Ende Februar: Protestierende besetzten 14 Tage lang das Capitol

Von Barbara Jentzsch

An einem gewerkschaftsfreien Amerika arbeiten die Republikaner, seit Ronald Reagan 1981 die Fluglotsenorganisation Patco zerschlug. Davon hat sich die Arbeiterbewegung nie wirklich erholt. Jetzt sieht sie sich mit der nächsten Generation Gewerkschaftskiller konfrontiert. Deren Vorreiter ist Wisconsins neuer Tea-Party-Gouverneur Scott Walker. Er hat den Gewerkschaften den Krieg erklärt und die erste Schlacht gewonnen.

Nach drei dramatischen Wochen ist es den Republikanern gelungen, ein Gesetz im Parlament von Wisconsin durchzubringen, das Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes das Recht auf Tarifverhandlungen nimmt. "In 30 Minuten haben 18 Senatoren 50 Jahre Bürgerrechte zunichte gemacht", sagt Mark Miller, der Vorsitzende der Demokraten im Senat. Er war zwei Wochen lang mit 13 anderen Demokraten in den Nachbarstaat Illinois "emigriert", um zu verhindern, dass Abgeordnete beider Parteien anwesend sind, was zur Abstimmung über ein Haushaltsgesetz notwendig ist. Doch Gouverneur Walker trickste die Demokraten aus: Das Gesetz wurde einfach geteilt. Alle fiskalischen Punkte wurden ausgeklammert, damit konnten die Republikaner über den gewerkschaftlichen Teil im Schnellverfahren und ohne die Demokraten abstimmen. Resultat der Manipulation, die ein gerichtliches Nachspiel haben wird: Die Gewerkschaften dürfen nicht mehr über Arbeitsbedingungen und Sozialleistungen verhandeln, sondern nur noch über die Höhe der Löhne. Die müssen der Inflationsrate angepasst werden oder, wenn sie darüber liegen, in einem Volksentscheid von der Mehrheit angenommen werden.

Sündenbock Nummer eins

Seit ihrem Wahlsieg im Herbst schießen sich die Republikaner landesweit auf die Gewerkschaften ein. Begleitet vom Getrommel rechter Medien und unterstützt von Financiers wie den Tea-Party-Paten David und Charles Koch machen sie Stimmung gegen die angeblich zu mächtigen Gewerkschaften, die mit ihren Privilegien angeblich "den amerikanischen Mittelstand zerstören". Die Gewerkschaften seien Schuld an dem nur schleichenden Aufschwung nach der Krise.

Als Sündenbock Nummer eins mussten in Wisconsin die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes herhalten. Auf sie wollen die Republikaner in Washington und sparwütige Gouverneure wie Walker die milliardenschweren Defizite aus der Rettung der Großbanken abwälzen. Die von den öffentlich Bediensteten erkämpften Ansprüche auf soziale Leistungen wie Rente, Urlaub oder Krankenversicherung werden von Gouverneur Walker als unverdiente Geschenke hingestellt, für die der US-Steuerzahler aufkommen müsse.

Walkers jetzt verabschiedetes drakonisches Sparpaket sieht vor, Wisconsins langfristiges Haushaltsloch von 3,6 Milliarden Dollar erstmal durch Beitragserhöhungen der Renten- und Gesundheitsversicherung für Staatsbedienstete zu stopfen. Die Gewerkschaften hatten die bittere Pille geschluckt und Einkommenseinbußen bis zu zehn Prozent akzeptiert, doch das hat den Gouverneur gar nicht interessiert. Wie der Abstimmungstrick zeigt, war die Haushaltssanierung nur der Vorwand, um das Recht der Gewerkschaften auf Tarifverhandlungen abzuschaffen. Der Ökonom Paul Krugman: "Die Haushaltskrise soll genutzt werden, um das letzte Gegengewicht zur politischen Macht der Konzerne und Reichen zu zerstören."

Gouverneur Walker könnte sich mit diesem Coup in die Riege der Präsidentschaftskandidaten für 2012 katapultiert haben. Aber der Machtkampf in Wisconsion ist jetzt nicht vorbei, im Gegenteil. Die Gewerkschaften haben begriffen, dass es um ihr Überleben geht. Und sie wehren sich. Wochenlang hat es in der Hauptstadt Madison Proteste gegeben. Hunderttausende haben demonstriert, bei Eis und Schnee, ohne jeden Zwischenfall. Lehrer, Studierende, Schüler, Krankenschwestern, Pensionäre, Polizisten, Busfahrer, Feuerwehrleute und ganze Familien. Jetzt ist der Aufruhr weiter eskaliert. Die nächste Runde wird vor den Gerichten ausgetragen. Hunderte Einzel- und Sammelklagen liegen vor. Außerdem machen die Bürger von Wisconsin von ihrem Recht Gebrauch, unpopuläre Politiker abzuwählen, die länger als ein Jahr im Amt sind. Sogenannte Recall-Verfahren für acht republikanische Senatoren haben begonnen. Tausende Unterschriften liegen schon vor. Wenn innerhalb von 60 Tagen genügend Unterschriften zusammenkommen, um drei der acht Republikaner abzuwählen, sind die Demokraten wieder in der Mehrheit. Wisconsin, Wiege der amerikanischen Arbeiterbewegung, könnte das Anti-Gewerkschafts-Gesetz streichen und den in den Umfragen abgestürzten Scott Walker im nächsten Jahr abwählen.

Der zündende Funke

Wisconsin könnte sich als zündender Funke gewerkschaftlicher Erneuerung entpuppen, kommentierte die New York Times angesichts der landesweiten Solidaritätsaktionen für die Gewerkschaften. Scott Walker hat den Bogen überspannt und damit beschleunigt, was er verhindern wollte: dass sich Amerikas intern oft zerstrittene Gewerkschaften miteinander verbünden und die Proteste auf weitere Bundesstaaten übergreifen.

Die für den öffentlichen Dienst zuständige Abteilung des Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO (South Central Wisconsin Federation of Labor) mit 45 000 Mitgliedern überlegt, den Generalstreik auszurufen. Eine überregionale Ausdehnung wäre vor zwei Monaten noch undenkbar gewesen. Heute nicht mehr.

https://international.verdi.de/solidaritaet

http://www.afscme.org/index.cfm