Karen Duve: Anständig essen | Fulminant – ehrlich, komisch, schockierend – hat die Autorin das neue Jahr eröffnet mit ihrem Buch, zeitgleich mit dem aktuellen Tierfutterskandal. Duves „Selbstversuch“, so der Untertitel, bleibt nicht auf das Thema Ernährung beschränkt, auch wenn es zunächst so geplant war. Der Titel des Buches erinnert an elterliche Ermahnungen, doch geht es um Ethik. Und das bedeutet hier erst einmal: Verzicht. Die Autorin, die diesen Weg schon als Tierfreundin beginnt, aber ihren gewohnheitsmäßigen Fleischkonsum nicht reflektiert, wird von der Kritik einer Freundin aufgestört. Sie begreift durch die stufenweise erprobte Ernährung als Biokonsumentin, Vegetarierin, Veganerin und Frutarierin, dass sie nicht mehr zurück kann in ihr altes Leben: „Vielleicht ist gerade das Leid, das ich verursache, das einzige, das zu verhindern ich jemals imstande sein werde.“ klix

Anständig essen. Ein Selbstversuch, Galiani Verlag 2011, 338 S., 19,95 €


Moritz von Uslar: Deutschboden – Eine teilnehmende Beobachtung | Da ist einer ausgezogen, um das Fürchten zu lernen. Weit fahren musste Moritz von Uslar dafür nicht. Nur 60 Kilometer gen Norden, von Berlin nach Zehdenick. Drei Monate hat der Journalist im Wilden Osten verbracht, um festzustellen und dann in Deutschboden fulminant aufzuschreiben: Gar nicht so schlimm da. Vielmehr: Ziemlich geil da sogar in Hardrockhausen, wie er das Städtchen tauft. Klar, Arbeitslosigkeit, Alkohol und zweifelhafte Weltanschauungen. Aber auch: Mutterwitz, Schlagfertigkeit und Bodenständigkeit. Das macht den Reporter glücklich. Er findet, was er in seinem Berliner Kreativen-Ghetto vermisst hat: das Ursprüngliche, Rohe, Authentische, das wahre Leben eben. Er findet, was er finden wollte. Er findet aber, wie allseits behauptet wurde, bei seinem Abenteuerurlaub in der nahen Ferne dann eben doch nicht viel Neues über den Osten im Speziellen oder Deutschland im Allgemeinen heraus. to

Deutschboden – eine teilnehmende Beobachtung, Kiepenheuer & Witsch 2010, 378 S., 19,95 €


Jonathan Franzen: Freiheit | Abend für Abend stemmt man die 736 Seiten auf Augenhöhe. Doch was soll’s. Die Berglunds haben es auch nicht leicht. Walter, tugendhaft bis zur Unerträglichkeit, verstrickt sich in Machenschaften mit der Kohleindustrie und die Unterwäsche seiner Assistentin. Ehefrau Patty, sarkastisch-depressiv, bedauert ihre Verzichtleistungen zugunsten der Familie. Sohn Joey kann republikanischen Verlockungen nicht widerstehen, und Tochter Jessica verzweifelt an der Familie. Erschwerend hinzu tritt Richard Katz, alternder Rockmusiker und Freund, der stets für Unruhe in Walters und Pattys Herzen sorgt. Franzen nähert sich seinen Figuren bis an die Schmerzgrenze, begleitet sie lakonisch durch jedes Scheitern. Dabei folgt er erneut dem Anspruch, den familiären Innenraum als Abbild des globalen Geschehens zu sehen. Jeder will immer nur über sich selbst lesen, sagt Katz. Am Ende schleppen wir Freiheit auch tagsüber mit uns herum. hik

Freiheit, Rowohlt Verlag, Reinbek 2010, 736 S., 24,95 €