Singen gegen die Schuldenbremse - Delegierte beim Protest

Von Renate Bastian

Ganz im Zeichen des Widerstands gegen die "Schuldenbremse" in der hessischen Verfassung stand der erste Beratungstag der 3. ver.di-Landesbezirkskonferenz in Fulda. 107 Delegierte haben sich am 18. und 19. März im Hotel Esperanto getroffen, um eine Bilanz der letzten vier Jahre zu ziehen und bevorstehende Aufgaben zu bestimmen. Aber auch aktuelle Ereignisse wie die Volksabstimmung Ende März in Hessen und die Katastrophe in Japan prägten die Konferenz.

Free Jerry!

Sowohl der Gastredner, der hessisch-thüringische DGB-Vorsitzende Stephan Körzell, als auch der ver.di-Landesleiter Jürgen "Jerry" Bothner betonten noch einmal mit Verve, wie wichtig es für die soziale und kulturelle Infrastruktur in Hessen sei, eine solche Selbstknebelung per Schuldenbremse abzuwenden. Etwas mehr Unterstützung aber habe man sich von der ver.di-Bundesebene gewünscht. Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske unterstrich daraufhin noch einmal die "hohe Wertschätzung", die der "vorbildliche hessische Einsatz gegen ein solches neoliberales Politikmuster" bei ver.di genießt.

In der Mittagspause demonstrierten die Delegierten dann auch auf dem Esperanto-Platz und sangen das Lied gegen die Schuldenbremse, für das zehn ver.dianer, unter ihnen der Landesleiter, zuvor Hausverbot im hessischen Landtag erhalten hatten. "Free Jerry" - den Button konnte man bei der ver.di-Jugend erwerben.

Bei den Mitgliedern vorn

Frank Bsirske legte in seiner Rede einen Schwerpunkt auf die Organisationsentwicklung der Gewerkschaft zum zehnten Geburtstag. Nach wie vor verursachten Mitgliederverluste einiges Kopfzerbrechen. Allerdings zeigten sich auch positive Entwicklungen wie in Hessen, das bei der Gewinnung neuer Mitglieder ganz vorne liegt. Zwischen Mitgliederentwicklung und Durchsetzungsfähigkeit für gewerkschaftliche Ziele bestehe, so Bsirske, ein enger Zusammenhang. "Gewerkschaften leben von der Macht der Zahl." Besorgt verwies er aber darauf, dass selbst engagierte Betriebs- und Personalräte die Gewinnung von neuen Mitgliedern nur am Rande als ihre Aufgabe ansehen. Der Vorsitzende bezeichnete ver.di als eine Organisation, die "wegen Umbau geöffnet" sei. Ziel sei eine ver.di, die "dialogischer, weiblicher, konsensorientierter und politischer" ist. Beteiligung der Mitglieder sei ein Erfolgsfaktor der Zukunft.

Hier machte sich in der Diskussion eine inhaltliche Kluft bemerkbar. "Vom Himmel gefallen", also ohne intensive Beratung und Beteiligung, sei der Vorstoß für eine gesetzliche Regelung, wonach künftig bei mehreren Tarifverträgen in einem Betrieb oder einer Dienststelle der jener Gewerkschaft gelten solle, die die Mehrheit der Beschäftigten organisiert. Die Konferenz gelangte auch in der Antragsberatung nicht zu einer einheitlichen Meinung, ob auf diese Weise die Tarifautonomie gestärkt werden könne. Scharf zurückgewiesen wurde aber der Vorwurf, die Kritiker einer gesetzlichen Regelung könnten in einer Linie mit neoliberalen Vertretern stehen. Bsirske revidierte dabei eine Formulierung, die dies zuvor nahelegt hatte. Einig waren sich die Delegierten in der Absicht, auch künftig Beamtinnen und Beamte zu Warnstreiks aufzurufen und sie somit stärker in Tarifbewegungen einzubeziehen.

Beschleunigt aussteigen

Angesichts der anhaltenden Katastrophe in Japan sprachen die Delegierten den betroffenen Familien ihre tiefe Anteilnahme aus. Die politische Konsequenz müsse sein, neben der dauerhaften Abschaltung der sieben ältesten Atomkraftwerke hierzulande schließlich weltweit einen beschleunigten Ausstieg aus der Atomenergie zu organisieren. Öffentliche Investitionen solle es nur noch für umweltfreundliche Strom- und Energieproduktion geben. Zudem beschlossen die Delegierten, dass der neu gewählte ver.di-Landesbezirksvorstand alsbald eine Position zur Zukunft der Energieversorgung in Hessen erarbeiten soll.