lässt grüßen, was von der Autorin durchaus beabsichtigt ist. „Das Leben ist kein Picknick“, zitiert Betty schließlich ihren Noch-Ehemann. Mag sein. Aber mit diesem köstlichen, warmherzigen Roman kann man es sich für ein paar Stunden ganz wunderbar versüßen. hik

GOLDMANN VERLAG, Ü: SYBILLE SCHMIDT, 352 S., 19,99 €


Tom McCarthy: Tim & Struppi und das Geheimnis der Literatur | Der Titel kommt daher wie ein weiteres Abenteuer des sympathischen Gespanns von Reporter und Hund. Aber der englische Künstler und Autor Tom McCarthy untersucht nur auf abenteuerliche Weise die Geheimnisse des weltberühmten Comics und seines Schöpfers Hergé. Sie werden als Werke der Literatur ernst genommen und als solche auf die Couch gelegt und analysiert. Unterhaltsam, komisch und klug ist, wie McCarthy das Leben der Figuren und das des Autors ausleuchtet. Hergé, dessen politischer Werdegang rechts außen beginnt, ist in den 70er Jahren „geläutert“, so wie seine Figur: „Wendet sich auch Tim gegen die Konsumgesellschaft?“, wird er in einem Interview gefragt und antwortet: „Absolut dagegen, selbstverständlich! Tim stand immer auf Seiten der Unterdrückten!“ klix

BLUMENBAR VERLAG, Ü: ANDREAS LEOPOLD HOFBAUER, 256 S., 18,90 €