Ausgabe 01/2011-02
Ein lange ersehnter Umbruch
Andreas Zumach ist internationaler Korrespondent in Genf
Als am Abend des 14. Januar die Nachricht von der Flucht des tunesischen Diktators Ben Ali ins Ausland kam, saß ich gerade auf einer Tagung zusammen mit Vertreter/innen von Nichtregierungsorganisationen aus Ägypten, der Türkei, Irak, Kuweit, Iran, Syrien, Libanon, Jordanien, Israel sowie aus Palästina (Westbank und Gazastreifen). Ziel der Tagung war die Vorbereitung einer "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten"- in Anlehnung an die KSZE von Helsinki, mit der Mitte der 70er Jahre die Aufweichung der Blockkonfrontation zwischen Ost und West begann. Auf die Nachrichten aus Tunis reagierten sämtliche Teilnehmer/innen der Tagung mit großer Begeisterung. Einige weinten vor Freude. Mir wurde klar: Mit den friedlichen Volksaufständen gegen Korruption und habgierige Diktatoren und für Freiheit und Demokratie in Tunesien sowie inzwischen auch in Ägypten und demnächst wahrscheinlich in weiteren Staaten Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens hat in dieser Weltregion ein lange ersehnter Umbruch begonnen. Ein Umbruch, der für die beteiligten und betroffenen Menschen mindestens so tiefgreifend ist, wie es für uns Europäer im Jahre 1989 der Fall der Berliner Mauer und das Ende des Kalten Krieges waren.
Die Volksaufstände in Tunesien und Ägypten sind weder vom Westen fremdgesteuert noch ein "Aufstand der islamischen Straße gegen die westliche Diktatoren", wie die iranische Führung und ihre Staatsmedien ihre Bevölkerung glauben machen wollten. Dasselbe gilt für die immer häufigeren und immer größeren Demonstrationen der letzten Wochen in Jordanien, Jemen, Syrien oder Algerien. Die islamischen Parteien und Organisationen in diesen Ländern wurden von diesen Volksaufständen genauso überrascht wie die Regierungen und die meisten Medien in den westlichen Staaten. Seit sechs Jahrzehnten haben die westlichen Staaten die Diktaturen im Nahen und Mittleren Osten und im nordafrikanischen Maghreb unterstützt und aufgerüstet. Hauptinteresse war und ist die sichere Versorgung mit möglichst billigem Öl. Hinzu kam in den letzten Jahren das Interesse der EU-Staaten an der Abwehr von Flüchtlingen aus Afrika und an lukrativen Aufträgen etwa von Lybiens Diktator Mohammed Ghadafi. Gerechtfertigt wird diese zynische und menschenrechtsfeindliche "Stabilitätspolitik" in Washington, London, Berlin oder Paris vor allem seit den Anschlägen vom 11. September 2001 mit der Behauptung, die Diktaturen und autokratischen Regimes in den Staaten der Region seien die einzige Versicherung gegen eine islamistische Machtübernahme. Diese Behauptung war - vor allem in ihrer Pauschalität - immer falsch. Am wenigsten stimmte sie für Tunesien. Dort haben sich die existierenden islamischen Parteien schon vor über 20 Jahren glaubwürdig auf eine säkulare Demokratie, die Beteiligung an Wahlen und auf Gewaltfreiheit festgelegt. Doch selbst in Ländern, wo es problematische islamistische Bewegungen gibt, war und ist die westliche "Stabilitätspolitik" der Unterstützung von Diktaturen kontraproduktiv. Denn im Ergebnis dieser Politik wurden die islamistischen Kräfte noch gestärkt.
Mit dieser fatalen "Stabilitätspolitik" der letzten Jahrzehnte haben westliche Regierungen und Politiker bei den Bevölkerungen im Nahen und Mittleren Osten und in Nordafrika ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Die jüngsten Ratschläge und Mahnungen etwa von US-Außenministerin Clinton oder Bundeskanzlerin Merkel zu einem "geordneten Übergang" in Ägypten können für die Demonstranten auf den Straßen in Kairo nur noch heuchlerisch und verlogen klingen. Zumal mit "geordnetem Übergang" offensichtlich gemeint ist, die Abdankung des Diktators Mubarak und die Einleitung freier Wahlen hinauszuzögern und eine Übergangsregierung zu installieren, die vor allem weiterhin die westlichen Interessen sichert.
Doch die westlichen Ratschläge werden die Dynamik der Entwicklung im Nahen/Mittleren Osten und im Maghreb kaum bremsen können. Diese Dynamik wird in absehbarer Zeit auch Iran ergreifen. Und sie wird endlich Bewegung in den festgefahrenen Kernkonflikt der Region zwischen Israel und den Palästinensern bringen. Die Regierung Netanjahu in Tel Aviv, die sich ja nicht zufällig am deutlichsten für eine Fortsetzung des Mubarak-Regimes im benachbarten Ägypten ausgesprochen hat, wird diese Entwicklung möglicherweise nicht überleben. Zumindest aber wird diese Regierung ihre sture und völkerrechtswidrige Verweigerungshaltung gegenüber einer gerechten Lösung des Konflikts mit den Palästinensern nicht fortsetzen können. Und auch die demokratiefeindlichen und korrupten Kräfte unter den Palästinensern - sowohl in der Autonomiebehörde in der Westbank wie bei der Hamas im Gazastreifen - werden sich nicht länger an der Macht halten können.
Hauptinteresse der westlichen Staaten war und ist die sichere Versorgung mit möglichst billigem Öl