John Layman/Rob Guillory: Chew | Dieser preisgekrönte Comic ist eine der positiveren Folgen der Vogelgrippe: Ein Lebensmittelskandal fordert viele Todesopfer und löst dadurch ein weltweites Hühnerfleischverbot aus. Also sorgen fortan künstliches Huhn sowie die Behörde FDA für sauberes Essen auf nicht immer ganz sauberen Tellern. Tony Chu ist FDA-Agent und zu seinem Unglück ein Cibopath: Kostproben jeglichen Essens sagen ihm alles über dessen Herkunft. Aus verständlichen Gründen nimmt er daher außerhalb der Dienstzeit nur rote Beete zu sich. Geschmacksverstärkend werden die karikaturhaft dargestellten Figuren in dieser Groteske von Farben unterstützt, die oft aussehen, als hätten sie ihr Haltbarkeitsdatum bereits überschritten. Passende Würzmittel für eine Geschichte, die von miesen Arbeitsbedingungen in Imbissketten über profitgeile Lebensmittelfälscher bis hin zu fanatischen Gourmet-Guerillas viele Aspekte moderner Massenesskultur abschmeckt – und die dabei nicht immer den Appetit, aber stets das Zwerchfell anregt. rist

COMIC, CROSSCULT 2010, 140 SEITEN, 16,80 €


Bettina Stangneth: Eichmann vor Jerusalem | „Es könnte interessant sein – abgesehen davon, dass es schrecklich wird.“ Mit diesen Worten Hannah Arendts vor dem Eichmann-Prozess in Jerusalem 1961 warnt Bettina Stangneth die Leser in der Einleitung ihres ungemein spannenden Buches. Selbst Arendt ließ sich damals täuschen von der Selbstinszenierung des Angeklagten als Bürokraten, der nur von Befehlsgehorsam geleitet war. Eichmann vor Jerusalem zeigt ihn, bevor er in diese Rolle schlüpfte. Stangneth stellt das ursprüngliche Bild wieder her: Eichmann war der ehrgeizige, grausam einfallsreiche Organisator des Massenmordes an den Juden, aus voller Überzeugung, die er auch nach 1945 nicht ablegte. Er entzog sich der Verantwortung, konnte mithilfe alter Beziehungen nach Argentinien flüchten, wohin er sogar seine Familie holte. Hätte ihn der israelische Geheimdienst nicht dort aufgespürt und entführt, wäre er unbehelligt geblieben. klix

ARCHE VERLAG, HAMBURG, 2011, 656 SEITEN, 39,90 €


Joachim Radkau: Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte | Umwelt-Katastrophen waren schon immer Beschleuniger der Umwelt-Bewegung. Das gilt für Fukushima, das galt schon für den Super-Gau von Tschernobyl. Zwar ist der Ausstieg damals nicht erfolgt, dafür aber der mentale Einstieg in eine „ökologische Geistesgegenwart“, die zahlreiche Organisationen und neue Politikformen mit sich brachte. Da ist die Umweltbewegung in weltgeschichtlicher Perspektive für den Umwelthistoriker Radkau die Signatur eines Zeitalters, die er mit großer Geste markiert: als Ära der Ökologie. Dazu gehören: Greenpeace und Robin Wood, die Chipko-Baumschutzbewegung in Indien oder die Deep-Ecology-Bewegung in den USA, das Guerilla-Gardening und World Wildlife Fund, die thailändische Bewegung gegen den Raubbau an den Wäldern und die kenianische für das Überleben des Ogoni-Volkes. Radkau gibt sogar ein Kapitel zum Ökofeminismus mit Portraits von zwölf Heroinen aller Kontinente. Das bringt Leben in die Lektüre, und weil hier kein elitärer Akademiker am Werk ist, wird eine internationale Umweltbibliothek mitdiskutiert, die aus Fachliteratur, populären Sachbüchern und einschlägigen Romanen besteht. zäh

C.H. BECK 2011, 782 SEITEN. 29,95 €


Siri Hustvedt: Der Sommer ohne Männer | Die Ehe ist 30 Jahre alt, die Tochter erwachsen, die Frau im Klimakterium, und Boris bemerkt, dass er eine Pause braucht. Bei der „Pause“ handelt es sich um seine Assistentin, 20 Jahre jünger als Ehefrau Mia und ihr um mindestens zwei Körbchengrößen überlegen. Er macht Pause, sie bricht zusammen. So weit, so bekannt. Doch Mia ist Schriftstellerin. Alles, was ihr widerfährt, bearbeitet sie reflektierend, lesend, schreibend, mit leichter Ironie. Sie verbringt den Sommer in ihrer Heimatstadt, sammelt „Hirnscherben“ auf und setzt sie wieder zusammen. Wir lesen Fragmente, poetische, philosophische, erzählende, die zeigen, welche existenziellen Fragen auftauchen, wenn jemand von Grund auf erschüttert ist. Dankbar sind wir der mutigen Erzählerin, die auch beim Ringen um eine Geschichte wie diese uns Lesende behutsam an die Hand nimmt und bis zum Ende nicht mehr loslässt. hik

Rowohlt Verlag, Reinbek 2011, 256 Seiten, 19,95 €